Freitag26. Dezember 2025

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ObdachlosigkeitVom Straßenkind zum Bestsellerautor: Dominik Bloh berichtet über seinen Weg

Obdachlosigkeit / Vom Straßenkind zum Bestsellerautor: Dominik Bloh berichtet über seinen Weg
Dominik Bloh lebte als Jugendlicher auf der Straße, heute ist er Bestsellerautor Foto: Julia Schwender

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Dominik Bloh landete mit 16 Jahren auf der Straße. Das Schreiben und das soziale Engagement halfen ihm auf dem Weg aus der Not. Heute hilft der 36-Jährige selbst Obdachlosen. In Wiltz liest er aus seinem neuen Buch „Die Straße im Kopf“. Das Gespräch fand vergangene Woche statt, als er gerade in Sankt Pauli unterwegs war.

Tageblatt: Herr Bloh, wie war es für Sie, als Sie nach elf Jahren Obdachlosigkeit wieder eine Wohnung hatten?

Dominik Bloh: Von der Straße zu kommen und dann wieder einen eigenen Wohnraum zu haben, aber auch als nächsten Schritt, ein neues Zuhause zu schaffen, das sind unterschiedliche Dinge. Aber ich stellte schnell fest, dass das Happy End nicht ist, den Schlüssel zu haben, sondern es kommen dann ganz neue Herausforderungen auf einen zu.

Um welche Herausforderungen handelt es sich?

Ich kann jetzt Elektrizität benutzen, habe ein Badezimmer und einen Kühlschrank, aber die Straße hat mich doch nicht ganz losgelassen. Die Straße ist noch in meinem Kopf, wie mein neues Buch heißt. Dabei handelt es sich um viele Verhaltensmechanismen – etwa die jahrzehntelange Gewohnheit, bis heute noch keinen Kleiderschrank zu benutzen, sondern alles in Taschen zu stecken und dort aufzubewahren. So geht es nicht nur mir.

In Deutschland sind laut neuesten Schätzungen 600.000 Menschen wohnungslos …

… und mindestens 50.000 davon ohne Obdach. Das beschäftigt also eine ganze Menge Menschen, wenn die wieder einen Mietvertrag in der Tasche haben und in eine Wohnung ziehen. Das zum Beispiel war früher mein Bett (er zeigt auf eine hölzerne Sitzvorrichtung in dem Park in der Nähe der Landungsbrücken von Sankt Pauli; Anm. d. Red.). Jetzt habe ich wieder eine Wohnung, Bett und Matratze. Und wenn ich heute wo eingeladen werde und lande in einem Hotel, in dem ein King-Size-Doppelbett steht, dann war das am Anfang ganz schön neu für mich.

Sie sind immer wieder an den Ort zurückgekehrt, wo Sie früher auf der Straße gelebt haben. Was treibt Sie zurück?

Wie gesagt, ist die Straße im Kopf, und der Schlafsack bleibt griffbereit. Das ist vielleicht ein absurder Gedanke. Manche fragen sich, was der Junge jetzt hat. Der hat doch eigentlich alles, wie kommt er nur auf den Gedanken, wieder alles loszulassen. Aber ich bin als Jugendlicher obdachlos und erwachsen geworden. Auf der Straße kenne ich mich aus, hier war ich zu Hause. Ich hatte mir eine Art Mindmap für das Buch gemacht. Den ersten Teil habe ich zu Hause geschrieben – und der handelte vom Park.

Sie wurden mit dem Buch „Unter Palmen aus Stahl“ 2018 Bestsellerautor. Was brachte die große Öffentlichkeit in Ihrem Kampf gegen die Wohnungslosigkeit?

Es bestehen echte Möglichkeiten, wirksam zu sein und mit gemeinsamen Kooperationen weiterzukommen. Ein Beispiel ist der nationale Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit, um die Obdachlosigkeit in Deutschland bis 2030 zu beenden.

Wie kam es dazu, dass Sie auf der Straße landeten?

Es war unverschuldet aus meiner Familiengeschichte heraus, als mich mit 16 meine Mutter vor die Tür setzte und ich auf der Straße landete. Meine Mutter war psychisch erkrankt. Ich mache ihr keine Vorwürfe. Für mich war es aber schwer nachzuvollziehen. Dann hat auch die Hilfe nicht richtig funktioniert, obwohl ich von der Schule bis zu den sozialen Behörden meine Geschichte erzählt hatte. So wurde ich meistens hin- und hergeschoben. Die Straße hat mich erstmal komplett geschluckt.

Wie sind Sie von der Straße weggekommen?

Ich wollte etwas ändern. Ich schrieb – und ich schrieb alles auf, was mir half, die Nächte rumzukriegen. Es war eine Art Selbsttherapie. Aber es brauchte auch andere Menschen, die mir halfen. Als ab 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen und ich diese Leute sah, mit Isomatte, Schlafsack und Tasche unter dem Arm, beschloss ich, ihnen zu helfen. Die Flüchtlingskrise hat mein Leben verändert. Ich sagte mir, wer Gutes tut, bekommt auch Gutes zurück. Ich habe außerdem jemanden getroffen, der philanthropisch veranlagt war und Menschen von der Straße holen wollte. Er fand es beeindruckend, dass ich anderen half, und wollte mir helfen. Er besorgte mir eine Wohnung und bezahlte mir ein Jahr lang die Miete. So kam ich weg von der Straße.

