Mittwoch22. Oktober 2025

Demaart De Maart

KommentarSpagat am Bosporus: Wie mit Erdogans Strategie umzugehen ist

Kommentar / Spagat am Bosporus: Wie mit Erdogans Strategie umzugehen ist
Über dem Rathaus von Istanbul wacht der türkische Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, auch nach der Verhaftung von Ekrem Imamoglu Foto: Ysin Akgul/AFP

Durch die Verhaftung von Ekrem Imamoglu hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seines größten Konkurrenten entledigt. Der beliebte und charismatische Oberbürgermeister von Istanbul wurde zusammen mit etwa hundert weiteren Menschen festgenommen. Obwohl in der Metropole am Bosporus Demonstrationen vorübergehend verboten und Social-Media-Kanäle eingeschränkt wurden, kam es zu Kundgebungen. Imamoglus Partei CHP behauptet, es handle sich um einen „Putschversuch“. Die Republikanische Volkspartei ist sozialdemokratisch und geht als älteste Partei des Landes auf den Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk zurück – und sie ist die größte Oppositionspartei des Landes sowie Hauptgegner von Erdogans islamisch-konservativer AKP.

Überraschend ist das alles nicht: Schließlich gehört Erdogan längst zur „Achse der Autokraten“, von der etwa die US-Historikerin Anne Applebaum in ihrem gleichnamigen Buch schreibt. Der 70-Jährige herrscht in der Türkei seit 22 Jahren, zuerst als Ministerpräsident, dann als Staatsoberhaupt. Die Vorwürfe, mit denen er Imamoglu aus dem Verkehr ziehen will, sind offensichtlich konstruiert. Dem CHP-Politiker werden unter anderem Korruption und die Unterstützung der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) vorgeworfen. Dies ausgerechnet jetzt, nachdem der im Gefängnis sitzende PKK-Führer Abdullah Öcalan kürzlich seine Anhänger zur Niederlegung der Waffen aufgefordert hat.

Das klingt widersprüchlich: Zwar finden die nächsten Präsidentschaftswahlen erst in drei Jahren statt. Erdogan darf eigentlich nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Nur mit einer Verfassungsänderung könnte er an der Macht bleiben. Sein Vorgehen passt in den international zurzeit dominierenden Trend hin zur autokratischen Herrschaft: Die Türkei ist zwar schon lange keine lupenreine Demokratie, mit Imamoglus Festnahme zerstört Erdogan aber jede demokratische Illusion. Das und die zunehmende Repression sind Teil seiner Strategie, zu der auch die Entlassung mehrerer Bürgermeister in den kurdischen Städten in der Südosttürkei passt. Erdogan will die Opposition spalten. Wie muss darauf etwa die Europäische Union reagieren? Einerseits ist sie darauf angewiesen, auch künftig mit Erdogan auf sicherheitspolitischer Ebene zu kooperieren, andererseits muss sie die erneute Unterdrückung der Opposition und die damit verbundenen Verhaftungen strengstens verurteilen. Ein Spagat ohnegleichen.