Vielleicht sitzt er zum letzten Mal an einem Debattentag auf dem Stuhl mit der erhöhten Lehne, auf dem Kanzler-Stuhl. Nachdem Olaf Scholz das Plenum betreten hat, winkt er kurz zur SPD-Fraktion, scherzt mit Verteidigungsminister Boris Pistorius – und zeigt seinem Noch-Vizekanzler Robert Habeck zunächst demonstrativ auf der Regierungsbank die kalte Schulter. Scholz hat etwas vor, um diesen Stuhl zu verteidigen. Es liegt etwas in der Luft unter der Reichstagskuppel.
Ein anderer sitzt in dieser finalen Sitzung des 20. Deutschen Bundestags vielleicht zum letzten Mal mittig in der ersten Reihe ganz außen, auf dem Platz des Oppositionsführers. Als Friedrich Merz in den Saal kommt, führt er ein paar Gespräche, schlendert dann zu seinem Stuhl. Der Scholz-Herausforderer blickt einmal kurz in Richtung Regierungsbank und hoher Lehne – sein Ziel. Er wird eine Überraschung erleben. Oder wie er später rufen wird: „Was war das denn?“
Die schwerste Hypothek, die wir mitnehmen aus dieser Wahlperiode, ist, dass sich diese Fraktion (AfD) fast verdoppelt
Noch einmal in der Schlussphase des Wahlkampfs im Parlament glänzen, noch einmal Punkte setzen und vielleicht ein paar Signale der Versöhnung senden nach den harten Auseinandersetzungen um die Asylpolitik vor gut zwei Wochen im Bundestag und im Wahlkampf. Es muss ja weitergehen ab dem 24. Februar, am Tag nach der Bundestagswahl. Doch die letzte Generaldebatte vor der Wahl wird vor allem zu einer bitteren Abrechnung der Spitzenkandidaten miteinander.
Den Anfang macht der Kanzler – und es wird gleich klar, was genau sich Scholz für diese Debatte vorgenommen hat: Er wird sich an seinem Herausforderer von der Union abarbeiten. Und das nicht zu knapp. „Der Wind weht von vorn“, so der Kanzler. Es brauche daher jetzt weiter Vernunft, Besonnenheit, Führungs- und Nervenstärke. „Nicht Wankelmut und Sprüche klopfen.“ Merz stehe für ständige Kehrtwenden, „die haben ja System und die passieren Ihnen immer wieder“. Mit Blick auf seine eigene Politik gibt es viel Eigenlob: Er habe Deutschland durch den Krisen-Winter 2022 gebracht, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte. Seine Regierung habe „der EU Beine gemacht“ beim Bürokratieabbau.
Scholz attackiert, Merz erwidert
Der Kanzler weiter: Der CDU-Chef dürfe keine Verantwortung tragen für Deutschlands Sicherheit, wenn er sich mal festgelegt habe, habe er falsch gelegen. „Gerade in schwierigen Zeiten muss ein Kanzler die Nerven behalten“, ruft Scholz. Er spricht Merz die Kanzlerfähigkeit ab – ich oder er. Und erneut wirft er dem CDU-Mann vor, dass er möglicherweise auch nach der Wahl mit der AfD zusammenarbeiten werde. „Wenn Friedrich Merz den Kompromiss unter Demokraten zu schwierig findet, dann macht er gemeinsame Sache mit denen da“, deutet der Kanzler nach rechts. Es gehe am 23. Februar daher darum, „eine Mehrheit von Union und AfD zu verhindern. Es geht darum, Schwarz-Blau unmöglich zu machen.“ Das sitzt.
Merz macht sich während der Rede des Kanzlers Notizen, er fährt leicht auf seinem Stuhl hin und her, grinst und lacht ungläubig. Als er dann am Rednerpult steht, sagt der Unionsmann feixend den bereits erwähnten Satz: „Was war das denn?“ Merz erntet begeistertes Gelächter der Union. „25 Minuten abgelesene Empörung über den Oppositionsführer.“ Scholz verwechsle den Plenarsaal „mit dem Juso-Bundeskongress“, stichelt der Kandidat. Der SPD-Mann nehme „offenbar die Wirklichkeit überhaupt nicht mehr wahr“. Der so Attackierte liest stoisch Papiere auf der Regierungsbank.
„Animalisches Grunzen der AfD-Fraktion“
Erneut erteilt Merz einer Zusammenarbeit mit der AfD eine Absage. Das komme nicht in Frage. „Herr Bundeskanzler, es ist ein Popanz, den sie hier aufbauen.“ Dann wird Merz grundsätzlich: „Die schwerste Hypothek, die wir mitnehmen aus dieser Wahlperiode, ist, dass sich diese Fraktion fast verdoppelt“, sagt er und zeigt auf die AfD. „Das liegt nicht an der Opposition, das ist das Ergebnis Ihrer Regierungspolitik“ – die Union jubelt und klatsch rhythmisch. Merz mahnt schließlich, dass nach der Wahl die nächste parlamentarische Mehrheit wohl eine letzte Chance habe, die großen Probleme zu lösen. Das müsse dann „in der Mitte“ geschehen, richtet der Kandidat seinen Blick nach links. Auf die SPD. Es scheint, als reiche er den Sozialdemokraten die Hand.
Robert Habeck hockt derweil auf der Regierungsbank, grübelt vor sich hin und schaut aufs Handy. Als er an der Reihe ist, setzt er bewusst einen ganz anderen Akzent – Habeck gibt den Klimaminister. Das wichtigste Zukunftsthema sei der Schutz des Klimas und der Kampf gegen die globale Erderwärmung. Es stehe daher „die Richtungsentscheidung an, ob wir gegenüber dieser historischen Aufgabe standhalten“, so Habeck. Bei der AfD wird beim Wort Klimaschutz laut aufgestöhnt – Habeck kommentiert: „Das animalische Grunzen der AfD-Fraktion.“
Deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel spricht als letzte der Anwärter auf den Stuhl mit der hohen Lehne. Sie zeichnet erneut ein düsteres Bild vom Zustand des Landes. Weidel geht dann Zwischenrufer von links direkt an: „Sie haben alle noch nie in ihrem Leben gearbeitet. Noch nie in ihrem Leben haben Sie hier gearbeitet.“ Im Parlament wird gelacht, auf der Regierungsbank kichert Robert Habeck – es ist ein bitteres Lachen am letzten, harten Debattentag des Bundestags vor der Wahl.
De Maart
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