Die „Epicerie“ ist seit ihrer Konzeption vielfältig aufgestellt. Der Grundgedanke ist, dass jeder dort einkaufen kann. Bedürftigen, die beim örtlichen Sozialamt Hilfe in Anspruch nehmen, wird eine Ermäßigung auf den Warenkorb ermöglicht. Dieser setzt sich aus lokalen, regionalen, biologischen sowie Fairtrade-Produkten zusammen. Es sei wichtig, die Kundschaft des „Office social“ zu entstigmatisieren und einen diskreten Umgang zu gewährleisten, so Nathalie Morgenthaler (CSV), Sozialschöffin der Gemeinde Sanem und Mitglied des Verwaltungsrats von „Eis Epicerie“.
Ein Herzensprojekt
Ein weiterer Baustein sei von Anfang an die Arbeits-Philosophie gewesen: „Die ‚Epicerie’ engagiert Menschen, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, fördert Praktika und Ausbildungen und gibt Arbeitssuchenden eine Chance, sich wieder in die Arbeitswelt zu integrieren“, erklärt Morgenthaler. Die Beschäftigung von sogenannten „TUCs“ („travaux d’utilité collective“) und Revis-Begünstigten erlaubt der „Epicerie“ nun, Unterstützung von zwei Betreuungspersonen – in Zusammenarbeit mit dem ONIS (Amt für soziale Eingliederung) – zu bekommen.
Das Projekt fördere des Weiteren die Kreislaufwirtschaft, indem überschüssige Ware zu Tagesmenüs verarbeitet wird. Die Verantwortlichen der „Epicerie“ betreiben ebenfalls das Restaurant „Eis Brasserie“ im nationalen Boulodrome in Beles.
Nun stehen große Erweiterungs- und Umbauarbeiten in der „Epicerie“ bevor, die von der Gemeinde Sanem getragen werden: eine Investition von rund 1,3 Millionen Euro. Zu den Arbeiten zählen der Ausbau der Küche, die Installation einer Veranda, die Anpassung der Sanitärräume an die Regelungen für Personen mit eingeschränkter Mobilität sowie die Erneuerung des Daches – was jedoch nicht direkt in Verbindung zu der „Epicerie“ steht. Die Küche sei aktuell wegen des wachsenden Personals nicht regelkonform. Durch die Arbeiten erhofft Morgenthaler sich bessere Arbeitsbedingungen. Der Ausbau der Küche sei aber auch wichtig, da die Nachfrage an Tagesmenüs immer größer wird.
Die „Epicerie“ ist für Morgenthaler ein Herzensprojekt: „Es ist ein Projekt, wo es um die Menschen geht und nicht unbedingt um den kommerziellen Gedanken.“
Finanzlage nicht stabil
Oppositionsrat Serge Faber („déi gréng“) beäugt das Projekt und die bevorstehenden Umbauarbeiten etwas kritischer. „Die ‚Epicerie’ ist ein sehr interessantes Projekt, das von unserer Partei unterstützt wurde“, so Faber. Trotzdem habe es sich viel verändert: Es gehe immer mehr um den Gastronomie- und Catering-Bereich statt um den Lebensmittelladen, bemängelt Faber.
Eine weitere Kritik äußert Faber gegenüber der Finanzlage der „Epicerie“. Auch wenn es sich um Sozial- und Solidarwirtschaft handele, sei es immer noch ein Gewerbe. Das Projekt müsse nicht unbedingt hohen Gewinn erzielen, solle sich zumindest aber finanziell selbst tragen können. Dies war laut Faber in den letzten Jahren nicht der Fall. Ohne die Subventionen und Ermäßigungen der Gemeinde müsste die „Epicerie“ ihre Türen schließen. Dies sei nicht das Ziel einer SIS („Société d’impact sociétal“).
Die Gemeinde übernimmt einen Teil der Personalkosten und das Defizit von 2023 konnte so kurzerhand ausgeglichen werden. „Die Anfangsinvestition der Gemeinde, die eigentlich von der ‚Epicerie’ rückerstattet werden sollte, wurde einfach vergessen“, ergänzt Serge Faber. Dabei sei es wichtig, als Gemeinde zu wissen, ob ein Projekt sich irgendwann selbst tragen könne.
