Sonntag21. Dezember 2025

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Forum / Wir müssen die Stromversorgung dekommodifizieren
 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die internationale Gemeinschaft ist sich seit langem der dringenden Notwendigkeit bewusst, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und auf erneuerbare Energien umzusteigen. Und in den letzten Jahren haben sich viele Regierungen verpflichtet, die Treibhausgasemissionen netto auf null zu senken, wenn auch über extrem lange Zeiträume. Sie werden dieses Ziel freilich nie erreichen, solange sie den elektrischen Strom, der zur Umstellung auf saubere Energieträger von zentraler Bedeutung ist, wie jedes andere Marktgut behandeln.

Der Umstieg auf umweltfreundliche Energien wird von verschiedenen Faktoren angetrieben, z. B. der Energieintensität, Investitionsströmen, den Verbrauchsmustern und Verteilungssystemen. Der Erfolg der Energiewende hängt jedoch von der Fähigkeit der Menschheit ab, von „schmutzigen“ fossilen Brennstoffen auf saubere, erneuerbare Energiequellen, insbesondere Sonnen- und Windenergie, umzusteigen. Und das erfordert tiefgreifende Veränderungen der Art und Weise, wie Strom erzeugt, verteilt und verbraucht wird.

Ökonomen und politische Entscheidungsträger haben die Energiewende lange als eine Frage relativer Preise dargestellt. In den letzten Jahrzehnten sind die Kosten für Wind- und Solarenergie aufgrund des technologischen Fortschritts drastisch gesunken – vor allem in China, wo staatliche Maßnahmen zum Wachstum umweltfreundlicher Industrien und zur Senkung der sogenannten Stromgestehungskosten (LCOE) beigetragen haben. Nach dieser weit verbreiteten Messgröße für den Vergleich von Energiequellen schneiden erneuerbare Energieträger durchweg besser ab als fossile Brennstoffe. Das galt selbst, bevor externe Schocks wie der Ukraine-Krieg die Öl- und Gaspreise in die Höhe schießen ließen.

Theoretisch hätten diese Entwicklungen die weltweite Abkehr von fossilen Brennstoffen beschleunigen müssen. In der Praxis jedoch ergänzen die erneuerbaren Energiequellen lediglich das Gesamtangebot an Energie. Derweil steigern sowohl die entwickelten Länder als auch die Entwicklungsländer weiterhin die Produktion fossiler Brennstoffe und investieren massiv in die Erschließung neuer Vorkommen.

Diese Diskrepanz lässt sich nicht vollständig durch Marktkräfte oder relative Preise erklären. Im Laufe der Jahre haben viele die politischen Führungen für die mangelnden Fortschritte beim Klimaschutz verantwortlich gemacht, insbesondere, nachdem in Ländern wie den USA und Argentinien Klimawandelleugner an die Macht gekommen waren. Doch auch diese Erklärung greift zu kurz.

Rentabilität als treibende Kraft

Wie der Wirtschaftsgeograf Brett Christophers in seinem Buch „The Price is Wrong: Why Capitalism Won’t Save the Planet“ argumentiert, besteht das eigentliche Problem in dem Versäumnis, auf zwei grundlegende Wahrheiten über die Beschränkungen offener Märkte zu reagieren. Erstens sind nicht die Produktionspreise, sondern die relative Rentabilität die treibende Kraft hinter den Investitionen und der Produktion des Privatsektors. Zweitens ist elektrischer Strom aufgrund seiner Beschaffenheit per se schlecht geeignet, um „vom Markt regiert“ zu werden, was ohne massive staatliche Eingriffe unweigerlich zu suboptimalen Ergebnissen führt.

Laut Christophers entspricht elektrischer Strom der Definition „fiktiver Güter“ des Wirtschaftshistorikers Karl Polanyi. In seinem bahnbrechenden Werk „The Great Transformation“ vertrat Polanyi die Ansicht, dass Land, Arbeit und Geld nicht dazu gedacht seien, innerhalb von Marktsystemen zu funktionieren. Anders als bei herkömmlichen, explizit für den Handel produzierten Gütern führe die Kommerzialisierung fiktiver Waren zu ineffizienten und instabilen Markttransaktionen und damit unweigerlich zu wirtschaftlichen und sozialen Verzerrungen.

Damit diese Märkte funktionieren, bedarf es umfangreicher öffentlicher Interventionen in Form von Gesetzen, Vorschriften, sozialen Normen und expliziten und impliziten Subventionen. Diese Eingriffe schaffen die Illusion eines funktionierenden Marktes, obwohl Preise und Gewinne letztlich von öffentlichen und sozialen Mechanismen bestimmt werden.

Christophers verweist darauf, dass die Stromversorgung lange Zeit als wesentliche öffentliche Infrastruktur behandelt wurde, wobei die Erzeugung und Verteilung von Strom außerhalb des Marktes erfolgten. In den letzten Jahrzehnten hat das Gewinnstreben zu einem weltweiten Vorstoß zur Entflechtung und Kommerzialisierung von Erzeugung, Verteilung und Verbrauch geführt. Doch trotz der Fassade wettbewerbsfähiger Märkte ist der Sektor weiterhin stark von verschiedenen Formen staatlicher Intervention abhängig.

