Donnerstagabend im Infinity-Komplex auf dem Kirchberg. Ab 18 Uhr verwandelt sich die sonst nüchterne Passage zwischen Bürogebäuden, Restaurants und einem Supermarkt in einen Treffpunkt für Hunderte Menschen. Was unter der Woche als funktionaler Durchgangsort dient, wird hier einmal wöchentlich zur improvisierten Ausgehmeile. Der Anlass: die Afterwork-Happy-Hour.
Besonders auf dem Kirchberg, wo sich zahlreiche große Arbeitgeber angesiedelt haben, hat sich der Donnerstagabend als inoffizieller Wochenabschluss etabliert. „Fast jeder aus meinem Team kommt hierher“, erzählt der Belgier Nathan, der im Kirchberg-Viertel arbeitet. „Nicht weil man muss, sondern weil es einfach dazugehört.“ Was auf den ersten Blick wie ein zwangloses Feierabendbier aussieht, erfüllt für viele auch eine soziale Funktion: Networking, Team-Bonding, gelegentlich auch das Knüpfen neuer Bekanntschaften.
„What is happening at Golden Bean?“
Auf Reddit hat ein User vor einigen Wochen die Frage gestellt, die wohl viele beschäftigen dürfte. „What is happening at Golden Bean?“ Gemeint ist ein kleiner Coffeeshop, der im Zentrum des Infinity-Komplexes liegt – dort, wo donnerstags die Dichte an Menschen so hoch ist, dass sich auf den ersten Blick keine Bar, kein Eingang mehr erkennen lässt.
Was für manche nach purer Überwältigung klingt, ist für andere genau richtig. „Das hier war unser erster Anlaufpunkt, als wir nach Luxemburg gezogen sind“, erzählt Italienerin Clara, die mit zwei Freunden gekommen ist. „Günstige Drinks, gute Stimmung. Man kann Leute kennenlernen und wir sind schnell wieder zu Hause – das passt gut zusammen.“
Die Besucher kommen aus zahlreichen Ländern – Luxemburg, Frankreich, Italien, Griechenland, Mauritius, Tschechien – und oft haben sie gemeinsam, dass sie neu in der Stadt sind. Gerade für Expats oder Trainees bietet das Afterwork eine willkommene Gelegenheit, unkompliziert Anschluss zu finden.
Die Infrastruktur auf dem Kirchberg unterstützt das Format: Der Infinity-Komplex liegt direkt an der Tramlinie, rundherum gibt es kaum Anwohnende, die sich gestört fühlen könnten.

Mehr Andrang, mehr Organisation
Für die Gastronomen vor Ort ist der Donnerstagabend Fluch und Segen zugleich. Die meisten Betreiber berichten von einem reibungslosen Miteinander unter den Betrieben – und von einer insgesamt positiven Entwicklung.
„Wir sind alle unterschiedlich aufgestellt“, sagt Kisses, eine Mitarbeiterin der „Origins Tapas Bar“. „Italienisch, asiatisch, spanisch – jeder hat sein Publikum. Konkurrenz ist hier kein Thema.“ Auch Felipe Carrillo, Inhaber des Coffeeshops „Golden Bean“, bestätigt: „Die Stimmung untereinander ist gut. Es gibt keine Probleme.“
In der Vergangenheit habe es allerdings Herausforderungen gegeben. „Vor zwei Jahren war es wirklich überfüllt, es blieb viel Müll liegen, die Situation war unübersichtlich“, erinnert sich Carrillo. Inzwischen habe sich die Lage aber beruhigt. „Die Betreiber haben sich besser organisiert. Es gibt Security und eine strukturierte Reinigung. Wenn man morgens hier durchgeht, sieht man kaum Spuren vom Vorabend.“
Dem widerspricht jedoch Amaro, Mitarbeiter im Fahrradgeschäft „Velo Sport“: „Freitagmorgens sieht man, dass viel los war. Die Aufzüge sind dann oft verschmutzt, es riecht unangenehm, manchmal kann man sie gar nicht nutzen.“ Schäden oder Zwischenfälle habe es bislang nicht gegeben. „Aber man sieht, dass hier gefeiert wurde.“
Die Happy Hour bringt jedoch auch logistische Herausforderungen mit sich. Besonders im Supermarkt im Untergeschoss macht sich der Ansturm bemerkbar. Kinga, Assistant-Managerin bei Delhaize, erzählt: „Kurz vor Ladenschluss kommen immer wieder Gruppen, die schnell noch Bier kaufen wollen. Manchmal sind die Schlangen so lang, dass wir die Türen früher blockieren müssen, um rechtzeitig schließen zu können. Aber insgesamt ist die Atmosphäre gut.“
Sicherheit und Zwischenfälle
Auch die Sicherheitslage scheint insgesamt stabil. Besucherinnen und Besucher berichten von wenigen unangenehmen Situationen, keine der befragten Personen hat Übergriffe oder Gewalt erlebt. „Die Security ist sichtbar, und da viele Kolleginnen und Kollegen untereinander bekannt sind, benimmt sich niemand daneben“, meint Alex, der regelmäßig dabei ist. Auch Jaya und Sakti aus Mauritius bestätigen: „Wir haben uns hier noch nie unsicher gefühlt.“
Ob die Happy Hour ein vorübergehender Trend ist oder sich dauerhaft etabliert, lässt sich schwer sagen. Aktuell spricht vieles für Letzteres: Die Veranstaltung ist gut besucht, die Organisation funktioniert, und der Bedarf scheint da zu sein – nicht nur nach Getränken, sondern auch nach Begegnung. „In Luxemburg ist es nicht leicht, neue Leute kennenzulernen“, sagt Pavlina, die früher in den Niederlanden studiert hat. „Das hier ist einer der wenigen Orte, wo das unkompliziert möglich ist.“
De Maart


















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