Mittwoch5. November 2025

Demaart De Maart

FotografiePaulo Jorge Lobo: Streifzüge eines Fotopoeten in der Stadt des Lichts

Fotografie / Paulo Jorge Lobo: Streifzüge eines Fotopoeten in der Stadt des Lichts
Filipa und Brian am Ufer des Tejo Foto: Paulo Jorge Lobo

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Der in Differdingen aufgewachsene Paulo Jorge Lobo hat sich längst als Fotograf einen Namen gemacht. In seinen Büchern zeigt er neben seiner Stärke in der Straßen- und Porträtfotografie ein großes poetisches Talent. Jüngst ist ein Band über Lissabon erschienen.

Ein Schweizer Seemann und Bordmechaniker verlässt in Lissabon sein Schiff. Er beschließt, nicht mehr in den lärmenden Maschinenraum zurückzukehren, und erkundet die Stadt am Tejo. Mit einer Kamera in der Hand zieht er durch die Straßen. Der von Bruno Ganz gespielte Mann liebt seine Frau, die in Basel auf ihn wartet. Dennoch beginnt er eine Affäre mit einer Angestellten des Hotels, in dem er wohnt. Die Handlung des 1982 gedrehten Films „Dans la ville blanche“ von Alain Tanner wirkt ziellos und zugleich ruhig. Der poetische Streifen beschreibt den Seelenzustand eines Mannes am Scheideweg. Dabei sind einzelne Passagen auf Super-8-Film eingebaut. Ein Kritiker nannte den Film des Schweizer Regisseurs, der den morbiden Charme der portugiesischen Hauptstadt in meisterhafter Manier wiedergibt, eine „Eloge auf die Weltflucht“.

Der Fotoautor selbst
Der Fotoautor selbst Foto: Paulo Jorge Lobo

Tanners Werk hat Paulo Jorge Lobo für sein jüngstes Buch inspiriert, das im vergangenen November in dem kurzen Zeitraum von nur fünf Tagen während einer Reise nach Portugal entstanden ist, und hat dafür den Filmtitel übernommen. Der 1964 im portugiesischen Baixa Banheira geborene und in Luxemburg aufgewachsene Fotograf und Journalist, bis zu seiner Pension im vergangenen Jahr Chefredakteur des Magazins Wunnen, streifte wie der Protagonist in „Dans la ville blanche“* durch Lissabon. Nach „Dans un souffle la nuit“ (2020) und „Les nuits rêvées d’un loup en hiver“ tauchte er in jene Stadt ein, in die er einst aufgebrochen war, um zu studieren.

Sein Ausgangspunkt ist die Gegenwart, die er in Bezug zu seinen Erinnerungen als Student in Lissabon setzt. Lobo weiß, dass sich die Stadt seiner Jugend und seiner Träume im Laufe der Jahre stark verändert hat, dass sie von Gentrifizierung und Massentourismus heimgesucht wurde. Aber er hat als Flaneur immer wieder auch Orte wiederentdeckt, die ihren Charme bewahrt haben. Seine Farb- und Schwarz-Weiß-Fotos und Texte, die einander in ihrer poetischen Kraft entsprechen, durchströmt stets eine sanfte Melancholie.

Cineastische Inspiration

In der Cinemateca 
In der Cinemateca  Foto: Paulo Jorge Lobo

Dies kommt in dem aktuellen Bildband von gut hundert Seiten noch stärker zu tragen als in seinen bisherigen Büchern. Was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass Lobo auf seinen Streifzügen durch Lissabon noch mehr mit den ihn prägenden künstlerischen Werken konfrontiert ist. Erwähnt seien etwa – neben musikalischen Idolen u.a. des Fado, wie Komponist Carlos Paredes, Meister der portugiesischen Gitarre, sowie den Dichtern Mário de Sá-Carneiro („ich habe mich in mir selbst verloren, weil ich ein Labyrinth war“) und Fernando Pessoa – vor allem die großen Meister des Films, von denen sich der Fotokünstler hat inspirieren lassen, von denen er selbst etwa Paulo Rochas „Os verdes anos“ (1963) nennt, das erste Werk des portugiesischen Novo Cinema, zu dem Paredes die Musik beisteuerte, aber auch Wim Wenders.

