Fassungslosigkeit, Verzweiflung, Trauer, Empörung, Erregung – der brutale Anschlag eines 50-jährigen Arztes aus Saudi-Arabien auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt am Freitagabend hat in ganz Deutschland heftige Emotionen ausgelöst und die politische Debatte aufgeheizt. Während sich trauernde Menschen in Magdeburg versammelten, gingen am Samstagabend rund 1.000 Rechtsextremisten mit fremdenfeindlichen Parolen auf die Straße, Ausländer wurden körperlich angegriffen. Noch am Freitagabend hatten drei Menschen in der Stadt den Anschlag öffentlich bejubelt, ihre Personalien wurden aufgenommen. Politiker versprachen Reaktionen mit aller Härte des Gesetzes gegen den Täter, sowie Hetze und Gewalt. Die Tat weckte Erinnerungen an den Anschlag des Islamisten Anis Amri auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz vor fast genau acht Jahren.
Was geschehen ist
Taleb A., ein Facharzt der Psychiatrie, raste am Freitag gegen 19 Uhr mit einem geliehenen BMW SUV mit hoher Geschwindigkeit 400 Meter weit durch eine enge Budengasse auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. Ein neunjähriger Junge und vier Frauen im Alter von 45, 52, 67 und 75 Jahren starben. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt, darunter mehr als 40 schwer bis sehr schwer. A. war 2006 nach Deutschland gekommen. Über das Motiv der Tat besteht Unklarheit. Der in Bernburg südlich von Magdeburg beschäftigte Arzt war in sozialen Netzwerken als starker Islamkritiker und AfD-Sympathisant aufgefallen. Er war allerdings kein AfD-Mitglied. A. sitzt in Untersuchungshaft, gegen ihn wurde Haftbefehl erlassen.
Bundeskanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz kondolierten den Hinterbliebenen am Samstagvormittag in Magdeburg. Der sichtlich geschockte Kanzler sprach von einer „furchtbaren, wahnsinnigen Tat“. Es gebe keinen friedlicheren Ort als einen Weihnachtsmarkt, um besinnlich zusammen zu sein und zu feiern. „Was für eine furchtbare Tat ist das, dort mit solcher Brutalität so viele Menschen zu verletzen und zu töten“, betonte Scholz. Er sei nach Magdeburg gekommen, um den Angehörigen und der Stadt die Solidarität des ganzen Landes zu versichern. Es sei wichtig, dass man als Land zusammenbleibe und sich unterhake, „dass nicht der Hass gewinnt und wir diejenigen nicht durchkommen lassen, die Hass säen wollen“. Zunächst müsse man aber genau verstehen, was passiert sei und welche Motive der mutmaßliche Täter gehabt habe. „Dann werden wir mit den strafrechtlichen und den notwendigen anderen Konsequenzen darauf reagieren“, sagte Scholz. Deutschland habe Solidarität aus der ganzen Welt erfahren. US-Präsident Joe Biden, der französische Präsident Emmanuel Macron, der Papst und viele mehr sprachen ihr Mitgefühl aus.
Vorherige Hinweise
Nach dem Anschlag rückt die Frage in den Blick, ob die Gewalttat hätte verhindert werden können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erhielt im Spätsommer 2023 Hinweise zu dem Täter, die es an die Sicherheitsbehörden weitergab. Nach Angaben des Chefs des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, wurde zudem nach einem Hinweis aus Saudi-Arabien zu dem Mann ein Verfahren eingeleitet, das aber ebenfalls zu keinem Ergebnis geführt habe. Bei der Magdeburger Polizei hatte es außerdem eine Strafanzeige gegen A. gegeben. Auch in Berlin lag ein Verfahren der Amtsanwaltschaft wegen des Missbrauchs von Notrufen durch Taleb A. vor. Noch am Tag vor der Tat sollte er in Berlin erscheinen, was er aber nicht tat. In Mecklenburg-Vorpommern soll A. ebenfalls durch die Androhung von Straftaten aufgefallen sein. Ministerin Faeser hat zusätzliche Ermittlungen angekündigt, um herauszufinden, welche Behörden zuvor Hinweise auf den Täter hatten und wie diesen nachgegangen wurde.
Politische Debatte
Am zweiten Tag nach dem Anschlag eröffnete die Union die Debatte über bundespolitische Konsequenzen. „Es reicht bei weitem nicht aus, lediglich mehr Schutzmaßnahmen an Weihnachtsmärkten anzukündigen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, dem Tageblatt. „Die Ampelkoalition hat in den vergangenen drei Jahren leider dazu beigetragen, Misstrauen gegen unsere Sicherheitskräfte zu säen, anstatt unsere Beamten zu stärken“, kritisierte Frei. „Auch bleiben die Vorschläge von Bundesinnenministerin Faeser für ein weiteres Sicherheitspaket hinter unseren Erwartungen zurück. Es wird höchste Zeit, dass wir beispielsweise bei der Vorratsdatenspeicherung endlich vorankommen“, forderte Frei. „Das Gleiche gilt für Zurückweisungen an den deutschen Grenzen: Sie sind zurzeit die einzige Möglichkeit, um die irreguläre Migration zu stoppen“, sagte der CDU-Politiker.
Während die Grünen vor vorschnellen Schlüssen warnten, schlug die SPD eine Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses noch vor Jahresende vor. „Das Parlamentarische Kontrollgremium und der Innenausschuss des Deutschen Bundestages sollten zwischen den Jahren zusammenkommen und neben der sowieso anwesenden Bundesinnenministerin auch die Präsidenten von BND, BfV und BAMF vorladen, sowie die zuständige Landesinnenministerin Tamara Zieschang aus Sachsen-Anhalt“, sagte Fraktionsvize Dirk Wiese. Die Sitzungen sollen dem Vernehmen nach am 30. Dezember stattfinden. Auch Wiese verlangte, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden an die heutigen Bedrohungslagen anzupassen. „Bedauerlicherweise ist vieles durch den früheren Bundesjustizminister Marco Buschmann verhindert worden“, sagte Wiese.
Der Angesprochene ging darauf nicht ein, sondern regte Bund-Länder-Gespräche an. „Wenn gesicherte Erkenntnisse vorliegen, sollten die Parteien der demokratischen Mitte gemeinsam über Konsequenzen sprechen“, sagte der heutige FDP-Generalsekretär Buschmann. „Beispielsweise eine Föderalismuskommission kann der richtige Rahmen dafür sein, in der Bund und Länder zusammen beraten. Dieses Format würde der Tragweite der Situation gerecht, in der es nicht um das politisch Trennende, sondern das gemeinsame Ziel des Schutzes unserer freien Gesellschaft und der Bürger gehen sollte“, sagte der ehemalige Bundesjustizminister.
Die AfD forderte eine komplette Neuausrichtung der Politik der inneren Sicherheit. „Was wir brauchen, ist eine komplette Wende im Bereich der Inneren Sicherheit. Unsere Polizei- und Sicherheitsbehörden müssen dafür nicht nur mit dem nötigen Personal, Material und rechtlichen Befugnissen ausgestattet werden“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann.
De Maart
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