Es hätte auch anders kommen können …

… und wenn man so tief in der Scheiße steckt, gerät man noch tiefer rein. Ich wusste, dass ich etwa ändern musste.

Viele Obdachlose leiden unter psychischen Problemen, werden drogen- oder alkoholabhängig. Bestand bei Ihnen diese Gefahr nicht?

Das Leid der anderen schreckte mich ab. Es führte dazu, dass ich die Finger von Drogen und Alkohol ließ.

In Luxemburg wurde in den vergangenen Monaten über ein Bettelverbot diskutiert. Ähnliches geschah in Hamburg. Brauchte es viel Überwindung für Sie, um zu betteln?

Ich überwand den letzten Rest Stolz und bat Leute um Geld. Man schämt sich, weil man niemandem zur Last fallen möchte. Kriminell zu werden, wäre eine andere Möglichkeit gewesen. Heute versuche ich zu geben, soweit ich kann. Wichtig ist es, den Menschen Hoffnung zu geben, damit sie nicht aufgeben. Maßnahmen wie ein Bettelverbot sind menschenverachtend. Es geht hierbei um die Frage, wie sehr wir als Gesellschaft zusammenstehen und sagen, dass die Menschen, die betteln und auf der Straße leben, auch unsere Nachbarn sind. Die sollen nicht vertrieben und zusammengepfercht werden in irgendwelchen Containern, sondern ihnen soll eine Perspektive geboten werden. Dazu gibt es konkrete Zahlen: Ein Mensch ohne Obdach kostet eine Kommune zwischen 30.000 und 50.000 Euro im Jahr. Eine Wohnung anzumieten und eine soziale Beratung zur Seite zu stellen, könnte sehr viel günstiger sein, als nur ein System zu verwalten, aber nie die Ursachen zu bekämpfen. Und nie eine nachhaltige, langfristige Lösung zu schaffen. Das Problem verschärft sich ja auch. Das zeigen die Statistiken. Es hat mit uns allen zu tun und gehört in den Bereich des bezahlbaren Wohnraums. Ein Thema, das weit in die Mittelschicht reicht.

Das Bettelverbot richtet sich vor allem gegen organisiertes Betteln. Der Vorwurf gilt oft Roma-Gruppen aus Südosteuropa.

Ich habe nur wenige kennengelernt, weiß aber, dass Leute ausgebeutet werden. Oft handelt es sich um ganze Familien. In osteuropäischen Ländern sind ganze Dörfer verarmt. Wenn diese Menschen nach Deutschland oder Luxemburg kommen, werden sie nicht gerade herzlich empfangen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich in einer Gemeinschaft durchzuschlagen, die sich unterstützt und nach außen schützt. Das sieht dann schnell wie eine organisierte Bettlerbande aus.

Sie sind nach wie vor in Kontakt mit Obdachlosen.

Ja, das ist noch derselbe Kiez. Ich hatte gedacht, Neid und Missgunst gegenüber einem, der es geschafft hat, würden aufkommen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es heißt eher, zu zeigen, dass es auch andere schaffen.

Wie kam es zur Idee mit dem Duschbus „Go Banyo“?

Aus der eigenen Erfahrung heraus. Das war für mich das Schwierigste. Ich war so lange dreckig, dass ich dachte, ich wäre selber Dreck. Es ist ein erster Schritt, sich wieder waschen zu können und vielleicht geduscht zu einer Wohnungsbesichtigung oder zur Arbeitsagentur zu gehen – und nicht als der verschmutzte, verwahrloste „Penner“ hinzugehen. Als ich gemerkt habe, dass Türen für mich aufgingen, gründeten wir 2019 „Go Banyo“.

Dominik Bloh

1988 in Neu-Ulm geboren. Nachdem er mit seinem gewalttätigen Stiefvater und seiner überforderten Mutter sowie seinem jüngeren Bruder nach Hamburg umgezogen war, lebte er bereits mit 16 Jahren auf der Straße. Nach mehr als zehn Jahren schaffte er den Sprung aus der Obdachlosigkeit. Für seine Idee, mithilfe von Sponsoren einen mobilen Duschbus einzurichten, erhielt er 2022 das Bundesverdienstkreuz. Nach wie vor engagiert sich Bloh gegen Obdachlosigkeit und berät darin Politiker. Sein Buch „Unter Palmen aus Stahl. Die Geschichte eines Straßenjungens“, 2017 im Ankerherz Verlag erschienen, wurde zum Bestseller. Sein zweites Werk „Die Straße im Kopf“ wurde Anfang Oktober im Kampenwand Verlag veröffentlicht. Er erzählt darin, wie seine Geschichte weitergegangen ist: „Ich bin kein Straßenjunge mehr. Ich habe eine Wohnung, ich bin Spiegel-Bestsellerautor. Aber die Straße vergisst du nie.“ Bloh lebt in München und Hamburg. Er liest am Donnerstag und Freitag, 7. und 8. November, jeweils um 19 Uhr 30 im Prabbeli in Wiltz aus seinem Buch. Eintritt: 15 Euro.