Sonntag21. Dezember 2025

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La spoliation des biens juifs (9)Der Fall Landerer: Verfolgt, beraubt, ruiniert, diskriminiert 

La spoliation des biens juifs (9) / Der Fall Landerer: Verfolgt, beraubt, ruiniert, diskriminiert 
Pauline Landerer-Zimmermann (r. mit Hut) mit ihren Töchtern Hélène (* 1930) und Rosa (*1934) am 23. Januar 1942 in Lunel (in der Nähe von Montpellier), wo sie mit anderen Luxemburger Flüchtlingen „Großherzogins Geburtstag“ feiern, unter ihnen eine Reihe junger Luxemburger, die man im Laufe des Krieges in den Reihen der Alliierten und der Resistenz wiederfindet, wie Robert Winter und Robert Dumont (Brigade Piron), Johnny Knaff (RAF), Armand Schleich (Nachrichtensprecher BBC), Alfred Probst (FTP). Quelle: Revue, 4. Februar 1967, S. 14. https://persist.lu/ark:70795/5p4t0hrpnd/pages/14/articles/DIVL325

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Am Tag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Luxemburg am 10. Mai 1940 verlassen Bernard (Beni) und Pauline Landerer-Zimmermann mit ihren Töchtern Hélène und Rosa (Details zur Familienbiografie in: https://memorialshoah.lu/de/story/0294-landerer-zimmermann), wie viele andere Escher Familien auch, Esch/Alzette und flüchten nach Frankreich ins Exil. „In die Evakuation sind wir zu Fuss gewandert bis Etain, erst dort durften wir den Zug besteigen (…). Mitgenommen hatten wir: 1 Damenfahrrad, auf dem wir unsere Habseligkeiten transportierten, es waren dies etwas Leibwäsche, sowie eine Schlafdecke zum Einwickeln der jüngsten Tochter, damals 5 ½ Jahre“, so erinnert sich Pauline Landerer-Zimmermann später.1

Wie tausende andere Familien werden auch sie an eine baldige Rückkehr geglaubt und insgeheim darauf vertraut haben, dass die französische Armee die Wehrmacht stoppen wird und zudem wohl auch inständig gehofft haben, ihre zurückgelassenen Waren, Erinnerungsstücke und Vermögenswerte bei der Rückkehr (halbwegs) unversehrt vorzufinden.

Bei vielen, wie auch bei den Landerers, wird sich diese Hoffnung jedoch zerschlagen. Die meisten der nach Frankreich Geflüchteten können spätestens im Sommer 1940 nach Luxemburg zurückkehren. Familie Landerer nicht, sie sind Opfer der rassistisch motivierten nationalsozialistischen Judenverfolgungen. Und staatenlos. Die vierköpfige Familie wird erst nach dem Krieg im Juli 1945 nach Esch-Alzette zurückkehren und feststellen, dass nahezu ihr ganzer Besitz verschwunden ist.

„Bei Kriegsausbrauch hatten wir in der hiesigen Brillstrasse, Haus Maire MAINZ, ein Epicerie-Mercerie-Geschäft, mit Eisbude“2, so Pauline Landerer, die seit 1928 mit ihrem Mann Beni ein Spezereiwarengeschäft in Esch/Alzette betrieb.

Nach der Flucht nach Frankreich sind das Geschäft und die Wohnung verwaist und stehen Plünderungen und Enteignungen offen. In der Tat werden zwischen dem 10. Mai 1940 und dem 21. November 1940 sämtliche Lagerbestände der Familie geplündert. Die mit der Beschlagnahmung des jüdischen Vermögens beauftragte Abteilung IV A des Chefs der Zivilverwaltung findet im November 1940 nur mehr ein fast leeres Lager vor.3

Einzelne Teile der Ladenausstattung sowie Möbel der Privatwohnung wurden entweder von Einwohnern der Stadt Esch/Alzette an sich genommen oder werden von der Abteilung IV A beschlagnahmt und versteigert. Einzelne Elemente werden nach der Befreiung und der Rückkehr der Familie dieser wieder ausgehändigt werden. Pauline Landerer beschreibt diese Situation später wie folgt: „Eisbude: Dieselbe war vollständig abimiert, ein oder zwei Eiskübel haben wir in beschädigtem Zustand zurückerhalten. Weiter ein Eisschrank und eine Eismaschine, alles schwer beschädigt. Die Eismaschine stand im Café N(…), zu Esch/Grenze.“4

Zur gleichen Zeit in Frankreich im Exil entschließen die Landerers sich dazu, ihrem Heimatland zu dienen und ihren Beitrag zu leisten, um gegen das national-sozialistische Deutschland zu kämpfen: „Durant l’évacuation mon mari était délégué des luxembourgeois, français et belges et moi j’étais chargée de la Croix Rouge de Montpellier, pour les luxembourgeois. Nous avons fait l’impossible pour aider nos compatriotes et ceci peut être prouvé par Monsieur Louis Knaff, ancien chef du Service des Réfugiés et Président de la Croix Rouge (…)“.5

Rückkehr nach Luxemburg

Umso bitterer muss demnach die Enttäuschung der Landerers gewesen sein, als sie nach Luxemburg zurückkehren und auf eine baldige Lösung ihrer Gesuche zur Entschädigung hoffen. Die abschließende Regelung ihrer Ansprüche wird nämlich fast zwanzig Jahre in Anspruch nehmen!

