Montag27. Oktober 2025

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LuxemburgProjekt bei der „Fondation Kräizbierg“: Warum das Thematisieren von Gefühlen wichtig ist

Luxemburg / Projekt bei der „Fondation Kräizbierg“: Warum das Thematisieren von Gefühlen wichtig ist
David (l.) und Edin haben sich mit ihren Emotionen auseinandergesetzt Foto: Editpress/Alain Rischard

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Ärger, Freude oder Trauer – diese Gefühle hat jede(r) wohl schon einmal gespürt. Beim Projekt „Lëtz’emotioun“ der „Fondation Kräizbierg“ lernen junge Menschen mit einem Handicap, warum es wichtig ist, über Gefühle zu sprechen.

„Für Leute wie uns ist es schwer, eine Arbeit zu finden“, erzählt David, während er an einem Computer sitzt und auf dem Bildschirm bunte Figuren zeigt, die er selbst erstellt hat. Offen erzählt der freundliche 18-Jährige das und man muss nachfragen, wen er mit Menschen „wie uns“ meint. Denn Davids physisches Handicap bemerkt man nicht gleich, vor allem wenn er sitzt. Seine rechte Seite ist gelähmt, weshalb er unter anderem Probleme mit der rechten Hand hat und manche Dinge nicht machen kann. In verschiedenen Betrieben hatte er angefragt, um eine Lehre machen zu können – allerdings ohne Erfolg. 

David freut sich, wenn er am Computer Illustrationen, Flyer und vieles mehr anfertigen kann
David freut sich, wenn er am Computer Illustrationen, Flyer und vieles mehr anfertigen kann Foto: Editpress/Alain Rischard

Bei der „Fondation Kräizbierg“ in Düdelingen kann David sich nun auf das Berufsleben vorbereiten. Seit rund zwei Jahren designt er dort Flyer, fertigt Illustrationen an und nutzt verschiedene Grafikprogramme, um seiner Leidenschaft nachzugehen. „Das macht mir Spaß und die Zeit geht dabei so schnell vorbei. Es ist für mich wie ein Hobby“, freut sich David. Doch nicht immer empfindet er in seinem Alltag Freude. Denn wie bei vielen anderen Menschen innerhalb – aber auch außerhalb – der Räumlichkeiten der Stiftung, kommen in ihm auch mal Gefühle der Wut hoch. Oder Traurigkeit. Vielleicht manchmal auch der Angst.

Beim Projekt „Lëtz’emotioun“ sollen er und andere junge Menschen des „Service de formation Kräizbierg“ (SFK) lernen, solche Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Etwas, was manche nicht kennen. „Aus Angst davor, dass das Kind gehänselt wird, wird das Handicap in einigen Familien vertuscht. Es wird dann viel dafür getan, so wenig wie möglich aufzufallen“, erzählt Carine Ferreira bei einem Gespräch in Düdelingen bei der „Fondation Kräizbierg“. Sie arbeitet dort als Erzieherin und vermittelt den Schülerinnen und Schülern in Theoriestunden Informationen zur Lebenspraxis. „Patricia und mir ist aufgefallen, dass sie oft Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Denn sie haben nie gelernt, diese auszudrücken“, so Carine Ferreira.

Empfindungen ansprechen

Kollegin und Psychologin Patricia Marques erklärt weiter: „Wenn sie dann arbeiten gehen, tauchen Frustrationen auf. Einige versuchen, ihr Handicap zu verstecken und leiden im Stillen. Bis sie platzen. Wir wollen ihnen zeigen, dass Gefühle – wie Essen und Trinken – zum Alltag einfach dazu gehören.“ Das Aussprechen der eigenen Empfindungen ist umso wichtiger, da Körpersprache wegen eines Handicaps auch mal falsch interpretiert werden kann: wenn durch eine Beeinträchtigung oder Erkrankung zum Beispiel die Gesichtsmuskulatur leidet und eine Art Lächeln zu sehen ist, obwohl der Person gar nicht zum Lachen zumute ist.

