Mittwoch5. November 2025

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ÖsterreichAussicht auf einen Kanzler Kickl spaltet die ÖVP

Österreich / Aussicht auf einen Kanzler Kickl spaltet die ÖVP
Am Donnerstagabend demonstrierten zehntausende Menschen auf dem Wiener Ballhausplatz zwischen Kanzleramt (l.) und dem Sitz des österreichischen Präsidenten (r.) gegen eine von der rechtsextremen FPÖ geführte Regierung Foto: Helmut Fohringer/APA/AFP

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In der ÖVP rumort es gewaltig: Viele Türkise lehnen die vor einer Woche von allen Parteigranden noch kategorisch ausgeschlossene Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ ab.

Zehntausende Menschen protestierten Donnerstagabend in Wien friedlich, aber lautstark gegen die Aussicht auf den ersten ultrarechten Bundeskanzler. Eine Menschenkette rund ums Kanzleramt sollte dieses symbolisch vor Herbert Kickls Machtergreifung schützen.

Unter der Parole „Nazis raus!“ warnten die Teilnehmer vorm drohenden „autoritären Angriff auf Demokratie, Menschenrechte, unabhängige Medien, Justiz, Umweltschutz und den sozialen Zusammenhalt“, wie es in einem Kommuniqué des Österreichischen Netzwerks Zivilgesellschaft (ÖNZ) hieß. Die Initiative wird vor allem von linken Gruppen getragen. Aber auch die Katholische Aktion Österreich (KAÖ) gehört ihr an, sodass unter den Demonstranten wohl manche ÖVP-Wähler gewesen sein dürften.

Irritierte Basis

Das Bild der Geschlossenheit, um welches die Parteiführung nach außen bemüht ist, entspricht nicht der Realität. Viele sind hin- und hergerissen zwischen Kickl-Ablehnung und Parteilinientreue, wobei letztere mit der 180-Grad-Wende im Koalitionspoker auf eine harte Probe gestellt wird. Jahrelang hatte die ÖVP-Zentrale den FPÖ-Chef als Putin-geilen Vaterlandsverräter mit rechtsextremer Neigung verteufelt. Die Basis hatte die Wahl zwischen zwei Lieblingsfeindbildern: Kickl als Gottseibeiuns für den christsozialen Flügel, der links außen verortete SPÖ-Chef Andreas Babler als Schreckgespenst für die wirtschaftsliberalen Türkisen.

Letztere erschreckte die Perspektive einer Dreierkoalition, der neben den durchaus ÖVP-kompatiblen Neos-Liberalen auch die tatsächlich weit nach links abgedriftete SPÖ angehören hätte sollen. Als die Neos vorigen Freitag diese Verhandlungen platzen ließen, gab es in der ÖVP Kritik an Kanzler Karl Nehammer, weil dieser nicht als erster die Reißleine gezogen hatte. Nicht goutiert wurde von vielen Parteifreunden die Fortsetzung der – einen Tag später geplatzten – Gespräche mit der SPÖ. Nehammer ist seit gestern mit der Angelobung von Außenminister Alexander Schallenberg als Interimskanzler Geschichte, sein Nachfolger an der ÖVP-Spitze setzt auf Kickl. Christian Stockers plötzlicher Kehrt-Marsch-Befehl überfordert aber nicht nur so manchen braven Parteisoldaten im Fußvolk, sondern auch höherrangige Funktionäre. Je prominenter, desto stiller üben sich die Funktionäre im Krötenschlucken.

Nicht unter Kickl

Öffentlich seinen Parteiaustritt für den Fall einer Koalition mit der FPÖ angedroht hat der frühere EU-Kommissar Franz Fischler. Schallenberg hat ebenso wie Bildungsminister Martin Polaschek angekündigt, unter Kickl nicht mehr zur Verfügung zu stehen.

Die frühere Familienministerin Maria Rauch-Kallat sieht die „Gefahr, dass sich viele unserer Wählerinnen und Wähler abwenden, und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln“. Ex-ÖVP-General Ferry Maier prophezeit seiner Partei, die er schon vor Jahren im Streit verlassen hat, das Schicksal der untergegangenen italienischen Democrazia Cristiana.

Wahrer Vandalismus
Wahrer Vandalismus Foto: Helmut Fohringer/APA/AFP

Es sind vor allem die Altvorderen und die, die nichts mehr werden wollen, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Viele schweigen aus taktischen Gründen, weil sie eigene Karrierechancen wahren wollen oder sich pragmatisch der offiziellen Lesart angeschlossen haben, wonach es keine Alternative außer für die ÖVP desaströse Neuwahlen gibt.

Volkskanzler-Schrecken

Wie sehr es unter der Oberfläche gärt, ist in den sozialen Medien nachzulesen. Dort lassen einfache Parteimitglieder in ÖVP-Gruppen ihren Frust raus. „Wenn die ÖVP Kickl zum BK macht, dann war’s das für mich mit ÖVP wählen“, postet eine Türkise und sammelt dafür viele Likes. Eine Wiener Vize-Bezirksvorsteherin stellt klar: „Ich lehne jegliche Regierung, in der die FPÖ ein Teil ist, aus tiefstem Herzen ab.“ Ein anderer ÖVPler fordert einen Abbruch der gerade begonnenen Koalitionsverhandlungen und bevorzugt „lieber ein Ende mit Schrecken als ein Volkskanzler-Schrecken ohne Ende“.

Solche Postings ernten nicht nur Likes. Es gibt auch viel Widerspruch, aber weniger aus Überzeugung, denn aus der Not geboren. Kritiker mahnen die Kickl-Gegner mit dem Argument vermeintlicher Alternativlosigkeit zu Pragmatismus.

Zum Überbrücken des tiefen Grabens fehlt der ÖVP vor allem eines: Erfolg. Und ein solcher ist nicht in Sicht. Von Stockers Umfaller hat wieder nur einer profitiert: Kickl. In einer Mitte der Woche durchgeführten Umfrage liegt die FPÖ nun mit 39 Prozent schon zehn Punkte über ihrem Wahlergebnis im September. Die ÖVP dagegen ist von 26 auf 17 Prozent abgestürzt.

Guy Mathey
11. Januar 2025 - 21.43

Die Demokrat*innen innerhalb der ÖVP müssen jetzt Farbe bekennen und solidarisch mit den anderen demokratischen Parteien und Organisationen sowie der Zivilgesellschaft ein Zustandekommen einer Regierung unter der rechtsextremen FPÖ und ihrem "Volkskanzler" Kickl verhindern!

Angekündigte Parteiaustritte von bekannten ÖVP Politiker*innen sind zwar auf den ersten Blick verständlich, derzeit jedoch nicht wirklich zielführend! Ich bitte diese Politiker*innen zunächst innerhalb ihrer Partei zu kämpfen und proaktiv auf einen Sturz des Wendehalses Stocker hinzuarbeiten. Die Gefahr, welche Europa von einer FPÖ - Regierung droht, ist einfach zu gross, keinesfalls dürft ihr deren Steigbügelhalter innerhalb der ÖVP kampflos das Feld überlassen. Euch obliegt somit in der Tat eine grosse Verantwortung für den Erhalt der österreichischen Demokratie !

Anschliessend müssen alle demokratischen Parteien sich mal einen kräftigen Ruck geben und tragfähige Kompromisse ausarbeiten, damit eine Nazifreie Regierung in Österreich wieder möglich wird. In einer Demokratie ist dies nun mal zwingen erforderlich.