Die Pyramiden in Ägypten hätte sie schon noch mal gerne gesehen, gibt Simone Wohl freimütig zu. „Aber wenn ich da nicht mehr hinkomme, ist es auch nicht schlimm“, sagt sie. Mit dem Wohnmobil, das sie und ihr Mann sich bei Renteneintritt vor drei Jahren angeschafft haben, kommt sie genug herum. Marokko, Dänemark, Italien, Pyrenäen …, die Liste der besuchten Reiseziele ist lang.
Zu Hause im Minette macht sie Führungen, wenn sie nicht tourt. Darauf hat sie hingearbeitet. Schon zwei Jahre, bevor die Sozialpädagogin ihr Arbeitsleben beendet, macht sie sich Gedanken. Mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiterzuarbeiten, wie sie es 40 Jahre lang getan hat, kommt nicht infrage. „Irgendwann ist es mal gut“, sagt sie. Trotzdem will sie sich vorbereiten, auf das „Neue, das da kommt“, wie sie sagt.
Die Stadt ist so pulsierend, lebendig und multikulti
Es muss etwas sein, das ihr Spaß macht. Als sie den Aufruf der Stadt Esch – es werden Touristenführer gesucht – sieht, ist die Gelegenheit da. „Ich dachte, Kunst, Reisen und Führungen, das sind doch tolle Aussichten“, sagt sie und legt los. Architektur, Geschichte, Anekdoten: Wenn die Führungen begeistern sollen, müssen diejenigen, die sie machen, viel wissen. Simone Wohl arbeitet sich gleich in zwei Themengebiete ein.

Die Führungen durch Esch sind kein Zufall

So wenig Esch und Kirchengeschichte auf den ersten Blick miteinander zu tun haben, beides liegt ihr nahe. Sie bekennt sich offen zur Kirche. Als sie noch arbeitet, bleibt leider nur der Kirchenchor. Heute führt sie nicht nur durch die heiligen Gebäude, sondern ist Sekretärin der Kirchenfabrik und sitzt im Pastoralrat. Und Esch? Fremden die DNA der Stahlstadt näherzubringen, ist für die gebürtige Schifflingerin eine Herzensangelegenheit mit vielen Bezügen zum eigenen Leben.
Großvater, ihr Vater und Schwiegervater, alle Onkel: Die Männer in ihrer Familie leben im Puls des Zweischichtbetriebs der Hüttenwerke. Lärm, Staub, Schmutz und oft prekäre Lebensbedingungen der vielen Gastarbeiter aus anderen Ländern prägen nicht nur deren Leben, sondern lange auch das Image der Stadt. Wohl selbst ist ein „Babyboomer“, erlebt den Niedergang der Eisenerzproduktion als Mutter von drei Kindern.
Sie beginnt ihre Führungen gerne an einer Skulptur, die für sie viel mit den Widersprüchen und vielfältigen Lebensweisen der Stadt zu tun hat. Es ist Bettina Scholl-Sabbatinis Stuhl aus Bronze, mitten in der Alzettestraße, der Flanierende und Besucher einlädt, darauf zu verweilen und die Stadt auf sich wirken zu lassen. Als die Skulptur 2006 installiert wird, feiert Esch gerade den 100. Jahrestag der Verleihung der Stadtrechte.
Das Projekt „Silver Experts“ soll wachsen
Den nach afrikanischen Vorbildern stilisierten Kopf am Ende der hohen Lehne interpretiert Wohl als „guten Geist“, der über der Stadt schwebt. „Man muss ihn erkennen, und dann merkt man, wie schön es hier ist“, sagt sie. „Die Stadt ist so pulsierend, lebendig und multikulti.“ Entweder lässt man sich darauf ein oder man lässt es. Und geht dann wieder. Sie ist immer in der Umgebung von Esch geblieben.

Heute wohnt sie in Monnerich und ist eine von rund einem Dutzend „Silver Experts“ beim „Centre de compétence gérontologique“ (Gero). Es sind Senioren, die als Rentner ihre Fähig- und Fertigkeiten wachhalten. Die Basis dafür sind entweder durch den Beruf erworbene Kenntnisse oder welche, die in der Rente dazukommen, weil dann die Zeit reif dafür ist. Solche aktiven Rentner gab es schon immer, wie Gero-Direktor Alain Brever (39) erzählt.
Eine ehemalige Lehrerin, die anderen Senioren Computerkurse gibt. Oder eine ehemalige Krankenpflegerin, die Gedächtnistrainings gegen Demenz veranstaltet oder ein ehemaliger Notar, der zu den Themen Testament und Erbfolge informiert: Die Palette ist breit. Mit „Silver Experts“ haben diese Aktivitäten seit diesem Jahr einen Namen und sind nun ein Projekt. „Wir wollen damit noch mehr Senioren ermuntern, ,Silver Expert‘ zu werden“, sagt Brever vor dem Hintergrund, dass andere Projekte bereits funktionieren.
Zwölf Gero-Pensionscoaches haben allein im vergangenen Jahr 57 Konferenzen bei Unternehmen im ganzen Land veranstaltet, um angehende Pensionäre auf die neue Lebensetappe vorzubereiten. Simone Wohl hat sich jetzt schon darin zurechtgefunden und steht für ein positives Bild vom Alter. Wenn sie nicht reist, schwimmt oder im Pilates- und Aerobictraining ist, geht sie mit Touristen durch „ihre“ Stadt. „Mein Esch“ ist der Titel der Führung. Er ist auch bezeichnend für das, was sie für die Minettestadt empfindet.
Statec-Zahlen zur Lage der Senioren
In einer im September 2024 veröffentlichten Studie hat sich das Statec mit der Situation der Senioren beschäftigt. Die Daten stammen aus dem Jahr 2021. In dem Jahr lebten rund 95.000 Menschen im Land, die 65 Jahre und älter waren. Die luxemburgische Nationalität überwiegt. Sieben von zehn Senioren hatten den Luxemburger Pass. Mit 22.423 Personen oder 23,1 Prozent Anteil an 100 Prozent Senioren lebte gut ein Viertel der 65-Jährigen und älter allein. Die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen ist hierzulande niedrig und beträgt 46,6 Prozent. Der EU-Durchschnitt liegt bei 61,3 Prozent.

De Maart

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