Donnerstag25. Dezember 2025

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KinoVon Boby Dylan bis zum Terror: „Like A Complete Unknown“ und „September 5“ sind angelaufen

Kino / Von Boby Dylan bis zum Terror: „Like A Complete Unknown“ und „September 5“ sind angelaufen
Symbolbild: Zwei neue Filme in der Kritik Quelle: Pexels/Pietro Jeng

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Zwei Filme, denen reale Ereignisse zugrunde liegen: Ist in „Like A Complete Unknown“ der Musiker Bob Dylan der Star, dreht sich in „September 5“ alles um die Terrorangriffe bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Sind die Filme sehenswert? 

„Like A Complete Unknown“: Suchbewegungen

Timothée Chalamet in „Like A Complete Unknown“
Timothée Chalamet in „Like A Complete Unknown“ Quelle: imdb.com

In „Like A Complete Unknown“ schlüpft Timothée Chalamet in die Rolle des Sängers Bob Dylan. Regisseur James Mangold zeichnet ihn als einen rastlosen, ständig suchenden Künstler – ein Biopic aus mythischer Reverenz und ehrfürchtiger Distanz. „Two hundred people in that room and each of them wants me to be somebody else. They should just shut the fuck up and let me be“, meint Bob Dylan (Timothée Chalamet) auf einer Party gegenüber seinem Manager. Er ist ein Künstler, der für die Musik lebt, seine Leidenschaft aber nur schwerlich mit der kollektiven Vereinnahmung in Einklang bringen kann.

Die Identitätssuche, die um Dylan greift, wenn er auf der Bühne auftritt, ist das zentrale Spannungsfeld von James Mangolds neuer Filmbiografie über den berühmten Musiker. „Like A Complete Unknown“ zeichnet den Lebensweg des Künstlers nach den bekannten Mustern des Biopics. Ausgehend von den frühen 60er-Jahren beobachten wir hier einen Aufstieg, der auch Entfremdung ist: Als Dylan im Alter von 19 Jahren nach New York City zieht – in abgewetzter Kleidung und mit einem kleinen Rucksack sowie einem Gitarrenkoffer ausgestattet –, trifft er auf den Singer-Songwriter Pete Seeger (Edward Norton), der ihm als Unterstützer zur Seite steht und ihn zunächst bei sich aufnimmt. Durch Open-Mic-Auftritte entdeckt Bob zunehmend seine eigene Bestimmung als Musiker und schon bald steht ihm die große, erfolgversprechende Karriere offen. Doch der zunehmende Ruhm lässt Dylan an seiner Identität zweifeln. Mangold zeichnet ihn als einen ständig Suchenden, eine Suchbewegung, die auch eine Flucht ist – eine Flucht vor tausenden erwartungsvollen Fans und einer profitorientierten Musikindustrie.

Spiegelverkehrt

James Mangold hat mit der Johnny-Cash-Filmbiografie „Walk the Line“ (2005), mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle, bereits ein viel beachtetes Porträt eines weltbekannten Künstlers entworfen. Da wurde der Ruhm mehr oder weniger unmittelbar als Ausdruck von Cashs Vergangenheit gelesen: Das Aufwachsen in ärmlichen Verhältnissen, die konfliktbeladene Beziehung zum Vater und der Tod des Bruders waren die wesentlichen Bezugsquellen für Cashs Karriere.

In „Like A Complete Unknown“ nimmt Mangold einen nahezu spiegelverkehrten Weg: Der von Timothée Chalamet mit viel eigensinnigem Temperament und kraftvoller Stimme interpretierte Dylan, mitunter einem trotzigen Kind gleich, kennt nur den Blick nach vorn, seine Vergangenheit blendet er weitestgehend aus – nie ist dem Künstler über biografische Anhaltspunkte wirklich nahezukommen. Er bleibt ungreifbar. Der Songname, dem Mangolds Biopic als Titel dient, ist äußerst programmatisch: Die Ikone Bob Dylan ist nicht das Ergebnis einer persönlichen Vita, sondern das Bild einer kollektiven Wahrnehmung.

Der Film bemüht mithin eine beständige Kombination aus mythischer Reverenz und ehrfürchtiger Distanz. Dabei lässt er der Musik besonders viel Raum, zeigt ausschweifend die jeweiligen Konzertauftritte. Daneben wird auf privater Ebene das Dreiecksverhältnis zwischen Sylvie Russo (Elle Fanning) und Joan Baez (Monica Barbaro), den beiden Wegbegleiterinnen in Dylans Leben, als ein Ausdruck der eigenen Identitätssuche angeführt.

Dylan als Sprachrohr

In einem übergeordneten Rahmen versucht die konventionell entwickelte Filmbiografie den Zeitgeist der 60er-Jahre aufleben zu lassen, in der Musik, der Kleidung, den Dekors – und auch in den Nachrichtenpassagen, die die politische Aktualität wiedergeben, von Protestbewegungen bis zum Kennedy-Attentat. Die Suchbewegung, die das Werk abbildet, ist so nicht nur eine persönliche, sondern spiegelt auch die gesellschaftlichen Umwälzungen wider.

In einer Zeit, in der die Jugend gegen Konventionen aufbegehrte und soziale Gerechtigkeit forderte, wird Dylans Musik, besonders auch seine Liedtexte, zum Sprachrohr einer ganzen Generation: Die künstlerische Entwicklung ist mit den politischen Bewegungen seiner Zeit verknüpft. Für Dylans leise Auflehnung zieht Mangold die bekannten Bilder des Kinos heran: Immer wieder wird er leitmotivisch auf dem Motorrad gezeigt, die Fahrbewegung als Freiheitsgefühl – hier scheint Dylan, in der Verweigerung der allumfassenden, kollektiven Besitzergreifung, in der Bewegung nach vorn, ganz bei sich. Ebenso verhält sich James Mangolds Film. „Like A Complete Unknown“ verweigert sich einem konkreten Zugriff auf Bob Dylan und mithin ein Stück weit dem Publikum.


