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StandpunktOrbáns Aufstand gegen Europa nimmt Fahrt auf

Standpunkt / Orbáns Aufstand gegen Europa nimmt Fahrt auf
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán versucht, die Europäische Union von innen zu zersetzen  Foto: AFP/Attile Kisbenedek

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Seit Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 durchkreuzt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gezielt Entscheidungsprozesse in der EU. In geopolitischen Fragen sind seine unberechenbaren Positionen und konfrontativen Äußerungen zur Regel geworden.

Orbáns Interview am Morgen der informellen EU-Ratstagung vom 7. November lässt wohl Rückschlüsse auf seine tatsächlichen Absichten und sein zukünftiges Verhalten zu. Er erklärte, Ungarn wehre sich erfolgreich gegen juristischen Aktivismus aus Brüssel, denn man sei immer gegen die Einmischung in nationale Angelegenheiten gewappnet. Er rief zum Aufstand gegen „die geltenden Gesetze und Gerichtsurteile“ auf. Hier bezieht er sich auf den Europäischen Gerichtshof, der Ungarn wegen Nichteinhaltung der EU-Asylvorschriften zu einer Geldstrafe in Höhe von 200 Millionen Euro und weiteren täglichen Bußgeldern von einer Million Euro verurteilt hat.

Es war schon immer Orbáns politisches Ziel, eine entscheidende Rolle bei der zukünftigen Gestaltung der EU einzunehmen. Bereits seit 2010 verfolgt er diesen Ansatz mit seiner Politik der „Öffnung nach Osten“ mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Diversifizierung, unter anderem durch verstärkte Geschäftsbeziehungen und freundschaftlichere Beziehungen zu Russland, der Türkei und China. Orbán strebt danach, das kleine osteuropäische Land an der Peripherie transatlantischer Zusammenarbeit ins Zentrum der europäischen, wenn nicht gar globalen Entscheidungsfindung zu rücken. Diese außenpolitische Agenda ist ein zentraler Bestandteil seines nationalistischen, illiberalen und populistischen Regimes.

In der NATO strebt Orbán danach, Wirtschaftsbeziehungen zu stärken und sich Gehör zu verschaffen. Innerhalb der EU will er deren künftige Ausrichtung prägen und ein Höchstmaß an institutioneller und finanzieller Unterstützung für Ungarns wirtschaftlichen Fortschritt und eine Billigung seiner illiberalen Herrschaft herausholen. Dazu ist es nötig, den ideologischen Konsens und die politischen Kompetenzen der Gemeinschaft zu schwächen.

Keine klare Haltung der EU-Spitzen

Seit seiner verfassungsmäßigen Machtübernahme im Jahr 2010 hat er innerhalb der EU eine konfrontative Linie eingeschlagen, um sich gegen die Kritik am systematischen Demokratieabbau und der zunehmenden Autokratisierung seines Landes zu behaupten. Bis 2020 hielt er sich dabei an die Bedingungen der EU. Neu ist die Rebellionshaltung, mit der er die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft offen untergräbt. Damit soll zum einen die Europäische Kommission unter Druck gesetzt werden, Ungarns Regierung einen Teil der eingefrorenen EU-Gelder freizugeben, und zum anderen demonstriert er, dass keine wichtige Entscheidung ohne ihn getroffen werden kann.

Die Investition von Millionen von Dollar in US-Lobbyfirmen und rechtsorientierte Denkfabriken verschaffte Orbáns Leuten einen guten Ruf bei verschiedenen republikanischen Institutionen, die die Politik der nächsten US-Regierung prägen dürften

Zu lange haben die EU-Spitzen hier keine klare Haltung eingenommen. Erst in jüngster Zeit knüpften sie Ungarns Gelder für den Wiederaufbau nach Corona an Bedingungen und versuchten, Orbán politisch zu isolieren. Für ihn war es daher von großer strategischer Bedeutung, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt. Die Investition von Millionen von Dollar in US-Lobbyfirmen und rechtsorientierte Denkfabriken verschaffte Orbáns Leuten einen guten Ruf bei verschiedenen republikanischen Institutionen, die die Politik der nächsten US-Regierung prägen dürften.

Beflügelt von Trumps Sieg konnte Orbán es sich letzte Woche leisten, gegenüber seinen europäischen Amtskollegen als kooperativer Gastgeber aufzutreten. Im Gegensatz zu seiner kämpferischen Gangart bei früheren Treffen wie dem Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft und der informellen Ratstagung gab er sich moderat und zurückhaltend. Natürlich sind das alles nur Augenwischereien, um seinen Zugriff auf Gelder zu sichern – ein abgekartetes Spiel, das auch die anderen EU-Regierungschefs mitgemacht haben, aus Schwäche und im Glauben, dass es besser ist, Orbán gegenüber wenigstens eine oberflächliche Eintracht zu wahren.

Unterstützung für Ukraine ungewiss

Hinter verschlossenen Türen war die Harmonie hingegen weniger überzeugend. Während einer Pressekonferenz forderte Orbán einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine, während Wolodymyr Selenskyj klarstellte, dass von Russlands Präsident Putin keinerlei Großzügigkeit zu erwarten sei, und betonte, dass Frieden nicht durch Schwäche erkauft werden könne.

