Donnerstag6. November 2025

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EditorialDer Kampf ist fast verloren: Die Sylter Rich Kids und der Siegeszug rechter Kultur

Editorial / Der Kampf ist fast verloren: Die Sylter Rich Kids und der Siegeszug rechter Kultur
Keine Nazis, aber Grenzüberschreiter: die Rich Kids von Sylt Foto: Screenshot

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Zu Beginn eine These in den Raum gestellt: Die Sylter Rich Kids, die am Pfingstwochenende zu Gigi D’Agostinos 25 Jahre altem Eurodance-Hit „L’amour toujours“ ausländerfeindliche Parolen grölten und deren Video sich in der vergangenen Woche viral verbreitete, sind keine Nazis. Sie sind auch keine Rechtsextremen. Vielleicht nicht einmal AfD-Sympathisanten. An den Sylter Rich Kids zeigt sich nicht, wie tief Rechtsextremismus in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft verankert ist. An ihnen ein Exempel statuieren zu wollen und den strafrechtlichen Gesetzesrahmen hier „vielleicht auch mit einer Höchststrafe“ (sprich: fünf Jahre Haft für Volksverhetzung) auszureizen, ist nicht die beste Idee, die Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages, bislang öffentlich geäußert hat. 

Also zusammengefasst: Vielleicht weniger ein Haufen überzeugter Faschos, vielleicht mehr ein Haufen besoffener Schnösel. Allein, das ist ganz und gar kein Grund zur Entwarnung. Denn bei der Sylter Knotenpullover- und Perlohrring-Fraktion zeigt sich etwas nicht minder Bedrohliches: der Siegeszug rechter Ideen, Symbole und anderer kultureller Artefakte. Vor knapp einem Jahrhundert entwickelte der marxistische Denker Antonio Gramsci das Konzept der kulturellen Hegemonie. Die Macht einer politischen Gruppe in der Gesellschaft, so Gramsci, festige sich nicht in erster Linie durch Gewalt, sondern durch die Produktion von zustimmungsfähigen Ideen. Soft Power statt Hard Power. Diese kulturelle Hegemonie versucht die Neue Rechte in Europa und in den USA seit vielen Jahren zu erringen. Das Sylt-Video zeigt nun, wie weit die Vorherrschaft rechter Kultur vorangeschritten ist.

Die Zeiten haben sich geändert: Die Neue Rechte ist international vernetzt, sie propagiert nicht länger den plumpen völkischen Nationalismus von früher. Stattdessen reden Sellner und Co. vom sogenannten „Ethnopluralismus“, was am Ende trotz neuem Etikett nichts weiter als ein auf Identitäten basierender ausgrenzender Nationalismus ist, ein Rassismus ohne Rassebegriff. „Deutschland den Deutschen“. Aber auch: „Luxemburg den Luxemburgern“. Und „Frankreich den Franzosen“. Womit wir wieder beim Video aus Sylt wären. Die Parole ist also eindeutig. Einerseits. Aber im Kontext des Liedes wird sie zum Teil eines Memes, zu einer Performance der Grenzüberschreitung. Und die hat System. Denn mit dem Maße, wie emanzipatorische Errungenschaften das Leben vieler Menschen verbessert haben, ist die subkulturelle Pose des Rebellen immer weiter nach rechts gerückt. Im Jahr 2024 „Ausländer raus“ zu Gigi D’Agostino zu grölen, ist zwar nicht dasselbe wie 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Ein Problem ist es trotzdem.

Schon jetzt gibt es Nachahmer der Sylter. Mindestens bei zwei Schützenfesten in Niedersachsen und bei einer Veranstaltung in Mecklenburg-Vorpommern. Dieser kulturelle Vormarsch wird sich nicht mit Verboten stoppen lassen (wie jetzt schon für das kommende Oktoberfest beschlossen). Wenn die Geschichte eines gezeigt hat: Die Produktion von Ideen und Kultur lässt sich nicht von Verboten aufhalten. Im Gegenteil: Sie steigern den Reiz des Verbotenen und bestätigen den vermeintlichen Rebellen in seiner Anti-Establishment-Haltung. Was es braucht, sind Gegenideen, Gegenerzählungen. Dringend. Sonst droht der Kampf um kulturelle Hegemonie verloren zu gehen.

CESHA
30. Mai 2024 - 15.54

Deutsche Rechtsanwälte haben klargestellt, dass weder die Forderung "Deutschland den Deutschen" noch "Ausländer raus" strafbar sind. Und die Forderung mancher Politiker, selbst Aussagen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu verfolgen, seien sehr bedenklich für ein Land, das sich als Demokratie bezeichnet.

JJ
30. Mai 2024 - 15.01

@Grober,
richtig. Diese "rich kids" brauchen eine Idee um ihre Langeweile zu überbrücken.Denn: wenn der Wunsch erfüllt ist,das Ziel erreicht,kommt der Frust und die Langeweile. Wehe dem der sich nichts mehr wünschen kann. Vernetzung ist gefährlich wenn nur Mist kursiert.

Hottua Robert
30. Mai 2024 - 13.11

Die wirkmächtigste Gegenidee gegen menschenverachtende und menschenvernichtende Konzepte ist meiner Meinung nach die ungeschminkte historische Wahrheit und darauf aufbauend tabulose Fragen zur Wirkmacht einer ungebrochenen Kontinuität. MfG, Robert Hottua

Grober J-P.
30. Mai 2024 - 9.58

"basierender ausgrenzender Nationalismus." Die sind untereinander vernetzt? Man kann sich vorstellen, wenn die mal das Sagen bekämen, was dann passiert. Dann ist es vorbei mit der "Vernetzung". Ach ja, Adolf und Benito waren ja auch vernetzt. Armes Europa.
Wie wäre es mit, den Minett den Minettsdäpp, d'Eislék den Eisléker, oder noch besser, d'Fiels den Portugiesen? Versteh das alles nicht mehr.