Mittwoch22. Oktober 2025

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Streitgespräch UEL/CSLGerecht ist, heute zu handeln, um morgen nicht vor einem Scherbenhaufen zu stehen

Streitgespräch UEL/CSL / Gerecht ist, heute zu handeln, um morgen nicht vor einem Scherbenhaufen zu stehen
 Fotocollage: Louis Elsen/Tageblatt

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„Gerechtigkeit“ gilt laut Duden als das „Prinzip eines staatlichen oder gesellschaftlichen Verhaltens, das jedem gleichermaßen sein Recht gewährt“. Die Definition hilft uns, die luxemburgische Rentendebatte einzuordnen. In der Tat, das Rentensystem fußt einerseits auf einem gesetzlichen Rahmen, und andererseits auf einem sozialen Konsens, einem schwer abzugreifenden gesellschaftlichen Vertrag zwischen Jung und Alt, zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern. Einem jeden muss sein „Renten-Recht“ gewährt sein und auch bleiben. Gerechtigkeit ist also „ein Recht gewähren“, ist aber keinesfalls gleichzustellen mit Gleichheit.

Unser gesetzliches Rentensystem ist beneidenswert und sicherlich ein Herzstück eines starken Sozialmodells, das wir aufgrund unserer starken wirtschaftlichen Dynamik sukzessiv aufbauen und weiterentwickeln konnten. Das Rentensystem zielt primär darauf ab, als eine Art langfristige „staatliche Lebensversicherung“ Risiken in der Zeit umzuverteilen: In seiner aktiven Laufbahn zahlt man ein, damit finanziert man gemäß Umlageverfahren die aktuellen Rentenbezüge aber schafft sich gleichzeitig einen Rentenanspruch, ein Versprechen „auf Zeit“ um nach den Arbeitsjahren auch über eine Rente zu verfügen.

Das Rentensystem ist nicht primär, wie die Steuern und Sozialausgaben, eine Umverteilungsmaschine von Einkommen, auch wenn sich über die Jahre und Jahrzehnte hinweg immer mehr solcher Parameter „eingeschlichen“ haben: Studienjahre die beitragslos angerechnet werden, Babyjahre, Mindestrenten, soziale Zuschläge usw. Jede auch noch so gut gemeinte „soziale Errungenschaft“ muss nicht automatisch auch „gerecht“ sein im Sinne eines beitragsfinanzierten Rentensystems. Dies bringt uns jedoch zurück zur Ausgangsfrage: Ist das Luxemburger Rentensystem gerecht bzw. welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit wir von einer wirklichen und wahrhaftigen Gerechtigkeit reden können und wo stehen wir heute in Bezug auf diese Parameter? In der Folge werden wir drei solcher Parameter Revue passieren lassen und kurz kommentieren.

Als Erstes ist es zweifellos gerecht, dass man, aufgrund der Langfristigkeit der abzudeckenden Risiken (ein junger Mensch zahlt ein, um in 40 Jahren einen Anspruch geltend zu machen, der dann auch nach 40 Jahren finanziert werden muss) das System auch ebenso langfristig denkt. Hier hat Luxemburg, leider, den wirtschaftlichen Boom der letzten 20-25 Jahre zu sehr genutzt, um im „hier und jetzt“ die Ausgaben sehr stark in die Höhe zu treiben. Die Verdopplung der Beitragszahler generierte ein unerwartetes Geschenk, bei dem viele Beitragszahler verhältnismäßig wenigen Beitragsnehmern überproportionale Leistungen finanzierten. Mit dem Resultat, dass heute das durchschnittliche Gesamteinkommen eines Rentners (darin enthalten auch Rentner des öffentlichen Dienstes) jenes einer durchschnittlichen aktiven Person übersteigt.

Der Jobmotor stockt jedoch schon heute, bis 2040 wird sich die Anzahl der Rentner fast verdoppeln, aber nicht jene der Beitragszahler (oder glauben wir an eine Million Beschäftigte in 15 Jahren?). Gerechtigkeit zwischen Generationen sieht anders aus. Ungerecht wäre es folglich auch, immer weniger nachrückenden Beitragszahlern immer mehr Beiträge aufzubrummen, um über Jahrzehnte die hohen Renten einer immer zahlreicher und älter werdenden Bevölkerung zu stemmen.

