Pedro Almodóvar wurde 1949 in einem Dorf in Kastilien, in La Mancha geboren. Die ruralen Verhältnisse, die Armut und die engstirnige Mentalität um ihn herum prägen seine Kindheit. Die werkkonstanten Leitkoordinaten für sein filmisches Schaffen liegen für Almodóvar in dieser frühkindlichen Zeit: Da gibt es die wichtige Präsenz seiner Mutter, die zu einer Schlüsselfigur seines Werkes wird, sowie die Religion, die der ehemalige Ordensschüler in seinen Filmen gerne verarbeitet. Und es gibt die grenzenlose Liebe zum Film. Der Kinosaal wird sein Zufluchtsort, er ist fasziniert von den Bewegtbildern. Das Kino wird den jungen Almodóvar nicht mehr loslassen.
Zunächst aber arbeitet Pedro Almodóvar in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren in Madrid für eine Telefongesellschaft und so sollte er nicht nur die finanziellen Mittel für seine erste Super 8-Kamera erhalten, er sollte auch etwas Wesentliches über Spanien lernen. Er musste dort Telefonapparate gegen neue austauschen und so legte sich ihm ein kollektives Sehnsuchtsgefühl offen. Er spürte da, dass die Menschen einen Wandel wollten, sie wollten bunte Telefone, so wie sie neue Telefongespräche wollten. Es war auch Zeit für etwas künstlerischen Umbruch.
Autodidakt
Da Almodóvar durch die Schließung der Filmschule durch Franco keinen Zugang zu einer Ausbildung erhält, geht er den autodidaktischen Weg: Er entwickelt seine ersten Geschichten aus der Lektüre von Comicheften, schreibt seine ersten Super-8-Szenarien und findet so Ende der Siebziger seinen Zugang in die Madrider Kunstszene. An Abenden und Wochenenden werden erste Kurzfilme gedreht, die nie veröffentlicht werden sollten. In dieser Zeit entsteht auch sein Debütfilm „Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande“ von 1980. Der Film kommt wie ein Schock, nicht nur in ästhetischer Hinsicht. Das spanische Kino war bisher geprägt von einer Reihe von delikaten Filmen, die versuchten, die Vergangenheit des Landes zu dramatisieren und sich an die Traumata der Diktatur im Land heranzuwagen. Dazu gehören Filme wie Víctor Erices „Der Geist des Bienenstocks“ (1973), der das Leben eines jungen Mädchens im Jahr 1940 behandelt, in einem Netz aus Unschuld und Wachsamkeit, das von Gewalt und Bedrohung durchzogen ist.
So auch „Cría cuervos“ (1976) von Carlos Saura, ein Film, der aus der Perspektive eines jungen Mädchens das Erbe des Faschismus dramatisiert, ebenso wie „El Sur“ (1983) von Erice, der eine Welt der Unterdrückung in der Provinz zeigt. Dies wäre eine denkbare Richtung gewesen, die das spanische Kino hätte nehmen können; eine Aufgabe, die darin bestünde, Bilder zu finden für die Unterdrückung und das Gefühl des Verlustes durch den Krieg. Die Vergangenheit interessiert den jungen Almodóvar in seinen Filmen aber nicht direkt, zu sehr ist er mit der Zeit der Movida verbunden. Es sind jene bewegten Jahre des Umbruchs, in denen Spanien den Übergang vom Faschismus zur Demokratie vollzog, aus denen Almodóvars symbolträchtige Filme hervorgehen sollten. In dieser Zeit lernt er Antonio Banderas kennen, dessen Männlichkeitsbild ihn als Regisseur inspiriert; er wird neben der Schauspielerin Penelope Cruz zu seiner Muse.
Beide Darsteller werden immer wieder den kreativen Ideen Almodóvars aus Sehnsüchten und Lust Gestalt geben – es in ein radikal innovatives und provokatives Kino des Begehrens, das Sexualität freizügig und vielseitig zeigt, etablierte Geschlechterrollen gegen den Strich bürstet und ohnehin eine ganz neue Sprache für das spanische Kino jener Jahre findet. Ein gegenwartsbezogenes Kino war da, das freizügig und lebensfroh im unmittelbaren Jetzt verankert war. Was wäre, wenn sich niemand für die Vergangenheit interessieren würde? Almodóvars Filme ließen die depressiven dunklen Farben dieses früheren Kinos vergessen, farbenprächtig und hell sollen nahezu alle Filme des Spaniers in der äußeren Erscheinung sein, es ist seine direkt erkennbare formale Handschrift.