„September 5“: Die Ambivalenz medialer Berichterstattung

Die Terrorangriffe in München 1972 sind Dreh- und Angelpunkt in „September 5“
Die Terrorangriffe in München 1972 sind Dreh- und Angelpunkt in „September 5“ Quelle: imdb.com

In „September 5“, dem neuen Spielfilm von Tim Fehlbaum, werden die Terrorangriffe während der Olympischen Spiele von 1972 in München aus der Perspektive der Nachrichtenmedien beleuchtet – als kammerspielartiger Thriller inszeniert, zeigt der Film das Spannungsverhältnis zwischen Aufklärungsarbeit und Sensationslust.

München, 5. September 1972: Die Olympischen Spiele sind in vollem Gange, der amerikanische Sender ABC ist vor Ort. Da werden neue Rekorde aufgestellt, es gibt Gewinner und Verlierer – der Sender verfolgt alles mit mehreren Kameras; im Kontrollraum des Senders, unweit des Geländes läuft alles zusammen; der Sportbericht wird zum kreativen Akt: Vom enttäuschten Verlierer schneidet man zum jubelnden Gewinner, es muss eine Großaufnahme des Gesichts sein. Alles ist getaktet. Für den Produzenten Roone Arledge (Peter Sarsgaard), den Aufnahmeleiter Geoffrey Mason (John Magaro) und die deutsche Übersetzerin Marianne (Leonie Benesch) ändert sich aber plötzlich alles: Als Schüsse zu hören sind, begreift das Nachrichtenteam, dass es unmittelbar Zeuge einer terroristischen Geiselnahme auf dem Gelände des großen Sportereignisses wird.

Terror aus Sicht der Medien

Der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum („Hell“ 2011; „Tides“ 2021) beleuchtet mit „September 5“ die Terroranschläge von München aus der Sicht der Nachrichtenmedien. Die rahmenden Ereignisse sind bekannt: Während der Olympischen Sommerspiele 1972 überfiel eine Gruppe palästinensischer Terroristen der Organisation „Schwarzer September“ das Olympische Dorf und nahm elf Mitglieder der israelischen Sportmannschaft als Geiseln. Die Geiselnahme, die mehrere Tage andauerte, endete mit einem misslungenen Befreiungsversuch am 6. September, den die deutschen Behörden zunächst zu kaschieren versuchten. Am Militärflughafen kam es zu einem Schusswechsel, bei dem alle elf Geiseln, fünf der Terroristen und ein deutscher Polizist ums Leben kamen. Die Ausstrahlung der Geschehnisse entwickelte sich umgehend zu einem medialen Ereignis, dem weltweit Millionen von Zuschauer vor den Bildschirmen beiwohnten.

„September 5“ ist als kammerspielartiger Thriller angelegt, die Begrenzung des Handlungsortes, sowie der Schilderung der Ereignisse in empfundener Echtzeit oder noch dem überschaubaren Figurenensemble haben an der Wirkung des Spannungsbogens erheblichen Anteil: Alles kulminiert am gleichen Ort, energische Wortgefechte zwischen den einzelnen Entscheidungsträgern werden zu Duellen um die moralische Deutungshoheit. Fehlbaum geht es um das unmittelbare Miterleben eines historischen Ereignisses aus dem Wahrnehmungsraum eines Nachrichtenteams der Sportredaktion, für die das globale mediale Event der Olympischen Spiele in nur wenigen Augenblicken zu einem Terrorakt wird. Das Team ist in der Folge einem paradoxen Dilemma ausgesetzt: Es befindet sich zugleich in der Position des unmittelbaren Beiwohnens, bei gleichzeitiger Abwesenheit – die Verantwortung tragenden Journalisten sind vor Ort und doch nicht direkt am Tatort.

Gratwanderung

Freilich hat das Themenkomplex der Ambivalenz medialer Berichterstattung sowie der Fehlbarkeit der Medien eine lange filmische Tradition: Schwarzsatirisch in Sydney Lumets „Network“ (1976) oder überragend zeitgemäß und systemkritisch in „The Insider“ (1999) von Michael Mann. „September 5“ beschaut die mediale Berichterstattung als einen nahezu kriegerischen Nebenschauplatz und steht unter diesem Aspekt dem fiktiven Kriegsfilm „Civil War“ (2024) von Alex Garland viel näher, der doch besonders die Ambivalenzen der Kriegsreportagen und deren medialen Abbilder ins Zentrum seiner Erzählung rückte.

Fehlbaums Film zeigt den Kontrollraum von ABC als kriegerischen Nebenschauplatz, als ein Kampf um die Information, deren Verarbeitung und anschließende Gestaltung im audiovisuellen Medium, bei dem Kameraperspektiven, Schnitt und Montage eine zentrale Rolle einnehmen. Da werden laut Befehle geschrien, Reporter in den Gebäudekomplex eingeschleust oder mit Kamera an den Schauplatz entsendet. Die Schuldkomplexe und Erinnerungsarbeit in Bezug auf die deutsche NS-Vergangenheit arbeitet Fehlbaum als kollektive Hintergrundfolie in die Erzählung ein. „September 5“ drängt immerzu auf die Frage der Überschreitung: Wo verläuft die Grenze zwischen Aufklärungsdrang und Sensationslust, zwischen nüchterner Dokumentation der Ereignisse und Mittäterschaft?