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Wenn Sprache zur Hürde wirdVom Für und Wider des Sitzenbleibens – Vater verliert Sorgerecht im Schulstreit

Wenn Sprache zur Hürde wird / Vom Für und Wider des Sitzenbleibens – Vater verliert Sorgerecht im Schulstreit
Wissenschaftliche Studien haben immer wieder gezeigt, dass Luxemburg im internationalen Vergleich eine hohe Quote von Klassenwiederholungen aufweist, die sich auf etwa 30 Prozent beläuft und mehr ausländische (40 Prozent) als luxemburgische Kinder (20 Prozent) betrifft Foto: Editpress/Tania Feller

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Offiziell können Schüler im Grundschulunterricht seit der Reform von 2009 nicht mehr sitzenbleiben. Faktisch sind die Klassenwiederholungen noch möglich – und treffen nicht nur auf Zustimmung.

Céline und Anne* sind im Alter von sechs Jahren nach Luxemburg gekommen. Die Verantwortlichen der Gemeinde und der Schule haben entschieden, dass die beiden frankophonen Mädchen sofort nach ihrer Ankunft in die Grundschule gehen sollen, während die Eltern noch über ein zusätzliches Jahr in der Spielschule nachdachten, damit sie Luxemburgisch lernen konnten. Mittlerweile sind Céline und Anne zwölf Jahre alt und noch in der fünften Klasse der Grundschule. Sie wiederholen zum zweiten Mal ein Schuljahr – und das obwohl sie nur eine einzige Schwäche haben: Deutsch. 

Nach  Angaben der Lehrer haben die Mädchen große Schwierigkeiten in der Schule, sodass sie ohne eine Klassenwiederholung nicht in der Lage wären, die Sekundarstufe zu erreichen und daher ins „modulaire“ wechseln müssten. Die Eltern, inzwischen geschieden und laut Gericht mit geteiltem Sorgerecht, sind sich in Sachen Klassenwiederholung nicht einig. Der Vater hat im Gegensatz zur Mutter die Entscheidung über die zweite Klassenwiederholung als ungerecht empfunden und will diese gerichtlich angehen.

Die gerichtliche Anhörung sollte zwei Wochen vor Schulbeginn stattfinden, doch wird sie wegen des Urlaubs der Anwältin von der Mutter vertagt. Die Richterin verlegt den Termin auf ein Datum sechs Wochen nach Schulbeginn, womit sie de facto andeutet, dass sie die zweite Klassenwiederholung der Kinder akzeptiert. Der Vater entscheidet daraufhin, die Kinder ohne Wissen der Mutter im September 2024 in einer Grundschule in Arlon anzumelden, um die zweite Wiederholung zu vermeiden. Céline und Anne beginnen dort und schätzen den belgischen Unterricht.

Richterin entscheidet

Sobald die Mutter dies bemerkt, wendet sie sich an die Justiz. Die Richterin des Familiengerichts entscheidet, dass die Mädchen wieder in die hiesige Grundschule gehen sollen. Etwas später entzieht das Gericht dem Vater das Sorgerecht, sodass er die Mädchen von nun an nur noch jedes zweite Wochenende bei sich aufnehmen kann. Was die schulischen Leistungen von Céline und Anne betrifft, sind im Juli 2024 die Abschlussnoten in Französisch und Mathematik gut.

Die einzige, doch keineswegs katastrophale Schwäche ist nach wie vor Deutsch. Schließlich waren die Kinder, bevor sie nach Luxemburg kamen, in Frankreich mit zwei französischsprachigen Eltern aufgewachsen. Die Intelligenzquotienten (IQ) der beiden liegen, erstellt durch eine „Equipe de soutien des élèves à besoins éducatifs particuliers ou spécifiques“ (ESEB) bei 110 beziehungsweise 106, also über dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe (zwischen 90 und 110).

Bildungsminister Claude Meisch (DP) versucht das Problem mit der Alphabetisierungssprache mithilfe des Angebots von öffentlichen internationalen Schulen in den Griff zu bekommen
Bildungsminister Claude Meisch (DP) versucht das Problem mit der Alphabetisierungssprache mithilfe des Angebots von öffentlichen internationalen Schulen in den Griff zu bekommen Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Das Gericht schlägt vor, dass die Mädchen nach der vierten Klasse in die französischsprachige Vorbereitungsklasse eines internationalen Gymnasiums geschickt werden, was der Entscheidung der Lehrer entspricht, während eine Einschulung in die fünfte Klasse in Belgien mit französischsprachigem Unterricht abgelehnt wird. Angesichts des IQs der Mädchen ist dies eine erstaunliche Orientierung. Die Lehrer sprechen von Legasthenie; auf Rückfrage des Vaters hin wurde eine neue Evaluation sechs Monate später angesetzt, die jedoch nicht durchgeführt wurde.

