Freitag7. November 2025

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DeutschlandDas Debakel-Jahr von Olaf Scholz

Deutschland / Das Debakel-Jahr von Olaf Scholz
Das war schon mehr als ein Schnupfen, was dem deutschen Kanzler Olaf Scholz in diesem Jahr politisch widerfahren ist Foto: AFP/John MacDougall

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Debakel bei der Europawahl, Haushaltsstreit in den Sommerferien, dann das Ampel-Aus: Es war kein gutes Jahr für Olaf Scholz. Und doch ist der SPD-Politiker wild entschlossen, für seine Partei im neuen Jahr zu punkten. Er glaubt fest daran. Kann das gut gehen?

Washington DC, ein Tag im Sommer 2024. Olaf Scholz gibt Interviews beim NATO-Gipfel, der das 75-jährige Bestehen des Bündnisses feiert. Die Anspannung der vergangenen Wochen ist etwas gewichen. Ein Grinsen hier, ein paar launige Bemerkungen dort. Sein Umfeld atmet merklich auf.

Es ist einer der seltenen Momente im Jahr, an denen die Welt des Kanzlers in Ordnung scheint. Aufritte auf internationaler Bühne blenden die Innenpolitik mal kurz aus.

Die Bauernproteste zu Beginn des Jahres, das SPD-Debakel bei der Europawahl, die AfD-Erfolge bei den Wahlen im Osten der Republik. Der Haushalt, auf den man sich nicht einigen konnte. Das Ampel-Aus, die holprige Kanzlerkandidatenkür in seiner Partei – und am Ende des Jahres die Vertrauensfrage. Zusammengefasst: Es war kein gutes Jahr für Olaf Scholz und seit der Europawahl im Mai konnte man das auch sehen.

Das historisch schlechte Ergebnis der SPD im Mai schmerzt Scholz. Am Abend der Wahl hat er darauf keine Antwort parat. Er steht im Willy-Brandt-Haus, wirkt ratlos, fast hilflos. Es liegt etwas von einem Regierungschef auf Abruf in der Luft. Die Stimmung in der Ampel-Koalition verschlechtert sich zusehends.

Zerwürfnis mit FDP-Chef Lindner

Im Sommer bekommt Scholz, wenige Tage vor dem NATO-Gipfel, noch einmal eine Einigung über den Haushalt hin. Nach tage- und nächtelangen Verhandlungen kann er die Ampel ein letztes Mal vor dem Scheitern bewahren. Später im Jahr wird man erfahren, dass zu diesem Zeitpunkt auch Scholz das Szenario eines Ampel-Aus durchaus plausibel erschien. Politisch eingemauert, ist der Bewegungsradius bei SPD und FDP nur noch sehr beschränkt, das Vertrauen der Verantwortlichen ineinander am Tiefpunkt.

Nur ein paar Monate später kommt der Bruch. Zu verfahren ist der Streit um die richtige Wirtschaftspolitik mit den Liberalen, vor allem mit Bundesfinanzminister Christian Lindner. Man kann dem Zerwürfnis von Scholz und Lindner im „Herbst der Entscheidungen“ täglich zusehen. Da gibt es Industriegipfel im Kanzleramt, dagegen stehen Mittelstandsempfänge beim FDP-Chef am selben Tag. In der FDP, so wird auch Scholz später erfahren, wird der Bruch der Ampel bereits in allen Einzelheiten durchgespielt.

Doch auch Scholz wird klar, dass es sich für ihn politisch nicht mehr lohnt, das Bündnis weiter am Leben zu halten. Der Druck aus der Partei wird stärker und stärker, die Wirtschaft taumelt in die nächste Rezession. Der Koalitionsausschuss am Abend des 6. Novembers wird der letzte sein. Scholz kommt Lindner zuvor, wirft ihn raus und beendet damit die Ampel-Koalition. Danach hält er eine Rede, die rhetorisch besser war als vieles andere, was man in den drei Jahren vom Regierungschef gehört hat. Scholz präsentiert aber auch einen Sündenbock. Die harte Kritik an Lindner zeugt von menschlichen Verwerfungen und sagt auch etwas über den politischen Stil aus, der sich in Berlin in diesem Jahr breitgemacht hat. Und der im Wahlkampf seine Fortsetzung findet.