Am 28. Dezember 1945 reicht Bernard Landerer seine „Déclaration de dommages de guerre – Objets mobiliers“ an das zuständige Amt ein. Wenngleich der Bürgermeister der Stadt Esch am 14. März 1946 die Richtigkeit der von Landerer sehr detailliert erstellten Liste bestätigt, werden Zweifel an der Höhe des erlittenen Schadens laut.6

In der Zwischenzeit werden der Familie durch die Sequesterverwaltung Möbel zur Verfügung gestellt.7 Im Oktober 1946 erstellte Bernard Landerer dann eine 36 Positionen umfassende Liste ihrer Gegenstände und Möbel im Wert von 10.955 Franken, die die Familie wiedererlangen konnte und die „(…) nous ont été ramenées de l’Allemagne“.8 Sie erhielten u.a. drei Gemälde, ein Kinderbett, vier Teppiche, Bettzeug und Teile der Kücheneinrichtung zurück.

Das größte Problem der Familie Landerer ist jedoch der Umstand, dass ihnen unverschuldeterweise die Geschäftsexistenz genommen wurde und ihnen ein Neustart unmöglich ist. So steht die Familie Beni Landerer bei Rückkehr aus Frankreich vor dem finanziellen Ruin: „(…) (Wir) waren nicht mehr in der Lage, unser früheres Geschäft wieder aufzumachen, resp. (wir verfügten) nicht mehr über die notwendigen Geldmittel.“9 Um seine Familie zu ernähren, entschließt sich Landerer dazu, eine Stelle beim Obst- und Gemüsehändler Poggi in Esch anzunehmen, bei dem auch sein Bruder Alvin als Büroangestellter in Lohn steht.

Das lange Warten auf die Regelung der Schadensansprüche

Wenngleich die Luxemburger Behörden die finanzielle Situation der Familie richtig einzuschätzen wissen („leur situation de fortune et de revenus est assez médiocre“), wird der gesamte erlittene Schaden erst ab 1959 progressiv geregelt. In diesem Jahr, am 11. Juli, wird nämlich das deutsch-luxemburgische Abkommen unterzeichnet, das Entschädigungszahlungen in Höhe von 35 Millionen DM von der BRD an Luxemburg vorsieht.10 Der Vertrag bezog sich auf das deutsche Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung von 1953, das sich, im Gegensatz zum luxemburgischen Entschädigungsgesetz von 1950, auch auf „Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (…) aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ bezog. Ab da werden erst die Verfahren zur Entschädigung der jüdischen Opfer in Luxemburg – wie in unserem Fall der Landerer – beschleunigt und die Mittel zur Regulierung bewilligt.

Schließlich wird es bis November 1963 dauern, bis die erlittenen Schäden an Mobiliar und Vermögenswerten, Lohnausfall und Freiheitsschäden der Landerer durch drei getrennte Verfahren anerkannt und reguliert werden.

– Am 29. Juli 1959 gibt der Finanzminister Pierre Werner seine schriftliche Einwilligung zur Regulierung und autorisiert den Vorsitzenden des „Office des Dommages de Guerre“ eine sechsstellige Summe in Luxemburger Franken für die erlittenen Schäden an Möbel, Waren und Einrichtungsgegenständen der Privatwohnung sowie des Geschäftes teils zu überweisen, teils als Schatzanleihen gutzuschreiben.
– Am 12. November 1963 wird den Eheleuten eine fünfstellige Entschädigung als Kompensation für Lohnausfall zugesprochen.
– Am 16. Oktober 1963 erhält das Ehepaar aus Deutschland eine Entschädigung für erlittene Freiheitsschäden.

