Dienstag11. November 2025

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Alain spannt den BogenMusikkultur heute und gestern: „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ und „Maria Callas – Kunst und Mythos“

Alain spannt den Bogen / Musikkultur heute und gestern: „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ und „Maria Callas – Kunst und Mythos“

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Heute stellen wir zwei Musikbücher vor, nämlich Axel Brüggemanns hochaktuelles, scharfsinnig geschriebenes und investigatives Buch „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ und Arnold Jacobshagens „Maria Callas – Kunst und Mythos“, ebenfalls hervorragend recherchiert und viel mehr als nur eine Biografie. Beide Bücher spannen somit einen Bogen über 75 Jahren Musikgeschichte. Und was die da verändert hat, ist schon gewaltig.

Risse im System

Unsere Musikkultur liegt im Argen. Das meint Musikjournalist, Publizist und Grimme-Preisträger Axel Brüggemann und hat sicher recht damit. In seinem Buch „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ rückt Brüggemann der momentanen Kulturpolitik auf die Pelle, analysiert, warum immer weniger Menschen in die Konzerte gehen und wie weit radikale Wandel in der Gesellschaft diesen Umstand begünstigen. Die Post-Corona-Zeit, die Kriege, die Krisen, dies alles hat einen negativen Einfluss auf die Traditionen des Klassikbetriebs. Und öffnet vielleicht auch neue Türen, ermöglicht möglicherweise neue Perspektiven.

Wie politisch ist Kultur eigentlich? Wie steht es mit den internen Machtverhältnissen? Wie kam es dazu, dass sich die Klassik immer weiter von den Menschen entfernt hat? Brüggemann sieht einen großen Riss in der Publikumskonstellation. Er spricht von einer Last Generation bzw. sterbenden Generation, also von uns Klassikliebhabern, gefangen in einem System, wo die ausführenden Stars oft wichtiger sind als die Musik, die Werke und die Komponisten und wo Klassik noch eine letzte bürgerliche Bastion ist. Und gerade diese bürgerliche Bastion wird von der sogenannten Lost Generation ins Wanken gebracht. Das sind nämlich die Jungen, die mit den altbackenen Strukturen nichts am Hut haben und denen Umwelt und reelle Probleme mehr am und im Herzen liegen als Champagner in der Opernpause.

Brüggemann analysiert in neun Kapiteln Themen wie Musikausbildung, Machtmissbrauch, Klimawandel und Konzerte, Musikförderung oder Musikkritik. Das tut er mit einem profunden Wissen und obwohl ein gewisser realistischer Pessimismus mitschwingt, zeigt Brüggemann in einem Abschlusskapitel Lösungsvorschläge in Form von 45 Denkanstößen auf. Es ist erstaunlich, wie vielen Themen der Autor ohne Romantisierung, Verherrlichung oder Spekulation auf den Grund gehen kann. Ein wesentliches Thema aber vermisse ich, nämlich die Infragestellung der exorbitant hohen Gagen verschiedener Musiker und Musikerinnen und deren Finanzierung. Mutter, Barenboim, früher Levine, das sind ja keine Einzelpersonen mehr, das sind regelrechte Firmen. Und sind wir ehrlich, so wissen wir doch alle, dass es sehr viele junge Nachwuchsmusiker gibt, die ein Mendelssohn-Konzert genauso gut spielen wie eine Anne-Sophie Mutter, und junge Dirigenten, die Beethoven ebenso gut dirigieren wie ein Daniel Barenboim. Und somit stelle ich die Frage: Braucht die nächste Klassik-Publikumsgeneration in Zukunft noch all diese teuren Stars?

Die „Zwei-Klassik-Gesellschaft“ ist ein lesenswertes Buch von einem der investigativsten Musikjournalisten Deutschlands. Vielleicht braucht es gerade solche Leute, um zu helfen, unsere Musikkultur zu retten.

Info

Axel Brüggemann: „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“
Frankfurter-Allgemeine-Buch, 248 S.
ISBN 978-3-96251-159-3


Callas: Mythos und Mensch

Rechtzeitig zum Maria-Callas-Jubiläum – die größte Diva aller Zeiten wäre im Dezember 2023 hundert Jahre alt geworden – erscheint diese lesenswerte Analyse des Phänomens Callas, geschrieben von dem Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen. Der Autor bleibt in der Distanz und schreibt wohltuend kritisch und objektiv, ohne persönlich Position zu beziehen. Indem er Fakten liefert, entgeht er der Gefahr der Trivialisierung oder einer überhöhten Heiligsprechung dieser Ikone der Oper. Eine Ikone war sie, Maria Callas, daran lässt Jacobshagen keinen Zweifel, aber er betrachtet sie kritisch, auch die Entwicklung ihrer Stimme während ihrer Karriere, ihre Pesönlichkeit, ihre Beziehungen. Nichts wird schöngeschrieben oder romantisiert, Jacobshagen bleibt auf dem Boden der Tatsachen.

Interessant ist, dass das 367 Seiten starke Buch „Maria Callas – Kunst und Mythos“ in drei große Kapitel eingeteilt ist. Die ersten 180 Seiten behandeln das Leben der Callas, ihren Karrierebeginn, ihre großen Auftritte, ihre Skandale und Schicksalsschläge, ohne aber je dabei den Menschen Callas zu vernachlässigen. Darauf legt der Autor einen besonderen Wert und erklärt uns die Sängerin quasi im Spiegel der Geschehnisse. Im zweiten Kapitel werden auf rund 60 Seiten Erklärungsversuche ihrer Kunst gegeben. Dabei geht es um ihre Stimme, ihre Kunst der Interpretation, ihre Rollen und Aufnahmen. Jacobshagen blickt aus verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen Callas, welches aber immer auch in Bezug auf ihre Zeit gesehen wird. Callas als Diva, Callas, die Liebende, Callas und die Medien: Das dritte Kapitel belichtet auf 70 Seiten die Operndiva wieder aus anderen Perspektiven und erschließt dem Leser interessante Einblicke in die Biografik und die Wahrnehmung der Sängerin. Und zum Schluss stellt er die Frage: Was wird morgen von der Callas bleiben?

Ein Rollenverzeichnis, eine Auswahldiskografie und eine Zeittafel runden dieses in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche, authentische und enorm spannende Buch ab. Alles ist sehr gut erklärt, sodass auch Nicht-Opernliebhaber Geschichte und Zusammenhänge problemlos nachvollziehen können und einen guten Eindruck davon erhalten, wie Maria Callas war. Oder gewesen sein könnte.

Info

Arnold Jacobshagen: „Maria Callas – Kunst und Mythos“
Reclam, 367 S.
ISBN 978-3-15-011451-3