Mittwoch5. November 2025

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Bertolt Brecht„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ im Nationaltheater: ein multilinguales und -mediales Spektakel

Bertolt Brecht / „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ im Nationaltheater: ein multilinguales und -mediales Spektakel
„Saint Joan of the Stockyards“: Agata Tomšič, Davide Sacco und Florian Hirsch unter „Attention“, dem TNL-Motto der Saison Foto: Editpress/Julien Garroy

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Bertolt Brecht ist aktuell wie eh und je, wie die aktuelle Inszenierung von „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ im „Théâtre national du Luxembourg“ (TNL) zeigt. Was macht ihn aktuell? Und wie werden seine Stücke heute auf die Bühne gebracht? Etwa als multimediales und multilinguales Theaterstück, wie es Davide Sacco und Agata Tomšič von ErosAntEros seit fast 15 Jahren tun: in Form eines engagierten Theaters, einer markanten Ästhetik und dieses Mal mit der Musik der slowenischen Band Laibach.

ErosAntEros ist aus der Begegnung der beiden Theatermacher im Jahr 2010 entstanden. „Wir bedienen uns einer Vielzahl von Quellen und Ausdrucksformen“, erklärt Davide Sacco. In Luxemburg war diese Art des multimedialen Theaters bereits vor mehr als zwei, drei Jahren im TNL bei der Koproduktion „Confini“ zu sehen. Das Stück, das in Zusammenarbeit mit dem Autor Ian De Toffoli entstand, entpuppte sich als eine spektakuläre und zugleich gesellschaftskritische Performance über das Thema Migration sowie über die politische und ökonomische Geschichte der Europäische Union. Bunt, wuchtig und komplex, nicht mit dem Vorschlaghammer, sondern mit der ganzen Bandbreite an Möglichkeiten, die das Theater der Gegenwart aufzufahren in der Lage ist.

Agata Tomšič von ErosAntEros hat bereits in „Confini“ gespielt
Agata Tomšič von ErosAntEros hat bereits in „Confini“ gespielt Foto: Editpress/Julien Garroy

Nun also Brecht. „Wir haben uns schon vor langer Zeit in ihn verliebt“, gesteht Agata Tomšič und erinnert daran, dass ErosAntEros vor bald zehn Jahren Brechts „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ aufgriff. Der Autor hatte den Essay ungefähr zu jener Zeit geschrieben, als auch „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ entstand. „Beide Texte haben viel gemeinsam“, erklärt die aus Slowenien stammende Schauspielerin und Dramaturgin. „Vor allem ihre antikapitalistische und antifaschistische Stoßrichtung. Normalerweise wählen wir Texte von mir oder anderen zeitgenössischen Autoren aus. Dieses Mal suchten wir uns einen Klassiker aus, der aber politisch einen Bezug zu uns hat. Daher kam es zur Arbeit an ‚Saint Joan of the Stockyards‘. Das Stück ist zwar schon fast hundert Jahre alt, aber den Kapitalismus gibt es immer noch. Nur hat er sich weiterentwickelt und im Lauf der Zeit auf unterschiedliche Art und Weise verändert. Das heutige Produktionssystem ist weniger sichtbar in der heutigen westlichen Gesellschaft, auch ist es nicht mehr so gut zu bekämpfen etwa durch Streiks wie zum Beispiel noch in den 70er Jahren. Alles ist viel komplexer. Aber die Basis ist dieselbe geblieben: die Ausbeutung der Arbeitenden und des Planeten.“

Cum-ex und ex-und-hopp

In der Tat ist der Kapitalismus heute ein anderer, die gesellschaftlichen Verhältnisse sind differenzierter: Aus den Bossen von einst sind multiglobale Strategen geworden, die nahezu unübersichtliche Konzerne leiten oder auf einem für außenstehende Betrachter nicht mehr durchschaubaren Finanzmarkt mit Unsummen jonglieren oder Cum-ex und ex-und-hopp Millionen einstreichen. Ultrareiche Investoren wie René Benko fahren traditionsreiche Unternehmen an die Wand und Milliardäre wie Elon Musk wollen politische Macht. Brechts Welt war noch verhältnismäßig einfach zu überblicken. Heute lesen hingegen Ökonomen die Schriften von Karl Marx, um den Kapitalismus vor sich selbst zu retten. Trotzdem biete Brecht noch immer die ideale Grundlage, um die Basics zu verstehen, wie der Kapitalismus funktioniert, sagt TNL-Dramaturg Florian Hirsch. Auch wenn die Industriearbeiter von einst die unter prekären Verhältnissen Plattform-Worker von heute sind, die als Ich-AG auf dem Arbeitsmarkt die schlechtesten Karten gezogen haben. Was Anfang der 1930er und selbst vor 20 Jahren noch die Arbeitslosen waren, sind heute die Working Poor. Die Ausbeutung ist subtiler geworden, ist aber noch immer Ausbeutung. Ähnlich ist es mit der Armut, und aus einer Krise ist längst eine nimmer enden wollende Polykrise geworden.

