„Haben wir kein Salz?“ Das ist der letzte Satz, den Helene jemals hören wird. Es ist der Satz, der ihre Verzweiflung, Kraftlosigkeit und Aussichtslosigkeit besiegelt und die dreifache Mutter dazu bringt, schnurstracks zur Balkontür zu gehen und zu springen.
Mareike Fallwickls Hörbuch „Die Wut, die bleibt“ beginnt mit einem Schock. Weder Helenes Ehemann noch ihre Kinder oder ihre beste Freundin Sarah haben das kommen sehen. Während die Familie nun kopflos da steht, springt Sarah ein, um sich um die Kinder – zwei von ihnen sind noch Kleinkinder – zu kümmern. Schließlich muss ihr Vater arbeiten und kann sich nicht allein um sie kümmern. Oder? In ihre neue Rolle gedrückt, beschäftigt sich Sarah mit dem Warum und trauert ihrer langjährigen Freundin nach. So sehr, dass sie eine Art Echo von Helene vernimmt. Auch Lola, Helenes älteste Tochter, leidet sehr unter der Situation und stellt fortan vieles, was sie bisher als normal empfunden hatte, infrage.
Unbequeme Wahrheiten
Fallwickls Roman konzentriert sich auf diese drei Frauenfiguren Helene, Sarah und Luise, die allesamt, wenn auch von einer unterschiedlichen, aber unverkennbaren Wut getrieben werden. Durch Helenes Selbstmord beginnen ihre beste Freundin und ihre Tochter, unabhängig voneinander, Strukturen zu erkennen und die Last – insbesondere in Form von Care-Arbeit, „mental load“ und Selbstvernachlässigung – zu hinterfragen, die Frauen von der Gesellschaft auferlegt wird. Als jugendliche und erwachsene Frauen durchleben die Protagonistinnen parallel eine völlig unterschiedliche und intensive Reise der Selbstfindung und sind sich selbst am Ende ein Stückchen näher.
Mit ihrem Werk gelingt es der Autorin, unbequeme Fragen über die Ungleichheiten in Familienstrukturen und Geschlechterrollen zu stellen. „Die Wut, die bleibt“ ist als Manifest zu verstehen, als Aufruf, hinzusehen, zuzuhören und die unausgesprochenen Wahrheiten hinter den Fassaden des Alltags zu erkennen. Auch fast drei Jahre nach der Ersterscheinung ist die Thematik noch hochaktuell, wie der rezente Rücktritt eines österreichischen Politikers beweist: Inspiriert durch Fallwickls feministischen Roman entschloss SPÖ-Politiker Michael Lindner, sein Amt als Landesrat und Landesvorsitzender niederzulegen, um mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen. Eine Begründung, die nicht nur in Österreich großes Aufsehen erregte.
„Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl, Argon Audio, Laufzeit: 10,50 Stunden, März 2022.
Mareike Fallwickl (Autorin)
Mareike Fallwickl, 1983 geboren, ist eine österreichische Autorin. Fallwickl setzt sich für Literaturvermittlung ein, mit Fokus auf weiblichen Erzählstimmen. 2018 erschien ihr erster Roman „Dunkelgrün fast schwarz“. 2019 folgte „Das Licht ist hier viel heller“. Die Bühnenfassung ihres Bestsellers „Die Wut, die bleibt“ hatte im Sommer 2023 Premiere bei den Salzburger Festspielen. „Und alle so still“ erschien im April 2024.
Ulrike Kapfer (Sprecherin)
Ulrike Kapfer, 1973 in Karlsruhe geboren, arbeitet als Sprecherin für Funk und Fernsehen. Sie ist staatlich geprüfte Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin und verleiht zahlreichen Hörbüchern, Podcasts, Dokumentationen und Radiosendungen ihre Stimme.
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De Maart
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