Das lange Warten auf Entschädigung in Luxemburg fußt auf der restriktiven Auslegung des Kriegsschäden-Gesetzes (1950), denn eine Entschädigungszahlung ist nur jenen Luxemburgern vorbehalten, die entweder am 10. Mai 1940 Kriegsschäden in Luxemburg selbst erlitten hatten, oder aber jenen, die in der Folge des Krieges sich in den alliierten Armeen engagiert hatten, um gegen NS-Deutschland zu kämpfen. Wenngleich weitere Fälle zur Entschädigung im Gesetz vorgesehen waren (wohl um Härtefällen vorzubeugen), musste laut Art. 30 des besagten Gesetzes der Regierungsrat einzeln über sie statuieren.11 Die Familie Beni Landerer, staatenlos bei Kriegsausbruch, musste demnach auf einen positiven Entscheid bei der Individualbegutachtung ihres Dossiers hoffen. Unverschuldeterweise musste die Familie fünfzehn Jahre in materiellen Engpässen leben.

Bleibt zum Schluss die Frage offen, warum Luxemburg so spät für die Schäden der jüdischen Opfer aufkam? Durch das Luxemburger Gesetz wurden jüdische Opfer in zweifacher Hinsicht diskriminiert: Das Kriterium einer spezifisch auf Juden gerichtete Verfolgung wurde im Gegensatz zu anderen Ländern nicht geltend gemacht und zweitens wurden – im Prinzip – alle ausgeschlossen, die die Luxemburger Nationalität nicht besaßen. Beide Punkte treffen auf die Landerers zu.12 Erst die durch das 1959er-Abkommen mit der BRD von der Luxemburger Regierung übernommene bundesdeutsche Herangehensweise, welche rassistisch, religiös und politisch Verfolgte in die Entschädigungspolitik einbezog, hob diese Diskriminierung wenigstens teilweise auf.

Die Neubewertung der Situation der Familie Landerer ist demnach vor dem Hintergrund einer ab 1952, im Zuge des in Luxemburg unterzeichneten Abkommens zwischen BRD und Israel, beginnenden europaweit geführten Diskussion über Wiedergutmachung für die Opfer rassistisch oder religiös bedingter Verfolgung zu sehen.

Daniel Thilman ist einer der Kuratoren des Projektes „Mémorial digital de la Shoah au Luxembourg“ (www.memorialshoah.lu) und wissenschaftlicher Mitarbeiter am C2DH der Universität Luxemburg. Aktuell forscht er zu den jüdischen Gemeinden der Großregion im Zeitraum 1920-1960.


Série du Tageblatt : La spoliation des biens juifs au Luxembourg (9)

Le 27 janvier 2021, le gouvernement du Grand-Duché de Luxembourg et les Communautés juives, représentées par le Consistoire israélite du Luxembourg, ont signé un accord relatif aux questions non résolues dans le cadre des spoliations de biens juifs liées à la Shoah. Dans ce cadre sont prévues e. a. une recherche universitaire indépendante sur la spoliation de biens juifs pendant la Seconde Guerre mondiale dans le Luxembourg sous occupation nazie et une recherche de provenance sur la présence éventuelle d’œuvres d’art et autres biens culturels spoliés aux Juifs, dans les institutions suivantes: Musée national d’archéologie, d’histoire et d’art (MNAHA), les collections de la Villa Vauban-Musée d’art de la Ville et la Bibliothèque nationale du Luxembourg (BNL).

1 Archives nationales du Luxembourg (ANLux), Dossier ODG-02-030222 (Bernard Landerer), Aussage von Frau Landerer-Zimmermann im Bericht vom 6. Oktober 1956 des Untersuchungsbeamten Faber in Sachen Landerer Bernard.

2 Ebda.

3 Ebda, Dossier 64.794, Rapport de taxation du 4 juillet 1959. Der mit der Schätzung des erlittenen Schadens beauftragte Beamte zitiert aus einem Bericht der Abteilung IV A.

4 Ebda, Aussage von Frau Landerer-Zimmermann im Bericht vom 6. Oktober 1956 des Untersuchungsbeamten Faber in Sachen Landerer Bernard.

5 Ebda, Lettre du couple Landerer-Zimmermann à l’attention de l’Office de l’État des Dommages de Guerre, daté du 19 juin 1956.

6 Ebda, Déclaration de dommages de guerre du 28 décembre 1945.

7 Ebda, Quittance du 22 décembre 1945.

8 Ebda, Liste manuscrite d’objets retournés à la famille Landerer-Zimmermann, non-datée, enregistrée à l’Office des Dommages de Guerre en date du 28 octobre 1946.

9 Ebda, Aussage von Frau Landerer-Zimmermann im Bericht vom 6. Oktober 1956 des Untersuchungsbeamten Faber in Sachen Landerer Bernard.

10 Renée WAGENER, Emanzipation und Antisemitismus: die jüdische Minderheit in Luxemburg vom 19. bis zum beginnenden 21. Jahrhundert, Berlin, S. 543.

11 Loi du 25 février 1950 concernant l’indemnisation des dommages de guerre.

12 WAGENER, S. 546-547.