Bis vor achtzig Jahren kamen Tausende von Juden, Kindern, Frauen und Männern mit der Bahn, in Viehwagen verfrachtet, in der Endstation Auschwitz an. Was mit den Juden geschah, wissen heute alle, außer einer Minderheit, die es nicht wissen will.
Am neunzigsten 27. Januar, in zehn Jahren, wird höchstwahrscheinlich kein Überlebender mehr dabei sein, um das Wort zu ergreifen und aus seiner Erinnerung zu erzählen. Nach dem Tod des letzten Überlebenden wird das Vergessen unweigerlich beginnen. Dann muss die Geschichte übernehmen.
1945 verstummten die Heimkehrer sehr schnell. Niemand war bereit, ihre Geschichte anzuhören. Heimkehrer störten die glückliche Atmosphäre der Wiedervereinigung am Ende des Krieges, wie Gäste ohne Manieren. Die Wörter für das Unsagbare gab es damals nicht und es gibt sie auch heute noch nicht. Wir Unbehelligten werden immer Außenstehende bleiben. Dass das Vergessen schon begonnen hat, spiegelt sich in den Reaktionen junger Schüler auf die Geschichten der Überlebenden wider, wenn von einzelnen Tränen, von Gänsehaut, von Verständnis die Rede geht. Nur eine anhaltende Verstörtheit wäre die angemessene Reaktion auf das Unsagbare.
Deshalb ist Vergessen überlebenswichtig. Aber genauso überlebenswichtig ist das geschichtliche Nichtvergessen durch eine unerbittliche Aufarbeitung der Umstände, der Ursachen und des politischen Willens oder dessen Abwesenheit, welches das Unsagbare möglich machte.
Wenn wir es ehrlich mit Nichtvergessen halten, müssen wir endlich die Wahrheit, ja, die Wahrheit an unsere Jugend weitergeben in unnachgiebigen, schonungslosen Geschichtsbüchern, um den angehenden Bürgern zwingend die Komplexität eben dieser Wahrheit und seiner Unumgänglichkeit einzupauken.
Solcherart gewappnet mögen Menschen nach Auschwitz reisen und versuchen, das Unsagbare zu verstehen.
Ich habe mich immer als Jude ehrenhalber gefühlt. Ich kam zur Welt, als man sie noch in Auschwitz verbrannte. Auch nach achtzig Jahren bleibt es für mich unvorstellbar, mit offenen Augen, im Frieden verwöhnt, durch das Tor hindurch den Bereich der geschändeten Seelen zu betreten.
 
		    		 De Maart
                    De Maart
                 
                               
                           
                           
                           
                           
                           
                          
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