Das Telefonat des deutschen Kanzlers Olaf Scholz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am vergangenen Freitag hat in Berlin – und wohl nicht nur dort – zur Ernüchterung geführt. Bei Scholz, der sich so kurz vor der Neuwahl in der Rolle als „Friedenskanzler“ und als „verantwortlicher Politiker“ übte, als den er sich gern sieht, hat das Gespräch offensichtlich zu mindestens einer Erkenntnis geführt: An den Ansichten des russischen Präsidenten an diesem Krieg, so ließ es der SPD-Mann nach dem Gespräch mitteilen, habe sich nicht viel verändert. „Das ist keine gute Nachricht“, so Scholz.
Dass er das so sieht, ist hingegen eine gute Nachricht – nicht nur für Scholz, sondern für all die, die meinen, man müsse sich ja nur mit Putin unterhalten, man müsse ihm nur zeigen, was der Krieg auch mit Russland mache, man müsse ihn quasi darüber aufklären, was er letztlich selbst befiehlt. Man müsse also verhandeln. Doch was? Die Pressemitteilungen aus dem Kanzleramt und aus dem Kreml, legt man sie nebeneinander, zeigen auf eine fast schon erschreckende Weise die riesige Kluft zwischen den Positionen des Westens und denen Russlands. Sie haben sich seit dem 24. Februar 2022, diesem Tag des Grauens, der die Welt verändert hat, nicht gewandelt, auch wenn sich viele – in Russland wie im Westen – dagegen sträuben, diese Veränderung nicht wahrhaben wollen. Es ist, als hätte es diese 1.000 Tage Krieg, den Russland weiterhin „militärische Spezialoperation“ nennt, nicht gegeben. Als hätte Scholz nicht nach fast 1.000 Tagen mit Putin telefoniert, sondern gleich zu Beginn der Invasion. Es ist niederschmetternd – weil es so verfahren ist.
Der Westen sagt, Russland müsse „nur“ seine Truppen zurückziehen, dann werde Frieden einkehren in der Ukraine. Russland sagt, der Westen sei es, der den Krieg überhaupt erst in die Ukraine getragen habe, er müsse sich bewegen und auf die Forderungen eingehen, die Russland bereits im Dezember 2021 formuliert und Putin im Juni 2024 wiederholt habe. Forderungen, die ein russisches Diktat sind und nichts anderes besagen, als die politische Unterwerfung der Ukraine – nach russischen Bedingungen. Ohnehin spricht Moskau von der Inexistenz der Ukraine, es lässt es in seine Schulbücher schreiben und mindestens eine Generation damit aufwachsen, dass die Ukraine ein „Nazi-Staat“ sei (also doch irgendwie existiere) und Russland von Feinden umgeben sei. Deshalb sei letztlich jeder im Land ein Soldat, der sein Vaterland zu verteidigen habe, alles andere sei Verrat, und Verräter gehörten gebrandmarkt.
„Das ist erst der Anfang“
„Wir sind verpflichtet, zu siegen“, heißt es auf Plakaten quer durchs Land. „Der Bär wacht gerade erst auf. Das ist erst der Anfang“, heißt es da zuweilen. Das ist keine Einladung zu einem konstruktiven Gespräch. „Offen für Verhandlungen“, wie Putin es nennt, ist der russische Präsident nur, wenn die Welt seiner eurasischen Sicherheitsarchitektur zustimmt. Diese Architektur ist letztlich ein neues Jalta, wonach die Großmächte, zu denen sich Russland nach wie vor zählt, die Welt in Einflusssphären aufteilen und kleinen Ländern jegliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung nehmen. Von einem Einfrieren des Konflikts, der längst kein Konflikt, sondern ein großangelegter Krieg ist, hält Moskau nichts, es sei Zeitverschwendung, ließ der Kreml seinen UN-Botschafter erst gestern wiederholen. Das Übel müsse an der Wurzel gepackt werden, sagte er. Das Übel ist in den russischen Augen die Erniedrigung des Landes, wie Putin immer wieder sagt.
1.000 Tage Krieg bedeuten 1.000 Tage Leid. 1.000 Tage Wut und Hilflosigkeit und Trauer und Scham. Auch Gleichgültigkeit, Angst, Kriegspropaganda. Russland hat sich in dieser Zeit grundlegend verändert. Es liegt eine Betonplatte über dem Land, jeglicher Laut an Kritik wird mit Geld gestopft – oder mit einer Haftstrafe geahndet. Die menschliche Psyche macht das Geschehen fast unmerklich zu einer Routine, die Menschen entpersonalisieren, ja normalisieren es, um sich davon nicht quälen zu lassen. Russland aber fliegt weiter seine Angriffe – auf Odessa, auf Charkiw, auf Kiew. Es leistet es sich, weil die russische Gesellschaft den Krieg mitträgt und die Mehrheit – aus unterschiedlichen Gründen – sagt: „Der Sieg wird unser sein.“ Jegliche andere Haltung wird vernichtet.
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