Selenskyjs Worte richteten sich sowohl an Orbán als auch an Donald Trump. Seit letzterer zum künftigen US-Präsidenten gewählt wurde, ist die weitere Unterstützung für die Ukraine ungewiss. Trump strebt den Frieden in Europa wohl auch deshalb an, um sich anderen geopolitischen Konflikten zu widmen – um den Preis der Zukunft der Ukraine und der Sicherheit Europas. In dieser hochsensiblen Lage könnte Orbán ein wichtiger Gesprächspartner werden. Seit Beginn des Krieges brachte er sich als „Friedensstifter“ ins Spiel und hofft nun, die Früchte seiner riskanten und umstrittenen Strategie ernten zu können.

Die Chance, diese Rolle einzunehmen, und sei es nur symbolisch, ist einer der Vorteile, die Orbán aus einer zweiten Trump-Regierung ziehen kann. Doch die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Ungarn bleiben auch mit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus nicht ohne Herausforderungen.

Orbáns Partei verliert an Unterstützung.

Als Mitglied des Binnenmarktes kann Ungarn im Falle eines möglichen Handelsstreits zwischen Washington und Brüssel keine Alleingänge mit Trump unternehmen, zumal es keine Garantie dafür gibt, dass dessen Regierung Orbán gegenüber uneingeschränkt wohlgesonnen sein wird. Die Worte von Mitch McConnell, dem republikanischen Fraktionsvorsitzenden im US-Senat, sollten Warnung genug vor jeglicher Garantie für vertiefte Zusammenarbeit sein: „Als chinesische Staatsunternehmen sagten: ‚Spring!‘, fragten ungarische Regierungsvertreter nur: ‚Wie hoch?‘“.

Orbán wird die teure Lobbyarbeit fortführen, um in Trumps Visier zu bleiben. Sollte sich Trumps transaktionaler Instinkt bei der Bewältigung globaler Konflikte durchsetzen, könnte Orbán davon profitieren. Doch so erfolgreich er auch sein mag, Ungarn ist klein, fest in die EU integriert, und die Einwohner sind gerne Europäer. Der Fortschritt und der Erfolg des Landes hängen weit mehr vom Erfolg der EU ab als von allem anderen.

Und auch wenn Orbáns Partei stärkste politische Kraft in Ungarn ist, verliert sie langsam an Unterstützung. Orbán ist nicht mehr der beliebteste Politiker, und er ist nicht unantastbar. Trumps Sieg wird nicht über die sich verschärfenden Probleme in Ungarns Wirtschaft und Gesellschaft hinwegtäuschen.

Fürs Erste müssen sich Ungarns europäische Partner auf weitere Herausforderungen vorbereiten und mutig, strategisch und kreativ darüber nachdenken, wie sie mit einem Störfaktor umgehen. Orbán hat, wie er selbst vorgewarnt hat, etwas in petto, mit dem er seine Verbündeten überraschen will – und es steht viel auf dem Spiel.

* Zsuzsanna Szelényi ist die Gründungsdirektorin der Democracy Institute Leadership Academy an der Central European University.

Müller Erwin
22. November 2024 - 14.39

Ich finde es verwunderlich, dass man nun Ungarn vorwirft, dort weiterzumachen, wo die EU erst vor kurzem aufgehört hat. Es war die EU, welche auf die OSTerweiterung gepocht hat, sonst wäre Ungarn gar nicht erst Teil der EU, es war die EU welche jahrelang und bis heute Deals mit der Türkei gemacht hat, dieser sogar einen EU-Betritt versprochen hatte. SOllen all diese Beziehungen nun auf Anordnung Brüssels gekündigt werden? Und welches Land will denn bitte keine wichtige geopolitische Rolle spielen? Frankreich und Deutschland versuchen auch alles in der EU um relevant zu bleiben, dies kann man ja wohl kaum einem Politiker vorwerfen, dass er sein Land nach vorne bringen will. Also man kann und muss Orban für vieles kritisieren, aber diese Punkt sind nun wahrlich die falschen.

DanV
21. November 2024 - 13.38

Nein, nicht raus mit Ungarn. Das würde ungarische Bürger abstrafen, die Orban nicht gewählt haben. Es gibt andere Möglichkeiten:

1) Ungarn hätte die Ratspräsidentschaft für dieses Jahr gestrichen werden sollen. Das wäre laut Wikipedia durch den Europäischen Rat möglich. Denn jeder wusste doch, dass Orban Sabotage betreiben würde.

2) Wenn ein EU-Land anti-rechtsstaatliche Gesetze einführt, sollte gleichzeitig mit eingefrorenen Geldern das Mitspracherecht suspendiert werden. Denn nur die finanziellen Hilfen zurückzuhalten, macht die EU erpressbar. Orban macht sich einen Spaß daraus, die EU-Puppen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

Es ist doch klar, dass Orban die EU in seinem Sinn aufmischen will.

WARUM lässt die EU das zu ?

JJ
21. November 2024 - 8.43

Raus mit Ungarn. Schon seit Jahren. Und England wieder rein,aber ohne Sonderwünsche. Mit England würde die EU stärker,mit Ungarn schwächer.
Aber Muttis Ziehtochter hat dafür nicht genug Chutzpe.