Damit die jungen Menschen das Thematisieren ihrer Gefühle lernen, haben Carine Ferreira und Patricia Marques während rund zwei Monaten an der Idee von „Lëtz’emotioun“ gearbeitet. Nach den Oster- bis zu den Sommerferien fand das Projekt 2024 erstmals statt. Aktuell wird eine weitere Auflage mit neuen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorbereitet. An der ersten Ausgabe haben vier Männer und eine Frau im Alter von 18 bis 27 teilgenommen. „Alle zwei Wochen haben wir zwei Emotionen besprochen und zum Beispiel darüber geredet, was wir unter Ekel verstehen und wie man diesen erkennt“, erklärt Patricia Marques. 

Noch heute kann man auf Post-its lesen, was mit den verschiedenen Gefühlen verbunden wird. Auf einem weißen Plakat sind so unter dem Stichwort „Ärger“ Wörter wie „angespannt“, „Herzrasen“ oder auch „hauen“ zu lesen. „Wir haben über Emotionen geredet, die in unserem Leben vorkommen und wie man sich dabei fühlt. Bei zum Beispiel Angst, Ekel, Freude, Trauer oder Wut“, erklärt Edin. Der 22-Jährige reagiert bei manchen Themen laut eigener Aussage manchmal zu emotional und fand das Projekt deshalb gut. Das findet auch der 27-jährige Kevin. Er sagt allerdings lachend: „Ich habe kein Problem damit, über Gefühle zu reden, solange es die der anderen sind.“ Über die eigenen scheint er dagegen weniger gerne zu reden. 

Kindern zuhören

Und doch hat er das im Laufe des Projektes gemacht – vor allem als ihm klar wurde, dass die anderen Jungs sich ebenfalls öffneten. Psychologin Patricia Marques findet es wichtig, dass die Teilnehmer(innen) sich über ihre Erfahrungen austauschen konnten. Denn sie stellt fest: „Die Welt bewegt sich immer schneller und für Emotionen bleibt oft keine Zeit. Dabei helfen sie, innezuhalten.“ Ob bei der „Fondation Kräizbierg“ oder auch über deren Räumlichkeiten hinaus: Die Mitarbeiterinnen der Stiftung sind davon überzeugt, dass Gefühle wie Freude, Trauer und Wut zum Leben dazugehören.

Die Stiftung und das Projekt

Die „Fondation Kräizbierg“ wurde 1977 gegründet und unterhält Wohnstrukturen sowie Werkstätten für Menschen mit einem körperlichen Handicap. Während drei Jahren können sie unter anderem in den Bereichen Druckerei, Gärtnerei oder Multimedia eine Ausbildung machen und sich in einem an ihre Fähigkeiten angepassten Rahmen auf das Berufsleben vorbereiten – um im Idealfall eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt oder aber dauerhaft in einer der Werkstätten in Düdelingen zu finden. Neben der Praxis gehören zum Unterricht auch theoretische Stunden in zum Beispiel Geografie, Sprachen oder auch Sozialkunde – mit Informationen zur Lebenspraxis. Innerhalb dieses Kurses wurde 2024 erstmals ein Projekt organisiert, bei dem die jungen Menschen sich mit ihren Gefühlen beschäftigen. Im kommenden Jahr soll dieses nun weitergeführt werden.

„Gefühle sind normal und deshalb sollten wir akzeptieren, dass man zum Beispiel auch mal wütend ist. Und das dann auch ausdrücken“, fordert Carine Ferreira. Ob mit oder ohne Handicap – Patricia Marques rät allen Erziehungsberechtigten dazu, ein offenes Ohr für die Kinder zu haben. Denn, so die Psychologin: „Hinter der Wut eines Kindes kann sich beispielsweise auch Hilflosigkeit verstecken, und das findet man nur heraus, wenn man sich Zeit für sie nimmt.“ Denn wie Handicaps sind auch Emotionen laut Patricia Marques eines: vielfältig.