Donnerstag25. Dezember 2025

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KunsteckeTiger im Mudam: Ein Streifzug durch „Time & the Tiger“ von Ho Tzu Nyen

Kunstecke / Tiger im Mudam: Ein Streifzug durch „Time & the Tiger“ von Ho Tzu Nyen
„Time & the Tiger“: Ausstellungsansicht im Mudam  Foto: Mareike Tocha

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Wechselausstellungen dauern meist vier bis sechs Monate im Mudam. Während die Ausstellung von Cosima von Bonin jetzt abgebaut wird, bereiten die Kuratoren die von Lubaina Himid & Magda Stawarska unter dem vielversprechenden Titel „Nets for Night and Day“ (ab 7. März) vor. Im Untergeschoss des Pei-Gebäudes ist die Expo „Time & the Tiger“, genau wie die Blumen der besonderen Art von Lisa Oppenheim, noch bis Ende August zu sehen. Es lohnt sich, denn die Besucher sind eingeladen, sich persönlich einzubringen.

Künstler gehen gerne auf die Zuschauer zu, laden diese ein, sich in irgendeiner Form in das künstlerische Geschehen einzubinden. Im Rahmen der Expo „Ho Tzu Nyen: Time & the Tiger“ (Kurator ist Christophe Gallois) können sie das auf originelle Manier mit einem „Brief an sich selber“ tun. „Drop in! Six Months From Now“ nennt sich die Einladung, sich selber einen Brief auf einen vorgedruckten Zettel zu schreiben. Inhalt der Message: Mach dir Gedanken über deine Zukunft, was würdest du gerne der Person sagen, die du morgen, in sechs Monaten oder in einigen Jahren sein wirst. Da sich Ho Tzu Nyen mit dem Begriff „Zeit“ auseinandersetzt, passt die Aufforderung sicherlich. Der Brief, den man so an sich selber adressiert, findet man später in der gewünschten Zeit im Briefkasten zu Hause. Man darf gespannt sein, ob die Aktion Erfolg hat.

Dies vorausgeschickt sei präzisiert, dass „Time & the Tiger“ die bislang umfangreichste Wanderausstellung von Ho Tzu Nyen ist und auf einer Zusammenarbeit von vier Kultureinrichtungen aus Asien, den USA und Europa basiert. Sie taucht in die Geschichte Ost- und Südasiens ein.

Einheit in der Pluralität

Der 1976 in Singapur geborene und im asiatischen Stadtstaat lebende Ho Tzu Nyen verarbeitet in mannigfaltiger Weise kulturelle Einflüsse aus Ost und West, schafft Werke mithilfe diverser Materialien und/oder Gestaltungstechniken und visualisiert so „seine Reflexionen über die Geschichte“ und die Rolle, die „Erzählungen, Mythen und Fiktion“ bei der „historischen Überlieferung“ spielen. Sein künstlerisches Œuvre ist weit gefächert, verinnerlicht Traditionen, Sprachen, Religionen und Kulturen aus diversen asiatischen Regionen. Interessant ist seine Erklärung, warum hierbei doch eine „Einheit“ gebildet wird. Diese „Einheit“, so unterstreicht der Künstler, „scheint vor allem in ihrer Pluralität und Wandlungsfähigkeit zu liegen“.

Im Begleitkatalog werden die einzelnen Arbeiten in allen Details erläutert, das ist wohl auch ob der komplexen asiatischen Geschichte und Gedankenwelt für einen europäischen Kunstfreund zum besseren Verständnis ganz nützlich. Dies gilt vor allem für das „Tigermotiv“. Verkörpert der Tiger für uns das „Raubtier“ schlechthin, so stellt dieses für Ho Tzu Nyen eine „nichtlineare Auffassung von Geschichte und Zeit“ dar. In den alten Kulturen, so wird erklärt, nimmt der Tiger „einen zentralen Platz ein, indem er die Verbindung zu den Geistern der Ahnen ermöglichte und zwischen der Welt der Menschen und der Tiere vermittelte“. Für den Künstler ist der Tiger eine „geisterhafte Gestalt an der Schwelle, die in der Lage ist, Raum und Zeit zu überwinden“. In der Kolonialzeit wurde der Tiger fast ausgerottet, doch „in dieser Geschichte ist der Tod nicht das Ende“.