Der Aufstieg
Diese einmalige Handschrift wird auch der internationalen Filmbühne nicht lange verborgen bleiben. Mit der Auszeichnung von „Todo sobre mi madre“ (1999), Almodóvars besonnener Zeitreise, die auf die Movida zurückblickt, als bester fremdsprachiger Film bei den Oscars, war er endgültig am Zenit angelangt. Zuvor aber standen angriffslustige Filme wie „Das Kloster zum heiligen Wahnsinn“ (1983) – vielleicht Almodovars unverhohlenster Hieb auf die klerikale Autorität, die seine Jugend so sehr prägte – oder noch „Womit habe ich das verdient?“ (1984). In beiden Filmen wird ein Merkmal zentral, das sich so auch in „High Heels“ (1991) und „Kika“ (1993) wiederfindet: Wie kein anderer hat es Pedro Almodóvar verstanden, Frauenschicksale zum Mittelpunkt seiner Filme zu machen. Da gibt es die heroinabhängige Sängerin Yolanda, die überaus unkonventionellen Nonnen, oder die unter einem Mutterkomplex leidende Gloria.
Es sind Frauen, die von ihren Männern betrogen und verlassen, gefesselt, geschlagen und vergewaltigt werden, nie aber ihren Lebensmut verlieren. Man kann unter diesem spezifischen inhaltlichen Zuschnitt auf die Frauenperspektive im Widerstreit mit einer oppressiven Gesellschaft gut nachvollziehen, warum Almodóvars Filme als Melodramen rezipiert werden, die an die Arbeiten Douglas Sirks erinnern, doch die Themenkomplexe aus Liebe, Leben, Tod, Lust und Sex verdichtet der Spanier in einer rauschhaften Filmsprache, die auch die Geschlechterbilder neu denkt. „Das Gesetz der Begierde“ (1987) etwa zeigt die gleichgeschlechtliche Beziehung zweier Männer in bis dahin unvorstellbar expliziten Bildern – und das in einem Land, in dem Homosexualität bis 1997 noch unter Strafe stand.
Almodóvar dekonstruiert Männlichkeitsbilder des spanischen Machismo auch dergestalt, dass sie Züge des Weiblichen annehmen können, wie in „Matador“ (1984), eine exemplarische Amour-fou-Erzählung; deutlicher, ja buchstäblich aber noch in „Die Haut, in der ich wohne“ (2011). Angelehnt an den Horrorklassiker „Les yeux sans visage“ (1960) von Georges Franju, erzählt Almodóvar hier im Stile eines Rachethrillers von sexueller Identität und der Geschlechtsumwandlung. Almodóvar ist ab den 2000ern zu einer festen Größe des internationalen Kinos geworden – ein gern gesehener Festivalgast in Cannes und Venedig, unzählige Hollywood-Größen wollen unbedingt mit ihm zusammenarbeiten.
Das Alterswerk
Mittlerweile hat der bald 75-jährige Regisseur eine neue Schaffensphase eingeläutet: Spätestens nach dem Misserfolg von „Fliegende Liebende“ (2013), der versuchte, an die früheren Werke anzuknüpfen, hat Almodóvar eine bedächtige, rückbesinnende Phase erreicht. Als Autofiktionsporträt vermischt „Dolor y gloria“ (2019) auf einer metareflexiven Ebene Faktisches und Fiktionales so gekonnt, dass man sich der Frage nicht entziehen kann, was denn nun stimmt in diesem melancholischen Porträt eines alternden Filmemachers, der die eigene Karriere Revue passieren lässt. „Julieta“ (2016), „Madres paralelas“ (2021) und jetzt „The Room Next Door“ sind hingegen wieder entschieden aus der Frauenperspektive erzählt. Es geht hier ebenfalls um den Rückblick auf ein vergangenes Leben.
In „Julieta“ denkt eine Mutter über die gemeinsame Zeit mit ihrer Tochter nach, nachdem diese spurlos verschwunden ist und sich von ihrer Mutter abgewandt hat. In „Madres paralelas“ blickt eine Frau mit der Neuordnung des Familienbildes in die Zukunft, während der Rückblick auf die Traumata des Franquismus weist. Noch nie hat Pedro Almodóvar zuvor die Diktatur Spaniens explizit adressiert. Das Schicksal dieser Protagonistinnen ist verwoben in Missverständnissen; Schicksalsschläge treffen die Heldinnen stärker, als das gemeinhin im Melodram üblich ist.
Warum aber fühlt sich Almodóvars Kino dann nicht an wie ein klassisches Melodram? Almodóvars Figuren sind unserer Erlebniswelt angepasst und bilden Projektionsflächen, die unseren Lebensverhältnissen analog sind. Und doch sind sie Teil eines ästhetischen Programms, einer poetischen Anordnung, die die Kunst hervorbringt und für diese konstitutiv ist. Demnach bewegen sie sich zugleich in einem Rahmen, von dem wir ganzheitlich ausgeschlossen sein müssen. Sensibel, ja gefühlsbetont, ohne je sentimental zu werden – das ist die virtuose Gratwanderung, die auch diesen jüngsten Film, „The Room Next Door“, von Pedro Almodóvar ausmacht und ihn zu einem so einzigartigen Filmkünstler der Gegenwart macht.
De Maart
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