Genossen fallen ihm in den Rücken

Scholz kommt am Abend des Ampel-Aus in seine Fraktion, wird dort beklatscht. Das erste Mal seit langem sind die Abgeordneten von ihrem Kanzler angetan. Scholz tut es sichtlich gut.

Doch an diesem Abend versäumt die Parteiführung, versäumen Scholz und sein Umfeld, ihn als Kanzlerkandidaten für die Neuwahlen zu installieren. Und es beginnt eine Erosion der Macht des deutschen Regierungschefs. Er verliert die Deutungshoheit über den Tag seiner Vertrauensfrage, die Idee, diese erst im neuen Jahr zu stellen, empört nicht nur die Opposition. Scholz wirkt schon zwei Tage nach dem Bruch der Ampel wie ein Getriebener. In einer Zeit, in der sich die sicherheitspolitische Lage durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und der Wahl Donald Trumps in den USA verschlechtert, immer neue Horror-Meldungen aus der deutschen Industrie verkündet werden und die Stimmung im Land mies ist, ist der deutsche Regierungschef mehr als angeschlagen.

Scholz steigt in einen Regierungsflieger zum Gipfel der G20 in Brasilien – und muss feststellen, dass ihm zu Hause die Genossen in den Rücken fallen und Umfragekönig Boris Pistorius aufs Schild heben wollen. Die Aussicht, mit Scholz in den Wahlkampf zu ziehen, gefällt vielen in der Partei nicht. Die Angst, ein Debakel zu erleben, geht um. Verteidigungsminister Pistorius wiederum zögert (zu) lange, um die Debatte zu beenden. Auch die Parteiführung schlingert. Scholz sieht für einen Moment wie der größte politische Verlierer des Jahres 2024 aus.

Comeback oder Ende der Karriere

Doch er behält die Nerven. Der politisch erfahrene Norddeutsche stellt auf stur – und setzt sich durch. Einen Kanzler zu stürzen – das trauen sich am Ende auch die Sozialdemokraten nicht. Und so ist es nun Scholz, der auf den Plakaten der SPD im Mittelpunkt steht. Bei einer Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus gelingt es dem Kanzlerkandidaten, die Partei zumindest kurzfristig hinter sich zu bringen.

Der letzte große Auftritt von Scholz 2024 ist die Bundestagsrede zur Vertrauensfrage. Selbstkritik? Fehlanzeige. Stattdessen harsche Kritik an der mangelnden „sittlichen Reife“ des Ex-Koalitionspartners FDP und am Ende des Abends spitze Bemerkungen über seinen Konkurrenten „Fritze“, also Friedrich Merz, der „Tünkram“, also dummes Zeug, erzähle. Die darauffolgenden Umfragen sind für die SPD eher ernüchternd. Der Wähler schätzt diesen Ton dann doch nicht.

Am Ende des Jahres blickt Scholz in ein neues Jahr, das entweder das große politische Comeback, oder das Ende seiner politischen Karriere für ihn bereithält. Er hat selbst ausgeschlossen, Vizekanzler unter einem CDU-Kanzler Merz zu werden. Bei einem Kanzler Merz, so kann man es wohl lesen, wäre Scholz im Falle einer großen Koalition nicht mehr im Kabinett vertreten. Scholz verschwendet daran derzeit keinen Gedanken. Für ihn heißt es kämpfen. Und er wäre nicht Olaf Scholz, wenn er nicht fest davon überzeugt wäre, auch der nächste Kanzler zu sein.

Unzufriedenheit mit Kandidaten

Die Kanzlerkandidaten der Parteien leiden unter schwacher Zustimmung. Im „Politbarometer“ werden alle vier mehrheitlich negativ beurteilt. Unionskandidat Friedrich Merz (CDU) liegt mit einem Zustimmungswert von 29 Prozent knapp vor Robert Habeck von den Grünen mit 25 Prozent. Danach folgt Olaf Scholz (SPD) mit 16 Prozent. Auf denselben Wert kommt AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel.