Dienstag23. Dezember 2025

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Alain spannt den BogenÜber das Tetzlaff-Quartett mit Mendelssohn, Widmann und Brahms in der Philharmonie

Alain spannt den Bogen / Über das Tetzlaff-Quartett mit Mendelssohn, Widmann und Brahms in der Philharmonie
Das Tetzlaff-Quartett beim Konzert in der Philharmonie Foto: Alfonso Salgueiro

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Im Kammermusiksaal der Philharmonie stand diese Woche Musik von drei Komponisten auf der Tagesordnung, doch wie gelang dem Tetzlaff-Quartett die Umsetzung? Über den Konzertbesuch.

Drei Komponisten, die über die Schulter blicken und ihren Vorgängern Respekt zollen, indem sie die Vergangenheit zur Zukunft machen: So in etwa könnte man das Programm dieses Abends im Kammermusiksaal der Philharmonie bezeichnen. Mendelssohn blickt auf die Tradition des Streichquartetts zurück und schafft mit seinem 2. Streichquartett ein vorwärts gewandtes, erstaunlich reifes und tiefgründiges Werk für den damals erst 18-jährigen Komponisten. Jörg Widmann lässt sich von Joseph Haydns Quartett „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers Jesus Christus am Kreuze“ inspirieren und Johannes Brahms trägt die schwere Last, aus dem Schatten des übermächtigen Ludwig van Beethoven zu treten. Durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit haben die drei Komponisten wirkliche Zukunftsmusik geschrieben, wie das Tetzlaff Quartett in seinem Konzert sehr deutlich zeigte.

Albtraumhafte Klanggefüge

Der 1973 geborene Jörg Widmann gehört zu den renommiertesten zeitgenössischen Komponisten der Gegenwart. Jedes seiner mir bekannten Werke ist ein Geniestreich. Darüber hinaus beherrscht Widmann nämlich die große Kunst, erzählende Musik zu schreiben. Dieser narrative Charakter überwiegt trotz komplexer Strukturen und verführt das Publikum immer wieder zum Zuhören. Doch in seinem 2003 entstandenen Streichquartett Nr. 2 „Choralquartett“ lässt Widmann die Zeit und die Musik quasi stillstehen. Wie in Zeitlupe erlebt der Hörer knarzende Streicher, intensive, losgelöste Klänge, die eher Geräusche als Musik sind. Es ist ein trostloser Blick auf das Leiden, den Tod und Widmann bringt dieses hölzerne Kreuz aus „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ zum Knarren und Bersten. Die Musik selbst ist quasi inexistent und wenn, dann erscheint sie wie lose Fetzen von schmerzvollen Empfindungen. Eine Musik, die quasi nicht zum Aushalten ist, denn selbst die zwischendurch angedeuteten Choräle bringen keine Erlösung und verklingen im Nichts. Dieses albtraumhafte Klanggefüge wird von Widmann gekonnt in Nicht-Musik umgesetzt und erreicht den Hörer tief in seinem Bewusstsein oder Unterbewusstsein. Das 2. Streichquartett ist ein in jeder Hinsicht unschönes Werk voller Genialität. Das Tetzlaff-Quartett ist natürlich ein idealer Interpret für diese Art von Musik. Die kühle Herangehensweise, das skalpellartige Aufschlitzen der Musik, die Präzision der Klanggestaltung, das alles liegt den vier Musikern, die Widmanns Werk dann auch in das Zentrum ihres Konzerts stellen.

Kopflastig und kühl: Die Quartette von Mendelssohn und Brahms

Wenn die Musik aber plötzlich zu intellektuell, zu kopflastig und analytisch wird, verliert sie einen großen Teil ihres Charmes, denn was für zeitgenössische respektive moderne Werke stimmen mag, das muss nicht unbedingt ein gültiges Rezept für die Musik des 19. Jahrhunderts sein. Und da reicht dann auch nicht der Hinweis, dass Schönberg die beiden für die damalige Zeit recht progressiven Streichquartette von Brahms sehr geschätzt hat

Ihr Konzept geht dann auch auf, denn ihre Interpretation des einleitenden Streichquartetts Nr. 2 a-moll von Felix Mendelssohn Bartholdy führt unweigerlich zu Widmanns Katastrophe hin. Ob das jetzt im Sinne von Mendelssohn ist, sei einmal dahingestellt. Das Tetzlaff-Quartett begegnet diesem intensiven und erstaunlich progressiv auskomponierten Stück mit Distanz und lässt den romantischen Gehalt einmal ganz auf der Seite. Die Bogenführung ist kühl, das Spiel eher distanziert, als würden die Musiker dem Wohlklang nicht trauen. Und in der Tat lässt ihre Interpretation hinter die Musik blicken und erschließt dem Hörer ein ungewohnt düsteres und modernes Mendelssohn-Bild. Die strengen Linien, die kühle Interpretation, das bewusste Aufreißen der musikalischen Schönheit erlauben neue Einblicke in das Werk, auch wenn dies vielleicht auf Kosten des traditionellen Mendelssohn-Bildes geht. Nach Widmanns Choralquartett lassen die Musiker Christian Tetzlaff und Elisabeth Kufferath, Violinen, Hanne Weinmeister, Bratsche, und Tanja Tetzlaff, Cello, das 2. Streichquartett a-moll von Johannes Brahms erklingen.

Alles in allem überzeugend: das Tetzlaff Quartett
Alles in allem überzeugend: das Tetzlaff Quartett Foto: Alfonso Salgueiro

In dieser Programmkonstellation passt dann auch die spröde Interpretation des Ensembles und ergibt Sinn. Auch hier verweigern sich die Musiker einer musikantischen Tradition und spielen das Werk als sperrige Antwort auf Widmanns auskomponierten Albtraum. Die Musik stockt, dreht sich auf der Stelle, irgendwie fühlt man sich nicht recht wohl. Erst im Finale lässt das Tetzlaff-Quartett die Zügel etwas locker und bringt dieses Konzert zumindest ansatzweise optimistisch zu Ende. Gefallen hat mir das alles nicht so recht, das Widmann-Quartett einmal ausgenommen. Auch wenn das Konzept hundertprozentig stimmte und die Musiker mit ihren ungewohnten Interpretationen der Quartette von Mendelssohn und Brahms sicherlich Gesprächsstoff liefern.

Wenn die Musik aber plötzlich zu intellektuell, zu kopflastig und analytisch wird, verliert sie einen großen Teil ihres Charmes, denn was für zeitgenössische respektive moderne Werke stimmen mag, das muss nicht unbedingt ein gültiges Rezept für die Musik des 19. Jahrhunderts sein. Und da reicht dann auch nicht der Hinweis, dass Schönberg die beiden für die damalige Zeit recht progressiven Streichquartette von Brahms sehr geschätzt hat.

Spieltechnisch und interpretatorisch konnte das Tetzlaff-Quartett dann aber hundertprozentig überzeugen. Auch wenn ich die Mendelssohn- und Brahms-Konzepte für diskutabel (aber durchaus sehr interessant!) halte, so waren die Interpretationen in sich selbst wunderbar ausgefeilt und folgten ihrer eigenen Logik. Auch die Zusammenstellung war, wie schon gesagt, schlüssig und demnach Garant für ein aufregendes Konzerterlebnis. Die Positionen der zweiten Geige und des Cellos auszuwechseln, war eine gute Idee, weil es dem Klangbild in den drei Werken eine ganz andere Dynamik gab.