Die einzigartigen Eigenschaften elektrischen Stroms stellen den Übergang zu sauberer Energie vor große Herausforderungen. Wind- und Solarenergie sind von Natur aus unstetig, was zu schwankender Leistung und Preisschwankungen führt. Erschwerend kommt hinzu, dass öffentliche Subventionen für „grüne“ Investitionen in Zeiten geringer Nachfrage zu Überkapazitäten führen können, während ihre Rücknahme häufig dazu führt, dass sich Investoren aus dem Sektor zurückziehen.

Und obwohl erneuerbare Energien inzwischen billiger sind als fossile Brennstoffe, sind die damit erzielten Gewinne gering und unsicher. Christophers veranschaulicht diese selbstkannibalisierende Dynamik und zeigt auf, wie sie sich in verschiedenen Volkswirtschaften – von den USA über Norwegen bis hin nach Indien – ausgewirkt hat.

Instabilität untergräbt die „Bankfähigkeit“ umweltfreundlicher Projekte und erschwert die Finanzierung erneuerbarer Energien. Es sollte daher nicht überraschen, dass die viel gepriesene, im April 2021 auf der COP26 ins Leben gerufene und vom ehemaligen Gouverneur der Bank von England und UN-Sonderbeauftragten für Klimapolitik und Finanzen Mark Carney propagierte Glasgow Alliance for Net Zero bereits ins Wanken geraten ist, nachdem sich die sechs größten US-Banken in kurzer Folge aus der Allianz zurückgezogen haben. Dies geschah, bevor Donald Trump mit seiner Rückkehr ins Weiße Haus noch weiter vor derartigen Investitionen abschreckte, indem er eine Exekutivanordnung erließ, die die Bemühungen um einen Green New Deal in den USA praktisch beendeten.

Strom ist keine Ware

Die Lösung besteht jedoch nicht darin, den umweltfreundlichen Kapitalismus durch Abbau von Investitionsrisiken zu subventionieren, auch wenn derartige Maßnahmen unvermeidlich sind, wenn erneuerbare Energien lebensfähig bleiben sollen. Der Schlüssel liegt vielmehr in der Erkenntnis, dass Strom keine Ware ist. Folglich müssen wir alle Aspekte der Energieerzeugung und -verteilung umstrukturieren, und zwar sowohl im Hinblick auf erneuerbare Energien als auch auf fossile Brennstoffe.

Am wichtigsten ist, dass die Regierungen für eine echte Dekarbonisierung einen proaktiveren Ansatz wählen müssen. Anstatt hinter den Kulissen als Marktmittler zu agieren, müssen die politischen Entscheidungsträger die direkte Verantwortung für die Erzeugung und Verteilung erneuerbarer Energien übernehmen.

Dieser Ansatz ist alles andere als radikal. Vor dem Aufkommen des Neoliberalismus spielte der Staat eine zentrale Rolle beim Aufbau und der Verwaltung wichtiger Infrastrukturen, einschließlich der Energiesysteme. Um den Umstieg auf umweltfreundliche Energieträger zu erleichtern, muss er diese Verantwortung erneut übernehmen. Die erwarteten Gewinne des Privatsektors aus der Erzeugung erneuerbarer Energien reichen schlicht nicht aus, um den notwendigen Wandel voranzutreiben, obwohl weltweit die dringende Notwendigkeit dazu besteht. Solange sich die politischen Entscheidungsträger nicht mit dieser Realität abfinden, werden ihre Bemühungen, den Umstieg auf erneuerbare Energien zu beschleunigen, weiterhin zu kurz greifen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Jayati Ghosh ist Professorin für Volkswirtschaft an der University of Massachusetts in Amherst und Mitglied der Transformational Economics Commission des Club of Rome sowie Co-Vorsitzende der Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT).

Copyright: Project Syndicate, 2025. www.project-syndicate.org

Jayati Ghosh
Jayati Ghosh Foto: Project Syndicate
Grober J-P.
3. Februar 2025 - 10.10

Wenn man es richtig anpackt wird Solar und Wind wohl genügen. Die Sonne ist unser bestes „ATOM“ Kraftwerk. Denke an „Solarnationen“, Spanien, Marokko, Algerien, usw. Solarstrom und Wind kann man auf mehrere Weisen „bunkern“. Innovation heißt hier das Zauberwort.
Atomstrom ist im Gesamten viel zu teuer. Der Endverbraucher würde wahrscheinlich staunen, wenn er den Rückbau und die Endlagerung direkt mitbezahlen müsste.

JJ
3. Februar 2025 - 8.33

Nur Wind und Solar wird niemals langen den Bedarf zu decken. Da sind sich die Experten einig.
Was grüne Ideologie bewirken kann hat man in Deutschland gesehen.Das Land mit dem höchsten Strompreis und der erste Black Out wäre längst fällig wenn die Nachbarländer das Netz nicht bedienen würden.