Der „Service central d’assistance sociale“ (SCAS) hat die Situation des Vaters unter anderem in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit und seine Wohnsituation analysiert. Er ist Wissenschaftler mit einem Universitätsabschluss (Master und Doktorat in Paris) und arbeitet seit mehreren Jahren für eine luxemburgische Behörde. Der SCAS stellt auch eine unproblematische Wohnsituation fest. Umso erstaunlicher ist es, dass die Richterin ihm – auf der Grundlage eines positiven Berichts des SCAS – das Erziehungsrecht für die beiden Töchter entzogen hat, und zwar gemäß Art. 378.4 des Zivilgesetzbuches, in dem es heißt: „Der Richter wird verschiedene Mittel zur Verfügung haben, wie zum Beispiel Gutachten oder soziale Untersuchungen, die alle Kriterien darstellen, auf die er seine Entscheidung stützen kann. So wird die Fähigkeit jedes Elternteils, seine Pflichten zu übernehmen und die Rechte des anderen zu respektieren, vom Richter berücksichtigt.“

Hohe Quote von Wiederholungen

Da stellt sich die Frage, wie die Richterin eine so harte Strafe für einen schuldlosen Vater finden konnte, der sich für seine Kinder einsetzt, indem er einen schulischen Weg ohne Klassenwiederholungen sucht. Die Anwältin von Céline und Anne ist von der Richterin ausgewählt worden. Der Vater beobachtet, dass sie nur wenig Zeit mit den beiden Mädchen verbringt. Die Briefe, die diese ihrer Anwältin geschrieben hatten, wurden nicht beantwortet. Die Anwältin erklärt, dass die Mädchen nur über begrenzte Fähigkeiten verfügen, ungeachtet ihrer IQ-Testwerte und guter Schulnoten.


Zu diesem Thema lesen Sie auch:
Klassenwiederholungen/ Teuer, wirkungslos, belastend: Warum Sitzenbleiben selten hilft
Editorial/ Mehrsprachigkeit als Hürde: Wie Luxemburgs Schule an ihren eigenen Idealen scheitert


Der Fall von Céline und Anne ist im Kontext einer Diskussion über das Sitzenbleiben zu betrachten, das mit der Grundschulreform aus dem Jahr 2009 eigentlich abgeschafft worden ist. Wissenschaftliche Studien haben immer wieder gezeigt, dass Luxemburg im internationalen Vergleich eine hohe Quote von Klassenwiederholungen aufweist, die sich auf etwa 30 Prozent beläuft und mehr ausländische (40 Prozent) als luxemburgische Kinder (20 Prozent) betrifft, was im Rahmen eines internationalen Vergleichs noch deutlicher wird: Hier variieren die Werte zwischen drei und mehr als 30 Prozent Wiederholungen – Luxemburg fällt in die letzte Gruppe.

*) Namen von der Redaktion geändert

Claudia Hartmann-Hirsch arbeitet über Themen der sozialen Sicherheit und der Migration (LISER und freiberuflich).

Dick & Doof
24. März 2025 - 10.01

@ Oh mei / Gut und richtig ... die Dummen werden so lange als gescheit gemacht bis Dummheit standard ist. Dann fallen sie nicht mehr auf.

Nomi
24. März 2025 - 9.50

Een Defizit muss so'u frei' wei' meiglech behuewen ginn.
D'Elteren wollten di richteg Optio'un huelen an d'Kanner 1 Johr mei' laang an der Spillscho'ul loossen.
Mat deem IQ haetten dei' Kanner eng Optio'un gehaat fir am 4 oder 5 Johr eng Klass ze iwersprangen !

Den Edukatio'unssystem ass hei schelleg !
An daat durch di sellechen LSAP Scho'ulminister mat hirer ideologescher Gleichmacherei !

mk
24. März 2025 - 8.13

Hier in diesem speziellen Fall geht es um weitaus mehr, als Klassenwiederholungen. Ein Vater darf, ohne es mit der Mutter abzusprechen, die gemeinsamen Kinder nicht einfach an einer anderen Schule anmelden. Das ist ein absolutes No-Go. Da finde ich es nicht verwunderlich, dass ihm das Entziehungsrecht entzogen wird. Das ist eine berechtigte Entscheidung, die basiert darauf, dass er kein Recht hat, sowas ohne Wissen des anderen erziehungsberechtigten Elternteils zu machen, egal aus welchem Grund. Das Problem in der Schule ist unabhängig davon zu betrachten. Dazu denke ich: Wer in ein anderes Land zieht, soll sich über das Schulsystem informieren. In Luxemburg ist Deutsch ein wichtiges Fach. Klar kann das eine Hürde sein. Dessen sollte man sich als Eltern bewusst sein und ggf eine internationale Schule in Betracht ziehen. Dafür gibt es die. Und immer gilt: Geschieden oder nicht- Entscheidungen die Kinder betreffend nimmt man gemeinsam.

Oh mei
24. März 2025 - 7.44

Wir sind weit gekommen seit der letzten Schulreformen unter Margot & Co. Da gab es den Lückentext im Französischen und Simsalabim im Rechnen. Heute gibt's keine Examen mehr,niemand fällt durch und man kann eine Datz in Mathe mit Singen oder Laufen kompensieren. Wegen Gleichstellung und " Unterdrückung" wird im Sport kein Wettlaufen mehr gemacht weil der "dicke" Stefan,pardon darf man nicht mehr sagen,weil der körperlich Bevorteilte,ja durch seine Leibeshülle benachteiligt ist.
Dann noch wie oben erwähnt,die Migranten-Kinder ( darf mandas sagen?) die wegen Sprache zu 20% eher durchfallen. Also wird einfach nicht mehr durchgefallen,fertig. Resultat:das Bildungsniveau sinkt und Abiturienten dürfen auf französischen Unis einen Test machen bevor sie aufgenommen werden oder es kann schon einmal vorkommen dass man einen Brief von offizieller Stelle bekommt der von Fehlern nur so trieft. Aber keine Bange. Wir haben ja K I. Die kennt keine Gefühle und niemand wird bevorzugt.