Der deutsche Regisseur sei ausdrücklich erwähnt, weil es ihm in seinem Film „Lisbon Story“ (1994) gelang, kraft der ausdrucksstarken Filmbilder und der erzählten Geschichte um einen Toningenieur und Geräuschemacher, dargestellt von Rüdiger Vogler, den zauberhaften Charme Lissabons einzufangen und damit eine cineastische Hommage an die Stadt zu schaffen. Nicht zuletzt erreichte der Soundtrack der Gruppe Madredeus internationale Berühmtheit. Dass Lobo, der zudem Setúbal, der „ville bleue“ auf der anderen Seite des Tejo, einen Besuch abstattete, seit seiner Jugend eine cineastische Ader hat, ist nicht nur an seinen fotografischen Reminiszenzen an die „Cinemateca“ in Lissabon zu erkennen, die mehrmals im Buch zu sehen ist und die, wie er sagt, in seiner Jugend eine Art zweites Zuhause für ihn gewesen sei. Seine Ästhetik erinnert ebenso an die Werke einiger berühmter Filmemacher, von den Meistern der Nouvelle Vague bis hin zu Regisseuren wie Jim Jarmusch – eines der Fotos heißt nicht zufällig „Only lovers left alive“, wie ein Jarmusch-Film – sowie Aki Kaurismäki und Wong Kar-wai.

Woody Allen in Lissabon?
Woody Allen in Lissabon? Foto: Paulo Jorge Lobo

In Lissabon hat er dafür eine ideale Szenerie: „Lissabon ist eine ‚ville-fiction‘, wo jede Gasse, jeder Schatten und jede Spiegelung eine Geschichte erzählt. Das einzigartige Licht der Stadt, ihre zum Tejo hinabfallenden Hügel, ihre Azulejos und bunten Fassaden haben seit Ewigkeiten Dichter, Schriftsteller, Cineasten und Fotografen inspiriert. Es war, als würde ich mit den urbanen Landschaften verschmelzen, die touristischen Klischees vermeidend, aber manchmal darin gierig hineintauchend. Ich bevorzugte die spontanen und atmosphärischen Bilder und fing den Augenblick ein. Zwischen dem Digitalen und meiner Nikkormat 50 mm ließ ich mich von dem weichen Lissabonner Licht führen, dem Verlauf eines ruhigen Flusses folgend.“ Immer wieder spielt auch das Licht in seinen unterschiedlichsten Momenten und Kontexten zu verschiedenen Tageszeiten eine herausragende Rolle.

Stadt des Lichts

Dass Lobo ein großartiger Fotograf ist, der die Kunst des Porträts genauso beherrscht wie die der Street Photography, ist hinlänglich bekannt. In „Dans la ville blanche“ ist dies einmal mehr in Schwarz-Weiß ebenso wie in Farbe zu sehen: nachts auf den Straßen mit ihrem nassen Kopfsteinpflaster, in den Kneipen und Cafés, wo Jazzmusiker sich in einen Rausch spielen, aber auch in den städtischen Momentaufnahmen und Schnappschüssen ebenso wie in den Bildern von einzelnen Menschen, die innehalten, von Paaren wie von Passanten, etwa Filipa und Brian, einem jungen Paar, das sich am Tejo-Ufer umarmt und küsst – und zu Titelfiguren des Buches wird.

„Only lovers left alive“
„Only lovers left alive“ Foto: Paulo Jorge Lobo

Das „Reisetagebuch“, wie er es nennt, ist ein weiterer Schritt im Schaffen des Autors und Fotografen, der seit 2012 Mitglied des Kollektivs Street Photography Luxembourg ist und dem es immer wieder gelingt, die flüchtigen Momente einzufangen, ohne sie gefangenzuhalten. Dem Freiheitsgedanken entspricht auch die Entscheidung für das Self-Publishing, das Teil eines Prozesses der kreativen Freiheit ist. Lobo hat sich dabei für das Format des Zines entschieden, das als kleines, selbstfinanziertes Buch definiert ist, das in kleinen Mengen gedruckt und lokal verbreitet wird. Dadurch kann er jedes Element des Buches – sowohl die Fotos als auch die Texte und das Layout – selbst gestalten, sodass das Ergebnis seine künstlerische Vision authentisch widerspiegelt. Vergleichbar mit den freien Filmautoren der Nouvelle Vague und den ihnen nacheifernden Generationen, ist Lobo als Foto-Autor frei und unabhängig.

Weniger Beachtung fand bisher der poetische Ausdruck in Lobos Texten. Dabei ist er längst ausgeprägt und nicht zu übersehen. Der Autor und Fotograf wusste sie in den alltäglichsten Momenten einzusetzen. In seinen fotografischen Büchern sind sie mehr als nur Beiwerk, sondern die literarische Entsprechung des visuellen Ausdrucks. „Même quand je marche, je suis dans ma tête, les yeux brillants, le cœur bouillant, l’esprit brouillon, je suis un rêveur“, heißt es etwa in „Les nuits rêvées d’un loup en hiver“. Lobo ist ein bekennender Träumer. Er habe den Norden verloren, ohne den Süden zu gewinnen, schreibt er einmal. Er habe den Berg sterben sehen, ein eifriger Hauslehrer habe ihn über Bord geworfen. Mit „Dans la ville blanche“ hat er seine poetische Reise fortgesetzt.

* Das Buch „In der weißen Stadt“ wird in begrenzter Stückzahl produziert und kann für 25 Euro direkt beim Autor bestellt werden. www.paulobo.com.