Im hauptstädtischen Bierger-Center, einem Ort, durch den die Menschen normalerweise hindurcheilen, um bürokratische Angelegenheiten zu regeln, hat die Künstlerin Nadine Rocco einen Raum für Reflexion geschaffen. Ihre Ausstellung „Soft Voices“ startete vergangene Woche im Rahmen der Orange Week 2024 und läuft noch bis Ende Dezember.
Die Werke, die hier präsentiert werden, fordern heraus, genau hinzusehen und zuzuhören. Rocco spielt mit Kontrasten: Harte Materialien treffen auf weiche Formen, bunte Farben auf verstörende Botschaften. Diese Gegensätze spiegeln die Realität häuslicher Gewalt wider – eine Thematik, die oft verborgen bleibt und von gesellschaftlichem Schweigen gedeckt wird.
Die Künstlerin: Zwischen Sanftheit und Konfrontation

Nadine Rocco beschreibt ihre Kunst als „freundlich auf den ersten Blick, unbequem auf den zweiten“. Ihr Ziel ist es, Betrachter*innen mit Schönheit anzulocken, nur um sie dann mit der Realität zu konfrontieren. „Ich möchte eine Tür öffnen, eine kleine Idee pflanzen, die wachsen kann“, erklärt sie. Die Farben sind „sugarcoated“, scheinbar beruhigend, doch darunter lauert die Wucht der Botschaft. Eine der ausgestellten Teppicharbeiten zeigt zum Beispiel eine zerbrochene Figur in einem Eisbecher, deren Bestandteile – Schuhe, Köpfe, Gliedmaßen – als „Topping“ arrangiert sind.
„Soft Voices“: Der Titel und die Botschaft
Die Idee von „Soft Voices“ entspringt der Idee, dass Frauen, die in Gewaltbeziehungen leben, oft auf leise Stimmen reduziert werden. Ihre Hilferufe werden ignoriert oder kleingeredet. „Man wird wie ein Echo behandelt, das kaum wahrgenommen wird“, sagt Rocco.
Besonders eindrucksvoll ist in diesem Sinne auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Ausstellung. Im Zentrum steht nämlich ein Audio-Werk, ein Interview, das von künstlichen Stimmen vorgetragen wird: kalt, mechanisch und weiblich. Diese Stimmen lesen die Worte von Clara vor, einer Frau, die über Jahre hinweg psychologische Gewalt erfahren hat. Ihre Geschichte ist brutal ehrlich, voller Schmerz und zugleich ein Zeugnis unglaublicher Stärke.
„Die Stimmen klingen unpersönlich, fast maschinell, und genau das war die Absicht“, erklärt Nadine Rocco. „Sie spiegeln die Entfremdung wider, die viele Frauen in solchen Situationen fühlen – reduziert auf ein Echo, auf eine Funktion, deren Menschlichkeit oft übersehen wird.“ Die Monotonie der Stimmen kontrastiert dabei scharf mit den erschütternden Inhalten, die sie vermitteln: Claras Erfahrungen mit Manipulation, Isolation und den subtilen Mechanismen der Kontrolle. Das Zuhören ist verstörend, beinahe unangenehm. Doch es ist genau diese Reaktion, die Rocco hervorrufen will. „Nur wenn wir uns dieser Realität stellen, können wir anfangen, sie zu verstehen“, erklärt sie.
Die Philosophie hinter der Kunst
Roccos Werke sind von feministischen Überlegungen durchzogen, aber auf eine Weise, die „einlädt statt abstößt“. Die Künstlerin scheut sich nicht, komplexe Themen mit einer subtilen, aber wirkungsvollen Herangehensweise zu behandeln. „Wenn ich direkt ‚Patriarchat ist Mist‘ sage, schalten viele Menschen ab. Aber wenn ich sie mit einer schönen Arbeit fange, bleiben sie länger, lesen und denken vielleicht nach.“ Sie sieht ihre Kunst als Einladung zum Dialog, nicht als Predigt.

Der bunte Zaun, der die Besucher*innen am Eingang des Bierger-Centers empfängt, steht symbolisch für die gesellschaftlichen Grenzen, die wir oft nicht überschreiten wollen. In diesem Sinne fordert die Ausstellung dazu auf, Fragen zu stellen: Was kann ich tun? Bin ich Teil eines Systems, das Gewalt duldet oder unsichtbar macht?
Nadine Rocco hofft, dass die Besucher*innen die Ausstellung nicht nur betrachten, sondern auch etwas mitnehmen. „Vielleicht oder hoffentlich gehen die Menschen nach Hause und denken: ‚Bin ich in einer toxischen Beziehung? Wie kann ich respektvoller mit anderen umgehen?‘ Das wäre für mich ein Erfolg.“
Am Ende ist „Soft Voices“ eine Einladung, den Zaun zu überwinden – hin zu mehr Verständnis, Respekt und Empathie.
Der Film „Hors d’haleine“

Die Ausstellung begleitet den Film „Hors d’haleine“ von Éric Lamhène und Rae Lyn Lee, der sich eindrucksvoll mit häuslicher Gewalt auseinandersetzt. Er behandelt die Mechanismen und Folgen häuslicher Gewalt, indem er intime und eindringliche Geschichten erzählt. Der Fokus liegt darauf, die Komplexität dieser Gewaltformen zu zeigen, ohne sie zu simplifizieren. Der Film rückt insbesondere die Perspektive der Opfer ins Zentrum und zeigt, warum es für viele so schwer ist, sich aus einer toxischen Beziehung zu lösen. Nadine Rocco erklärt: „Ich fand es beeindruckend, wie der Film diese scheinbar irrationalen Entscheidungen der Opfer erklärt – warum sie bleiben, warum sie schweigen. Es war mir wichtig, diesen Film und meine Kunst zusammenzuführen, weil sie beide dasselbe Ziel haben: Verständnis zu schaffen.“ Die Verbindungen zwischen Film und Ausstellung sind nicht nur thematisch, sondern auch visuell spürbar. Rocco hat für den Film das Poster entworfen und einige ihrer Werke wurden von den erzählten Geschichten inspiriert. Der Film ist zurzeit in allen nationalen Kinos zu sehen. Das Tageblatt besprach ihn ausführlich in der Ausgabe vom 13. November.
Auf einen Blick
• Ort: Bierger-Center, Knuedler, Luxemburg-Stadt
• Zeitraum: Noch bis zum 31. Dezember 2024
• Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 8-17 Uhr
• Eintritt frei
• Mehr Infos: softvoices.space
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