Mittwoch22. Oktober 2025

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KlassenwiederholungenTeuer, wirkungslos, belastend: Warum Sitzenbleiben selten hilft

Klassenwiederholungen / Teuer, wirkungslos, belastend: Warum Sitzenbleiben selten hilft
Klassenwiederholungen haben, so zeigen Studien, einen starken negativen Einfluss auf das Selbstbild der Schüler und prägen damit ihren Lebensweg Foto: Editpress/Armand Back

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Manchmal empfiehlt sich eine Klassenwiederholung. Doch auch in der Form eines „Allongement de cycle“ ist sie nur bedingt eine geeignete Maßnahme. Die Expertenmeinungen gehen auseinander.

Dass das Sitzenbleiben nur sehr selten eine Verbesserung für den Schüler bedeutet, gilt mittlerweile als erwiesen, ist aber trotzdem nach wie vor umstritten. Im Nationalen Bildungsbericht 2021 wurde etwa die frühe schulische Entwicklung von Kindern analysiert und untersucht, „inwieweit die in Luxemburg übliche Praxis des Klassenwiederholens – das sogenannte ,Allongement de cycle‘ – positive Lerneffekte hat“. Dabei habe sich gezeigt, dass das Allongement eher zu weiteren Nachteilen führte, da die bestehenden Leistungslücken durch ein zusätzliches Schuljahr nicht geschlossen werden konnten.

Allerdings sei, so steht im Nationalen Bildungsbericht 2024, „die Frage, wie wirksam und lernförderlich Wiederholungen einer Klassenstufe aufgrund unzureichender Kompetenzen sind, aus wissenschaftlicher Sicht weiterhin nicht eindeutig geklärt“. Die Mehrheit der Studien komme zu dem Schluss, dass sich Klassenwiederholungen negativ auf die Schulmotivation und -leistungen auswirken können. Eine weitere Untersuchung zeige, dass der Effekt von Klassenwiederholungen unter anderem davon abhängt, wann die Wiederholung stattfindet – ob in der Vor-, Grund- oder weiterführenden Schule.

In Luxemburg sind laut Bildungsministerium seit Jahren konstant etwa 20 Prozent der Schüler im Grundschulunterricht von der Klassenwiederholung betroffen. Bezüglich der Praxis des „Allongement de cycle“ kommt der Nationale Bildungsbericht 2024 zur Feststellung, dass Kinder, deren Grundschulzeit sich um ein oder zwei Jahre verzögern wird, sich bereits zu Beginn des Cycle 2.1 in ihren Kompetenzen unterscheiden. „Diese Kinder erreichen schon zu Beginn seltener das ,Niveau avancé‘“, heißt es in dem Bericht. „Die Kompetenzen dieser Kinder werden sich im Laufe der Grundschulzeit weiter verschlechtern. Es sieht nicht so aus, als wenn sie zu ihren Mitschüler*innen ohne ,Allongement de cycle‘ aufschließen können. Das gilt sowohl für die Kompetenzen in Mathematik als auch im Deutsch-Leseverstehen.“

Ernüchterndes Resultat

Das Kapitel im Nationalen Bildungsbericht geht der Frage nach, „ob portugiesisch- oder französischsprachige Kinder von Klassenwiederholungen mittelfristig profitieren können, weil sie mehr Zeit haben, sich mit der Unterrichtssprache (Deutsch) vertraut zu machen“. Das Resultat ist ernüchternd: „Zu sehen ist, dass in keiner der drei Sprachgruppen Kinder mit ,Allongement de cycle‘ zu ihren Klassenkamerad*innen ohne ,Allongement‘ aufschließen konnten.“

Die Klassenwiederholungen erwiesen sich folglich nur bedingt als geeignete Maßnahmen. Neben den hohen bildungspolitischen Kosten entstehen durch die Wiederholungen vor allem individuelle Kosten in Form von verlorenen Bildungsjahren. Im Gegenteil: Klassenwiederholungen haben, so zeigen Studien, einen starken negativen Einfluss auf das Selbstbild der Schüler und prägen ihren Lebensweg. Umso mehr gibt es eine hohe Anzahl von Schulabbrechern oder Schülern, die eine Schule im Ausland besuchen.

Erinnert sei, dass in die Ära von Claude Meischs Vorgängerin Mady Delvaux-Stehres 2009 die Reform des Grundschulwesens fiel. Damals wurde das Sitzenbleiben abgeschafft und durch das „Allongement de cycle“ ersetzt. „Wenn ein Schüler am Ende eines zweijährigen Grundschulzyklus den erforderlichen Kompetenzstand nicht erreicht hatte, sollte er ein weiteres Jahr in diesem Zyklus verbringen, um sich auf seine Schwächen zu konzentrieren“, wird der Abgeordnete Meris Sehovic („déi gréng“) in L’essentiel zitiert. Die Maßnahme habe jedoch nicht die erhofften Fortschritte gebracht, sondern sich vielmehr in ein „verkleidetes Sitzenbleiben“ verwandelt.

Joëlle Damé, Präsidentin des SEW/OGBL
Joëlle Damé, Präsidentin des SEW/OGBL Foto: Editpress/Tania Feller

Die Präsidentin des „Syndikat Erzéiung a Wëssenschaft“ am OGBL (SEW), Joëlle Damé, spricht im Tageblatt-Interview von einem „Etikettenschwindel“. Faktisch handle es sich um ein Sitzenbleiben, sagt die Gewerkschafterin und Grundschullehrerin. Mit der Schulreform von 2009 war bezweckt worden, verstärkt kompetenzorientiert zu arbeiten. „Man ging davon aus, dass ein Kind einen Zyklus in zwei Jahren durchläuft, was verkürzt oder verlängert werden kann“, erklärt Damé. Es wurde nicht mehr von einem „Redoublement“ gesprochen, sondern von einem „Allongement“, quasi eine Verlängerung des Lernzyklus. Die SEW-Präsidentin sagt, dass „es den Lehrern überlassen ist, frei zu wählen, ob sie jahrgangsübergreifend arbeiten, also etwa erstes und zweites Schuljahr gemischt sind, oder ob sie weiter nach Jahrgang arbeiten“.

Es hängt stärker von der Lehrerpersönlichkeit, mit seinem Engagement und seiner Ausbildung ab als mit dem Modell, das er wählt

Joëlle Damé, SEW-Präsidentin

Wissenschaftler weisen darauf hin, dass weder das eine noch das andere Modell Vorteile bringt. „Es hängt stärker von der Lehrerpersönlichkeit, mit seinem Engagement und seiner Ausbildung ab als mit dem Modell, das er wählt“, weiß Joëlle Damé. „Je mehr ich darüber lese, desto mehr stelle ich fest, dass es auf den Lehrer ankommt – auf seine Ausbildung, sein Engagement und seine Motivation.“

Die meisten ihrer Kollegen arbeiten weiter nach Jahrgang und nicht nach Zyklus. „Das ist noch im Sprachgebrauch hängen geblieben, weil nur einige Schulen jahrgangsübergreifend arbeiten“, sagt Damé. „Außer der Benennung des Ganzen hat sich nichts geändert. Nur wurden drei Möglichkeiten zum Wiederholen abgeschafft. Jetzt kann man noch im zweiten und vierten Schuljahr verlängern. Auch den Cycle 1 kann man auf drei Jahre verlängern.“

Was sich wesentlich verändert habe und gut angenommen würde, sei die Kompetenzorientierung des Unterrichts. „Wir können dadurch differenzierter arbeiten. Es wird nun aber so dargestellt, als hätten die Lehrer noch nicht verstanden, dass Sitzenbleiben nichts bringt. Es heißt, dass Sitzenbleiben nichts bringt und auch dem Kind psychisch nicht guttut. Das wurde jetzt widerlegt. Die große Überraschung ist, dass die Kinder keinen psychischen Schaden davontragen. Wenn man sich in die internationalen Bildungsarbeiten einliest, sieht man, dass dies viel stärker relativiert wird. So heißt es, je früher man eine Klasse wiederholt, desto größer ist der Effekt.“

Meistens zeige sich während des Wiederholungsjahres zu Beginn ein positiver Effekt, der allerdings auf Dauer wieder verloren geht. Das kann einen Schüler mehr und mehr überfordern. „Als Pädagoge schließe ich jedoch nicht aus, dass der Schüler später wieder Schwierigkeiten hat“, erklärt die SEW-Präsidentin. „In Luxemburg herrscht jedoch das Dogma, dass es nichts bringe.“ Nicht zuletzt wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung gemacht. Demnach erweist sich eine Klassenwiederholung als teuer. „Das wird ganz offen diskutiert“, weiß Damé. „Im Bildungsbericht sieht man, wie weit weg man von der Realität ist.“ Nach der Reform sei der Druck gestiegen, man solle doch bitte nicht so viele Kinder sitzen lassen. Seither gingen viele Eltern davon aus, dass ein „Allongement“ nicht mehr möglich ist.

Intransparente Kriterien

Wenn ein Schüler in zwei Hauptfächern große Schwächen aufweist, kann der Lehrer ohne die Eltern über ein „Allongement“ entscheiden. „Andererseits haben wir regelmäßig Eltern, die ihre Kinder schon nach dem ersten Jahr wiederholen lassen wollen“, berichtet Joëlle Damé. Es sei jedoch sehr selten, dass erlaubt wird, nach dem ersten Jahr zu verlängern. Außer, es liege eine Krankheit vor. „Das muss ein absoluter Ausnahmefall sein“, so Damé.

Die ehemalige Bildungsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP): Unter ihr kam es zur Grundschulreform
Die ehemalige Bildungsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP): Unter ihr kam es zur Grundschulreform Foto: Editpress-Archiv/Julien Garroy

Das Stigma des Sitzenbleibens ist geblieben. Auch nachdem das Wiederholen eines Schuljahres im „Cycle inférieur“ des „Enseignement secondaire général“ im Schuljahr 2017/18 abgeschafft worden ist. Von der 7e auf 5e kann man nicht mehr wiederholen. Die Kinder kommen trotz großer Defizite weiter. Der „Cycle inférieur“ wurde reformiert. „Die Kinder kommen drei Jahre lang immer weiter“, weiß Joëlle Damé. „Wenn sie dann die 5e wiederholen, ist es zu spät. Danach wird massiv wiederholt. Der Zug ist dann aber abgefahren.“ Die Kriterien sind intransparent. Die Neuerung hat sich als Flop erwiesen.


Zu diesem Thema lesen Sie auch:
Wenn Sprache zur Hürde wird/ Vom Für und Wider des Sitzenbleibens – Vater verliert Sorgerecht im Schulstreit
Editorial/ Mehrsprachigkeit als Hürde: Wie Luxemburgs Schule an ihren eigenen Idealen scheitert

Phil
25. März 2025 - 22.53

Anstatt aussagekräftigen Noten über schulische Leistungen, werden heutzutage Smileys verteilt. Bloß nicht die Jungs und Mädels stressen und überfordern. Beim ersten Härtetest wie z.B. Führerschein fallen 50% durch. Wie soll es dann im Berufsleben weitergehen... Burn-out in der ersten Arbeitswoche!

JJ
24. März 2025 - 13.35

@Stip
soll heißen dass er bei Wiederholung des Schuljahres seine Schwachstellen ausbügeln kann,BEVOR das Pensum noch komplizierter wird.
Früher war nicht alles besser,klar.Aber es gab Sachen die waren gut.Und da hätte man die Finger besser davon gelassen.

Nomi
24. März 2025 - 11.54

Een Kannd kann net eleng durch sein Alter an en SchoulJohrgang gepresst ginn, mee den Fakteur Maturiteit spillt och eng ganz gro'uss Roll !
12 Meint Altersennerscheed sin bei 6 Johr schons net ze vernolei'ssegen !

Stip
24. März 2025 - 10.04

@ JJ / .......und das will heissen?????

JJ
24. März 2025 - 7.46

Was hilft es denn wenn ein Schüler das nächste Niveau erreicht und dort noch immer Bahnhof versteht?