Faber und seinen Parteikolleg*innen stellen sich unterschiedliche Fragen: Woher kommen die Liquiditätsprobleme der „Epicerie“? Warum kann nicht zumindest das fest angestellte Personal von den Einnahmen bezahlt werden? Der Großteil des Personals wird von externen Akteuren wie der ADEM bezahlt.
Externe Revision zurückgewiesen
Im vergangenen Jahr fragte Faber in einer Gemeinderatssitzung nach einer externen Revision und Marktanalyse. Hier sollten nicht nur die Konten überprüft werden, sondern auch der Warenkorb, die Bedürfnisse der Kundschaft und der Ursprung der Geldprobleme. Die Resultate dieser Studie hätten Aufschluss darüber geben können, ob es sich lohnt, weiterhin in dieses Projekt zu investieren. Die Forderung einer Revision wurde aber von der LSAP-CSV-Mehrheit zurückgewiesen.
„Menschen, die die Hilfe des Sozialamts in Anspruch nehmen, sind gezwungen, mit ihrer ‚Karte’ in der Epicerie einzukaufen, doch entspricht der Warenkorb überhaupt den Bedürfnissen?“, so Faber. „Ich bezweifle, dass Bedürftige sich dafür interessieren, Nüsse oder Marmelade eines ‚Atelier protégé‘ zu kaufen“, ergänzt er.
Den anstehenden Umbauarbeiten sieht Faber deshalb skeptisch entgegen. Die Gemeinde investiere 1,3 Millionen Euro in die Gemäuer, ohne zu wissen, ob das Projekt in einem Jahr noch stehen wird. Faber betont, dass dies schade wäre, es sei aber eine nicht zu unterschätzende Gefahr: Die „Epicerie“ schreibe schließlich rote Zahlen. Warum es zwei separate Küchen gibt, ist für Faber ein Rätsel. Er spricht eher von „Downsizing“, die Verlagerung des gastronomischen Teils in ein einziges Restaurant würde Personal und Kosten sparen.
Umbau verspricht Erfolg
Myriam Cecchetti („déi Lénk“), Präsidentin des Verwaltungsrats, Mitbegründerin des Projekts und Oppositionsrätin, weist die Kritiken zurück. Mit dem Umbau nähere man sich wieder dem ursprünglichen Konzept: „Ein Lebensmittelgeschäft und eine Küche zur Schaffung eines ‚tiers lieu’ für das Dorf, wo Menschen zusammenkommen“, so Cecchetti.
Die „Epicerie“ erfuhr bis kurz vor der Pandemie 2020 einen großen Aufschwung. Man kam aus dem Bereich der roten Zahlen heraus, „Corona machte uns allerdings einen Strich durch die Rechnung“, erklärt Cecchetti. Das Restaurant wurde dann an die geltenden Schutzmaßnahmen angepasst. Dadurch verlor man auf der begrenzten Fläche einige Sitzplätze. Die pädagogischen Projekte, die für die „Epicerie“ sehr wichtig sind, konnten nicht mehr stattfinden. Das gesamte Konzept des Treffpunkts fiel auf einmal weg.
Ausbau ließ lange auf sich warten
Die Umbauarbeiten kamen in Verzug, was das Projekt in seiner Umsetzung beeinträchtigte. „Die Vergrößerung, vor allem die neue Veranda, wird dazu beitragen, dass die ‚Epicerie’ wieder rentabler wird“, so Cecchetti. Die Nachfrage sei da, es mangele schlicht an Raum. Die Rückmeldungen der Kundschaft seien zudem ganz positiv.
Unseren Gewinn kann man nicht unbedingt in Euro fassen, sondern auf vielen anderen Ebenen. Man gibt den Menschen Lebensqualität zurück. Wir sind mittlerweile eine große und wichtige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geworden.
Der soziale Aspekt der „Epicerie“ ist laut Cecchetti eine sehr nachhaltige und langlebige Aktion: „Die Menschen rappeln sich auf, sind weniger krank. Unseren Gewinn kann man nicht unbedingt in Euro fassen, sondern auf vielen anderen Ebenen. Man gibt den Menschen Lebensqualität zurück. Wir sind mittlerweile eine große und wichtige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geworden“, erklärt die Kommunalpolitikerin.
Cecchetti wünscht sich mehr Verständnis und Anerkennung für die Arbeit, die als „Epicerie solidaire et sociale“ im Sinne der Gesellschaft geleistet wird.
De Maart
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