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LuxemburgÜber 50 Maßnahmen: „La voix des survivant(e)s“ schlägt Gesetz zu häuslicher Gewalt vor

Luxemburg / Über 50 Maßnahmen: „La voix des survivant(e)s“ schlägt Gesetz zu häuslicher Gewalt vor
Präsidentin von „La voix des survivant(e)s“: Ana Pinto Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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„La voix des survivant(e)s“ macht Ernst: Sie legt der Regierung ein eigenes Gesetzesprojekt vor, um Missstände im Umgang mit Betroffenen häuslicher Gewalt anzugehen. Wie es dazu kam und wobei die Justiz offenbar Hilfe benötigt. 

Die Organisation „La voix des survivant(e)s“ (LVDS) lud am Montag zur Konferenz „Violences physiques, psychologiques et sexuelles: pour une réforme de la loi“ ins Cerclé Cité in Luxemburg-Stadt: Die Mitglieder präsentierten dort einen eigens erarbeiteten Gesetzestext. Das Tageblatt unterhielt sich im Vorfeld der Konferenz mit Ana Pinto, der Präsidentin von LVDS.

„Wir arbeiten seit einem Jahr an dem Projekt, das wir heute Abend vorstellen“, verriet sie wenige Stunden vor der Konferenz, bei der sie u.a. Justizministerin Elisabeth Margue (CSV) erwartete. „Wir haben uns mit Juristen und Richtern zusammengetan, um der Frage auf den Grund zu gehen: Was läuft in Luxemburg im Umgang und bei der Betreuung von Überlebenden von Gewalt schief? Und die Antwort lautet: vieles.“

Das liegt im Argen

Zuerst lancierte die Organisation einen Zeug*innenaufruf. „Wir wollten von Betroffenen häuslicher Gewalt wissen, was sie im Austausch mit den Autoritäten – der Polizei, dem ‚Service central d’assistance sociale‘ (SCAS) und dem ‚Service Treffpunkt‘ – erleben“, so Pinto. „Die zahlreichen Rückmeldungen waren überwältigend.“ Das allgemeine Fazit: Der Polizei fehle es an Empathie und der nötigen Ausbildung; nicht selten würden die Mitarbeitenden des SCAS und des „Treffpunkt“ die Kinder zur Begegnung mit dem gewalttätigen Elternteil zwingen, weil ein Besuchsrecht vorliege. „Das Personal schüchtert die Kinder ein: ‚Willst du, dass Mama ins Gefängnis muss, weil du Papa nicht besuchen willst?‘“, weiß Pinto. „Die Mutter wird in dem Fall zum Sündenbock und die Kinder verschweigen Gewalterfahrungen aus Angst vor möglichen Konsequenzen.“

Als Argument für das Besuchsrecht werde oft die Eltern-Kind-Entfremdung angeführt, nach der sich ein Kind nach der Trennung durch die Manipulation eines Elternteils von dem/der anderen Erziehungsperson distanziert. Zum einen sei diese Theorie stark umstritten, zum anderen stehe in der „Istanbul-Konvention“ – Luxemburg hat diese 2018 ratifiziert – unmissverständlich, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts u.a. keine Bedrohung für die Überlebenden und Mitbetroffenen häuslicher Gewalt darstellen dürfe, so Pinto. Dem müsse die Justiz nachkommen. 

So wird’s besser

LVDS fordert zudem die Einrichtung einer Untersuchungsstelle für Kinder, wie es sie jetzt schon für Erwachsene gibt: Die Angestellten der „Unité médico-légale de documentation des violences“ (Umedo) dokumentieren die Verletzungen nach Gewalttaten zur Nutzung vor Gericht. „Ich besuche seit fünf Jahren Schulklassen, um dort über häusliche Gewalt zu sprechen“, sagt Pinto. „Es gab bisher nur drei Klassen, in denen nicht mindestens ein Kind häusliche Gewalt erfahren oder beobachtet hat. Einige von ihnen haben deswegen sogar Suizidgedanken.“ Umso wichtiger sei es, dass das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend in Zukunft ein Budget zur entsprechenden Aufklärungsarbeit an Schulen und Gymnasien bereitstelle.

Uns ist klar, dass die Regierung unseren Gesetzestext nicht integral übernimmt, doch wenn sie ein, zwei Punkte umsetzt, wäre das schon ein kleiner Erfolg

Ana Pinto, Präsidentin „La voix des survivant(e)s“

Genauso bedeutend fände LVDS die Aufnahme psychologischer Gewalt ins Strafgesetzbuch, wie es die „Istanbul-Konvention“ ebenfalls vorschreibt; schnellere Gerichtsverfahren und die Einrichtung von „tribunaux spécialisés sur la violence intrafamiliale“, wie es sie in Spanien bereits gebe. Weitere Forderungen sind in den öffentlichen Berichten der Organisation (survivant-e-s.lu) nachzulesen. „Wir haben über 50 Artikel ausgearbeitet, basierend auf den Erfahrungsberichten von Betroffenen und ‚best practices‘ aus dem Ausland“, sagt Pinto. „Uns ist klar, dass die Regierung unseren Gesetzestext nicht integral übernimmt, doch wenn sie ein, zwei Punkte umsetzt, wäre das schon ein kleiner Erfolg.“

Guy Mathey
15. Oktober 2024 - 10.41

Der Vereinigung LVDS gilt mein grösster Respekt für die Organisation dieser, in mehrerlei Hinsicht, beeindruckenden Konferenz!

Zum einen wurde von Juristen der Vereinigung ein detaillierter Gesetzestext erarbeitet, welcher sich an positiven Erfahrungen anderer Länder (z.B. Spanien) inspiriert. Die politisch Verantwortlichen Luxemburgs sind aufgefordert diese Vorschläge zeitnah in die nationale Gesetzgebung einfliessen zu lassen.

Es ist im Übrigen ein Armutszeugnis, insbesondere auch für vergangene Legislaturperioden, dass es in den angesprochenen Bereichen einen derart riesigen Nachholbedarf in Luxemburg gibt und es einer Vereinigung Betroffener bedarf, um einen geeigneten Gesetzesvorschlag auszuarbeiten!

Erschreckend, wenn auch für Insider nicht unerwartet, waren die Aussagen von Betroffenen Familienangehörigen betreffend die derzeitigen, regelrecht skandalösen Missstände in Luxemburgs Behörden betreffend den Umgang mit Opfern von Gewalt.

Frau Ministerin Elisabeth Margue, welche der Konferenz ebenfalls beiwohnte, sollte dies zur Chefsache erklären und unmittelbar die erforderlichen Massnahmen in die Wege leiten.