Mittwoch17. Dezember 2025

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DeutschlandZwischen Politikverdrossenheit und Zukunftsangst: Warum die AfD in der Mitte gewinnt

Deutschland / Zwischen Politikverdrossenheit und Zukunftsangst: Warum die AfD in der Mitte gewinnt
Die AfD stellt mittlerweile eine der größten Fraktionen im Bundestag. U.a. Gerold Otten und Alice Weidel sitzen für die rechtsextreme Partei im Parlament.  Foto: AFP

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Die AfD richtet bei ihrem Tun das Augenmerk besonders stark auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Was es mit der „alten Mitte“ auf sich hat und warum die Parteien der demokratischen Mitte dort an Zustimmung verlieren.

Wenn der AfD-Spitzenpolitiker Bernd Baumann über Menschen spricht, auf die die Politik seiner Partei abzielt, fällt der Begriff der „Alten Mitte“. Dann verweist der Bundestagsabgeordnete, der Erster Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion ist, auf den Soziologen Andreas Reckwitz. Vereinfacht gesagt, hat der Wissenschaftler einen sozialstrukturellen Wandel ausgemacht mit neuen Konfliktlinien in der Mitte der Gesellschaft. So gibt es demnach eine alte Mittelschicht von Menschen mit mittleren Bildungsabschlüssen, die auf dem Land oder in Kleinstädten leben und dort verwurzelt sind. Dann gibt es eine neue Mittelschicht mit Universitätsabschluss, liberal und kosmopolitisch. Baumann sagt: „Als ihre politische Speerspitze erkennt diese Alte Mitte immer mehr die AfD. Diese Wähler wollen nicht immer bunter und diverser werden – sondern deutsch und europäisch bleiben.“

Ist das wirklich eine Erklärung für den wachsenden Zuspruch der Rechtspopulisten in der gesellschaftlichen Mitte? Der Sozialforscher Tim Gensheimer sagt: „Teile der Mitte fühlen sich von der Politik nicht gehört und nicht ausreichend beachtet – und zeigen seit einiger Zeit eine überdurchschnittliche Neigung zur AfD.“ Gensheimer ist Wissenschaftler am Sinus-Institut, das regelmäßig Gesellschaftsmodelle erstellt. Grundlage dafür sind sogenannte Sinus-Milieus, also insgesamt zehn Gruppen aus Gleichgesinnten. Bei der Bundestagswahl im Februar fällt auf, dass bei zwei dieser Gruppen, die zur mittleren Mittelschicht gehören, die AfD deutlich stärker geworden ist. Das ist einerseits das Nostalgisch-Bürgerliche Milieu, das man auch als „alte Mitte“ bezeichnen könnte, aber andererseits auch das sogenannte Adaptiv-Pragmatische Milieu, das eher eine modernere Ausprägung der Mitte darstellt. Gensheimer sagt: „Beide Mitte-Milieus eint seit Jahren eine tiefe Verunsicherung und ein zunehmender Zukunftspessimismus mit Blick auf das Land. Sie erwarten von der Politik, dass sie Probleme löst, den Alltag handhabbar macht und Leitplanken für die Zukunft bietet.“

Stetiger Wandel als Stressfaktor

Dem Sozialforscher zufolge verstehen sich Menschen im Nostalgisch-Bürgerlichen Milieu als die „normale Mitte“ der Gesellschaft. „Sie streben nach einem angemessenen Status und wünschen sich stabile, verlässliche Verhältnisse.“ Besonders wichtig sei ihnen ihr soziales Nahumfeld – Familie, Freunde, Vereine, aber auch vertraute Rituale im Jahreslauf, Heimat und Verwurzelung. „Harmonie spielt eine zentrale Rolle, weshalb sie besonders sensibel auf Störungen reagieren – sowohl im Privaten als auch im gesellschaftlichen Miteinander.“ Gleichzeitig erlebten sie das Land als permanent im Wandel. „Der wahrgenommene Veränderungs- und Modernisierungsdruck ist eine Zumutung. Vieles von dem, was sie als normal und erstrebenswert empfinden, steht zur Debatte – das traditionelle Familienbild, das Eigenheim mit Autos in der Garage, Kreuzfahrten oder eine fleischbetonte Ernährung. Daraus entsteht ein Gefühl, sich ständig rechtfertigen zu müssen.“ In diesem Milieu bestehe die Erwartung, dass der Staat für Ordnung, Sicherheit und sozialen Zusammenhalt sorge – dass er den Wohlstand sichere und Migration verlässlich reguliere.

Warum neigen auch Menschen der eigentlich moderneren und grundsätzlich optimistischen Mitte, der sogenannten Adaptiv-Pragmatischen Mitte, inzwischen stärker der AfD zu? Gensheimer spricht von Menschen, die in der „Rushhour des Lebens“ stehen: „Sie ziehen Kinder groß, arbeiten an ihrer Karriere und zahlen Wohnung oder Eigenheim ab.“ Sie betrachteten sich als flexible Pragmatiker und passten sich wechselnden Bedingungen an. „Doch das wird zunehmend zur Herausforderung“, sagt der Forscher. „Neue Anforderungen und Herausforderungen reißen nicht ab, während politische Orientierung fehlt.“ Planungssicherheit für die eigene Zukunft scheine kaum noch gegeben, und auch das früher selbstverständliche Wohlstandsversprechen gerate ins Wanken. „Wenn die Kita unzuverlässig öffnet, der ÖPNV regelmäßig streikt oder man monatelang auf einen Termin beim Bürgeramt warten muss, erfüllt der Staat seine zugedachte Rolle als verlässlicher Dienstleister nicht. Man fühlt sich eigentlich von Staat und der Politik eher ständig ausgebremst als unterstützt.“

Bemerkenswert erscheint vor dem Hintergrund, dass Bevölkerungsgruppen, die man eher bei den einstigen Volksparteien Union und SPD verorten würde, und die sich von der Politik eigentlich Planungssicherheit, die Lösung von Problemen und Stabilität wünschen, einer in Teilen rechtsextremen Partei ihre Stimmen geben, die wiederum eher für Aggressivität und Disruption steht. Gerade in den Mitte-Milieus hört Gensheimer immer wieder Sätze wie: „Vor Corona war alles besser – geordneter, planbarer, freundlicher.“ Die Angst vor sozialem Abstieg, dem Verlust von Wohlstand und dem Gefühl, die Kontrolle über die eigene Zukunft zu verlieren, seien starke politische Triebkräfte dieser Zeit. Solche Emotionen wirkten oft stärker als jede inhaltliche Kritik an der AfD. „Selbst der Vorwurf des Rechtsextremismus verliert an Wirkung, wenn die persönliche Frustration überwiegt“, sagt er.

Der künftigen Regierung müsse es also gelingen, den Eindruck zu vermitteln, dass der Staat wieder handlungsfähig ist und Probleme lösen kann. Gensheimer betont: „Nur dann wird ein Stimmungsumschwung möglich sein.“

Lucilinburhuc
30. März 2025 - 21.06

Anscheinend braucht man zur Wahl keinen Qualifikationsschein. Lediglich der Wahlschein ist die scheinbare Qualifikation.

JJ
29. März 2025 - 10.00

Und wieder sind wir beim Thema Bildung. Mit Populismus dürfte man keine Stimmen bekommen. Egal welche Partei.