Davide Sacco, der Regisseur von „Saint Joan of the Stockyards“
Davide Sacco, der Regisseur von „Saint Joan of the Stockyards“ Foto: Editpress/Julien Garroy

„In dieser Hinsicht ist Brecht heute noch sehr relevant“, betont TNL-Dramaturg Florian Hirsch. Als Brecht „Die heilige Johanna“ schrieb, hatte der große Börsencrash von 1929 die Weltwirtschaftskrise ausgelöst und damit Millionen Menschen arbeitslos gemacht. Heute sind wir schon einige Finanz- und Wirtschaftskrisen weiter. „Zwischen den Kapitalisten und den Arbeitern, die ihren Job verloren haben, kommt noch eine weitere Gruppe zum Vorschein“, erklärt Davide Sacco. „Es ist die der Heilsarmee, im Stück die ‚Schwarzen Strohhüte‘ genannt.“ In Saccos Inszenierung werden sie von den Laibach-Musikern dargestellt. Deren Musik hat der Regisseur schon mehrere Male für Inszenierungen verwendet. Laibach, Anfang der 1980er Jahre als musikalische Abteilung des Kunstkollektivs „Neue Slowenische Kunst“ (NSK) gegründet, wurde international mit einer experimentellen Musik, zumindest in der Anfangszeit einem elektronischen Minimalismus, bekannt. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelten die Musiker einen Stil, der zahlreiche Genres umfasst. Nun hat die Band eigens für diese Produktion die Musik geschrieben und tritt persönlich auf der Bühne auf. In Slowenien sorgten nicht zuletzt die Kultmusiker für volle Häuser. Die „schwarzen Strohhüte“ sind eine intermediäre Gruppe, welche die Arbeitenden besänftigt und das System stabilisiert. „Sie sind Teil des Systems“, sagt Sacco. Genauso können sie aber auch als populistische Bewegung interpretiert werden.

Joan Dark und die Stock Markets

Die luxemburgisch-italienisch-slowenische Koproduktion hat schon aufgrund der unterschiedlichen Herkunftsländer der Teilnehmenden dazu geführt, dass das Stück nicht nur multimedial, sondern auch multilingual in vier Sprachen ist. Über die Rolle der Joan Dark – der Bezug zu Jeanne d’Arc war bereits bei Brecht gegeben – haben die Theatermacher lange diskutiert. „Sie ist einerseits Teil der ‚schwarzen Strohhüte‘, aber entwickelt sich im Verlauf des Stücks weiter“, sagt Agata Tomšič. „Sie verändert sich ständig und pflegt Kontakt sowohl zu den Kapitalisten und insbesondere zu Mauler. Dies darzustellen war meine besondere schauspielerische Herausforderung.“ Während die Arbeitenden im Stück Slowenisch sprechen und der bestens mit der virtuellen Finanzwelt verbundene Großkapitalist namens Mauler Italienisch, sind einige Schauspieler der Inszenierung per Videocall auf Bildschirmen zugeschaltet. Marco Lorenzini fungiert als Börsennotizen vortragender News-Anchorman und berichtet vom Stock Market statt vom Schlachthof. Danilo Nigrelli spielt Mauler. 

Florian Hirsch, Dramaturg des Théâtre national du Luxembourg
Florian Hirsch, Dramaturg des Théâtre national du Luxembourg Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Inszenierung hat am Anfang der Woche noch in Ljubljana Station gemacht. Während die Techniker die Bühne aufbauen, spreche ich mit Davide Sacco, Agata Tomšič und Florian Hirsch über die Herausforderungen, Brecht ins 21. Jahrhundert zu transferieren. Vier Dramaturgen haben die Köpfe zusammengesteckt, viele Stunden Arbeit am Text, der auf knapp zwei Stunden gekürzt wurde, waren erforderlich, und lange Proben, nach denen das Spektakel sowohl spielerisch als auch episch der komplexen Adaption des Stücks gerecht werden soll. Brecht eben.