Das Motiv des Tigers ist zentral in der Ausstellung
Das Motiv des Tigers ist zentral in der Ausstellung Foto: Mareike Tocha

Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang „One or Several Tigers“, das Gegenüber einer Lithografie aus dem 19. Jahrhundert von Heinrich Leutermann mit Bauingenieur Coleman im Bild und einer Art Puppenspiel mit Tiger indonesischer Herkunft, dies alles in einer Zweikanal-Videoprojektion verpackt. Durch computergenerierte Bilder werden beide Figuren zum Leben erweckt, singen im Duett und verschmelzen. Sie wechseln sich so in ihrer Darstellung ab, dass sich die Grenzen zwischen Mensch – was er repräsentiert – und Tier – was es symbolisiert – fast aufheben. Es gilt, geduldig den ganzen Ablauf der gekoppelten Projektion zu verfolgen, um die Botschaft zu erfassen.

„Time is money or more …“

Mit „CDOSEA“ im Auditorium entfaltet der Künstler „The Critical Dictionary of Southeast Asia“, ein spannendes „Wörterbuch“, das sowohl inhaltliche als auch visuelle Überraschungen bereithält. „Hotel Aporia“ im Foyer geht nicht wie die erwähnte Tiger-Installation auf die Kolonialgeschichte ein, doch ist dieses Werk auch hochpolitisch. Es handelt um den „Einfluss des japanischen Imperialismus in Asien während des Zweiten Weltkrieges“. Hier wird aus ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten in Form von Videos eine an sich geschlossene „Anklage-Collage“ zusammengestellt, eine Arbeit, die ursprünglich für eine Präsentation in Japan selbst gedacht war.

„T for Time: Timepieces“ in der Westgalerie ist eine überwältigende Videoprojektion, in der Bilder aus „verschiedenen Kontexten mit Animationsfilmen und einer Vielzahl von Referenzen und Anekdoten zum Begriff ‚Zeit‘ aufgegriffen werden“. Das Erlebnis ist faszinierend. Man schaut sich eine Wand mit zig Bildern und Filmchen auf kleinen und mittleren Bildschirmen an, schaut hin und her, versucht die einzelnen Abläufe zu verfolgen, wird aber gleich von einem anderen Bild abgelenkt, kurzum es ist ein Eintauchen in neue Welten, ein Ablauf von Erinnerungen und eine Freude, immer wieder Neues zu entdecken. Jedes Element greift das Thema „Zeit“ unterschiedlich auf. Da spielt die Pendeluhr, dreht die Wasseruhr, ziehen die Wolken vorbei, blättern die Kalendertage, wird der Apfel geschält, die Eintagsfliege ausgemacht, der Kaffee „dekoriert“, das Herz durchleuchtet und im Endeffekt tickt die „Zeitbombe“, eine Anspielung auf die berühmte „Weltuntergangsuhr“, die Martyl Langsdorf 1947 entworfen hat, damals um die Angst vor einer „nuklearen Katastrophe“ zu veranschaulichen. Allein dieses Zeit-Erlebnis ist einen Besuch wert.

„Zeit“ und „Tiger“, zwei ganz verschiedenartige Motive, die bei dem Künstler Ho Tzu Nyen in dieser Ausstellung zur Triebfeder seines künstlerischen Schaffens und engagierten Einsatzes für eine nuancierte Aufarbeitung asiatischer Geschichte, Kultur, Philosophien und Mythen werden. Nicht zuletzt ist dies ein Plädoyer gegen das Vergessen und eine oft praktizierte kurzsichtige Oberflächlichkeit.

Der Künstler hat seine Werke weltweit gezeigt und seine Arbeiten sind in bekannten Institutionen vertreten, auch hat er Singapur 2011 auf der 54. Biennale in Venedig repräsentiert. Wer mehr über ihn wissen möchte, dem sei „Lunchtime at Mudam“ am 7. März und am 2. Juni 2025 sowie die Mudam-Akademie am 9. April um 18.00 Uhr empfohlen.

Infos

„Time & the Tiger“ von Ho Tzu Nyen bis 24. August 2025. Details zur Expo und dem Begleitprogramm auf mudam.lu.