Gerecht ist es, dass Leistungen an Beiträge gekoppelt werden: Spätere Leistungen müssen irgendwann über erhobene Beiträge finanziert werden. Es obliegt nicht einem lebensversicherungsähnlichen, beitragsfinanzierten System, Leistungen finanziell zu stemmen, für die niemand jemals einen Obolus entrichtet hat. Verstehen wir uns nicht falsch: Die Politik darf Ansätze wählen, die das beitragsfinanzierte System (wo Leistungen und Beiträge Hand in Hand gehen müssen) noch „gerechter“ machen: Mindestrente, soziale Zulagen, Anrechnung von Babyjahren mit „fiktiven Beiträgen“, aber ganz „realen Leistungen“, arbeitsmarktspezifische Ansätze usw., alles dies sind politische Entscheidungen. Diese bewerten wir nicht per se, sondern stellen lediglich fest, dass sie „systemfremd“ sind. Es ist halt bloß nicht „gerecht“, wenn für solche Leistungen keine Beiträge entrichtet werden, sei es vom Beitragszahler selbst, oder zumindest seitens des Staatshaushalts. Ungerecht ist, nur weil wir es uns gestern leisten konnten, heutige Rentenansprüche ohne jegliche Gegenfinanzierung auszuschütten und damit die Aussichten, dass auch die heutigen (und die zukünftigen) Arbeitnehmer im Alter vernünftige Bezüge beziehen können, schmälern.

Gerechtigkeit des aktuellen Systems kann man auch in Bezug auf den „Generationenvertrag“ in Frage stellen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben über die letzten 20-25 Jahre (während der „Jobwunder-Jahre“) eigentlich zu viele Beiträge gezahlt. Aus diesem Grund (und dank der Erträge, die das geschaffene Vermögen zusätzlich erwirtschaftete) konnten wir eine Rentenreserve von rund 30 Milliarden Euro generieren. Einige Kommentatoren berufen sich gerne auf das „Umlageverfahren“ und verteufeln geradezu im gleichen Atemzug Kapitaldeckungsverfahren. Aber wenn wir die „reine Umlage“ gehabt hätten, wären jetzt die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber und der Staat um jeweils zehn Milliarden reicher. Es gab aber den ungeschriebenen Konsens und auch den notwendigen gesellschaftlichen Zusammenhalt (und wahrscheinlich auch die Einsicht, dass das „Beschäftigungswunder“ nicht ad aeternam weiterzuführen sein kann), um eben keine Beitragssenkungen zu fordern, sondern die Rücklagen aufzubauen. So können auch zukünftige Generationen vom vergangenen wirtschaftlichen Erfolg etwas profitieren und wir können, dank der Rücklagen, auf kurzfristige wirtschaftliche und gesellschaftliche Schocks angemessen reagieren. Gerecht ist es, diese Rücklagen nachhaltig zu verwalten. Ungerecht wäre es, dieses Geld aus den letzten 25 Jahren binnen kurzer Zeit zu „verbraten“, nur weil wir nicht in der Lage wären, eine notwendige Rentenreform anzustoßen.

Das Luxemburger Rentensystem ist stark. Der gesellschaftliche Konsens ist stark. Bündeln wir diese Kräfte, um unser System zukunftsfähiger aufzustellen. Ohne Beitragserhöhungen, denn auch diese sind sowohl zutiefst ungerecht als auch nicht notwendig, wenn man eine Reform anstößt, die auf die Nachhaltigkeit abzielt. Und sicherlich auch indem man die Gerechtigkeit zwischen öffentlichem Dienst und Privatsektor auch nicht aus den Augen lässt.


 Fotocollage: Louis Elsen

Rentengerechtigkeit heißt auch Verteilungsgerechtigkeit – unter dem Titel macht sich CSL-Direktor Sylvain Hoffmann Gedanken über das Luxemburger Rentensystem. „Sind wir der Meinung, dass die Altersarmut weiter steigen soll, oder sind wir bereit, gegebenenfalls die nötige Finanzierung aufzubringen, um das aktuelle Rentensystem zu erhalten und aufzubessern?“, lautet eine der Leitfragen, an denen sich der Vertreter der Arbeitnehmer in seinem Diskussionsbeitrag entlanghangelt. Den ganzen Text finden Sie hinter diesem Link.

Hild Charles
1. Februar 2025 - 9.40

Nehmen wir einmal an, von 100 Leuten sind 20 stinkereich und könnten von den Mieteinnahmen und Kapitalerträgen der eigenen Firma ewig Leben. Die Rentenfrage ist denen eigentlich schnuppe, es sei denn die wirtschaftliche Lage wird heikler. Die anderen 80 Leute sind im Alter auf Rente angewiesen. Von ihnen haben 50 eine ganz ordentliche, richtig bis gute Rente, und die anderen 30 haben eine Hungerrente. Richtigerweise empfindet man das als echt krass ungerecht. Jeder normale denkende Mensch verlangt angesichts dieser Diskriminierung, dass die Hungerrenten erhöht werden sollten, und zwar durch bessere Besoldung in der aktiven Zeit. Wer mehr verdient, zahlt mehr ein und erhält dann mehr Rente. Hier in Luxemburg sehen so manche das anders. Hier wünschen einige Bösewichte eine deutlich Verschlechterung der 50 ordentlichen Renten um die 30 Hungerrenten auf zu bessern. Ja klar, das wäre sicher auch eine Lösung. Sehr befremdend ist allerdings die Tatsache, dass eben diese sogenannte Wunderlösung exklusiv nur von Vertretern der ersten Gattung, den stinkereichen, vorgetragen wird.