Freitag7. November 2025

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Alain spannt den BogenVon Lieblingswerken und Lieblingskünstlern: Zwei Konzerte zum Jahresende, die begeistern

Alain spannt den Bogen / Von Lieblingswerken und Lieblingskünstlern: Zwei Konzerte zum Jahresende, die begeistern
Ivan Fischer und das Concertgebouw Orchestra schufen eine perfekte Balance für die Solistin am Klavier, Maria João Pires Foto: Philharmonie/Sébastien Grébille

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Es ist immer wieder schön, wenn man in zwei aufeinanderfolgenden Konzerten vom 16. und 17. Dezember Lieblingswerken und Lieblingskünstlern begegnen kann. Und so ließen Maria João Pires, Ivan Fischer, Maxim Emelyanychev, Nicolas Altstaedt und Aylen Pritchin sowie das Royal Concertgebouw Orchestra auch keine interpretatorischen oder musikalischen Wünsche offen.

Ivan Fischer gehört als Erster Gastdirigent des Royal Concertgebouw Orchestra zu den beliebtesten Künstlern des Amsterdamer Orchesters und ist immer Garant für musikalische Höhenflüge und außergewöhnliche Interpretationen. Zusammen mit der mittlerweile 80-jährigen Pianistin Maria João Pires interpretierte er das 9. Klavierkonzert KV 271 „Jenamy“ von Wolfgang Amadeus Mozart und zeigte, wie wunderbar Solist und Orchester harmonieren können. Pires ist immer noch eine großartige Gestalterin und das eigentlich sehr moderne, vielschichtige und außergewöhnliche Jenamy-Klavierkonzert liegt ihr sehr gut. Vor allem ist es ein Konzert, das Introspektion, Kommunikation und ein sehr gutes Timing erfordert. Mozart geht hier neue Wege, schafft neue musikalische Welten, die sich von dem rein unterhaltenden Charakter seiner früheren Klavierkonzerte deutlich unterscheiden. Pires’ Spiel ist demnach sehr intimistisch, nachdenklich und trotz aller Ernsthaftigkeit wunderschön in der Ausführung. Besonders im Zusammenspiel mit dem Orchester gelingen ihr großartige Momente.

Ivan Fischer findet genau den richtigen Ton und die optimale Balance, um die Solistin auf Händen zu tragen. Das zum Teil sanfte und zum Teil akzentuierte Orchesterspiel unterstreicht die neuen Ideen und die oft kühne Entwicklung innerhalb Mozarts Klavierkonzert. Davor erklang die Marsyas-Konzertsuite des niederländischen Komponisten Alphons Diepenbrock (1862-1921). 1910 komponiert, vermischt diese Suite sowohl postromantische Einflüsse als auch impressionistische Klangfarben. Verglichen mit Mozarts Kunst und der virtuosen 8. Symphonie von Antonin Dvorak wirkt Diepenbrocks Musik allerdings wenig interessant.

Fischer ist ein Dirigent mit Röntgenblick. Und das macht seine große Kunst aus. Er sieht in jeder Partitur, die er dirigiert, Klänge, Melodien, Stimmen, Interaktionen, Tempoverschiebungen, die man sonst eigentlich nicht bemerkt. Gerade bei einem oft gespielten und gehörten Werk wie der optimistisch-leichten 8. Symphonie von Antonin Dvorak mit ihrem einnehmenden volkstümlichen Charakter ist dies ein Gewinn. Wie Fischer die einzelnen Instrumentengruppen behandelt, sie hervorhebt und ineinander einfließen lässt, ist große Kunst. Immer wieder geht Fischer von den Holzbläsern aus und unterstreicht ihre Wichtigkeit beim Ambiente und der Entwicklung dieser Musik. Das Blech wird stark gezügelt, klingt leicht und tänzerisch, so wie eigentlich der ganze Orchesterapparat. Wunderbar die Einlagen des Solo-Flötisten.

Die Holzbläser sind ein Kernelement in Fischers Entwicklung der Musik
Die Holzbläser sind ein Kernelement in Fischers Entwicklung der Musik Foto: Philharmonie/Sébastien Grébille

Überhaupt, das Royal Concertgebow Orchestra genießt es hörbar, unter Ivan Fischers ebenso klugem wie mitreißendem Dirigat zu spielen. Ohne Zweifel eine der besten Aufführungen dieser 8. Symphonie wie auch des 7. Klavierkonzerts von Mozart, die ich bis dato gehört habe. Als Dank für die Standing Ovations gab es dann noch einen Slawischen Tanz von Dvorak als Zugabe.

Ivan Fischer ist erster Gastdirigent des Royal Concertgebouw
Ivan Fischer ist erster Gastdirigent des Royal Concertgebouw Foto: Philharmonie/Sébastien Grébille

Aufgerauter und kantiger Schumann

Am folgenden Abend gaben sich dann Maxim Emelyanychev, Klavier, Nicolas Altstaedt, Cello und Aylen Pritchin, Violine mit einem reinen Schumann-Programm die Ehre. Aufgeführt wurden die Sonate Nr.1 für Violine und Klavier a-moll, die Fantasiestücke op. 73 & 88 für Cello und Klavier sowie das Trio Nr. 2 in F-Dur. Und auch hier erlebte das Publikum Kammermusik vom Feinsten. Allerdings nicht im herkömmlichen Sinne, denn die drei Interpreten hatten sich für die historische Aufführungspraxis entschieden und präsentierten dem Publikum somit einen gegen den Strich gekämmten Schumann voller Ecken und Kanten. Und das tat der Musik gut. Wir sind heute ja so an die klassisch-romantischen Interpretationen gewöhnt, die sich immer an der musikalischen Schönheit und der melodischen Linie orientieren. Emelyanychev, Altstaedt und Ritchin aber wollten von einem gefälligen Schumann nichts wissen.

Ihr z.T. radikaler Umgang mit der Musik ermöglicht dann auch eine ungewöhnliche Sicht in die Tiefe und die Vielschichtigkeit der verschiedenen Werke. Und auf einmal klingt nichts mehr gefällig und unterhaltsam. Die Melodien werden aufgeraut, die Tempi angezogen, das fehlende Vibrato der beiden Streicher und der harte Klang des historischen Erard-Flügels lassen die Musik markant, kantig und grimmig erklingen. Die drei Stimmen scheinen oft gegeneinander zu arbeiten, auf jeden Fall wird aber jeder Versuch, reinen Wohlklang zu erreichen, bewusst vermieden. Somit erlebt der Hörer Schumanns Musik vielschichtig und im Ausdruck oft getrieben und zerrissen. Die drei Musiker funktionieren dabei bestens als Team und interagieren blind, aber sehr hellhörig und bestimmt.

Am Schluss gibt es begeisterten Applaus für diese außergewöhnlichen musikalischen Interpretationen. Die drei Musiker geben dann noch eine ebenso sperrige wie interessante Interpretation des Andantes aus Mendelssohns Klaviertrio Nr. 1 zum Besten und empfehlen sich damit für ein weiteres Mendelssohn-Programm. Vielleicht in der nächsten Spielzeit …