Dienstag11. November 2025

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Luxemburg-StadtGenee esou si mir! Die place d’Armes, sozialhistorisch betrachtet

Luxemburg-Stadt / Genee esou si mir! Die place d’Armes, sozialhistorisch betrachtet
Die ehemalige „Pharmacie de la Licorne“ stellt eine der schönsten Jugendstilbauten in Luxemburg dar Foto: Robert Philippart

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Die Geschichte der place d’Armes ist weitestgehend bekannt. Hier geht es darum, herauszufinden, weshalb dieser Platz uns so viel bedeutet.

Die ersten Plätze in der Oberstadt entstanden im Mittelalter, der Fischmarkt am Fuße der Sankt-Michael-Kirche, oder der Krautmarkt. Der Paradeplatz wurde erst 1671 angelegt, obwohl es seit dem Brand der Stadt von 1554 Überlegungen dazu gab, einen doppelt so großen Platz anzulegen. Dass er heute nur 84 auf 61 Meter aufweist und nicht, wie original geplant, 170 x 105 Meter, erklärt sich durch den anhaltenden französisch-spanischen Krieg, aber auch dadurch, dass einige Teile des als Platz anzulegenden Areals bereits bebaut waren. Dass dieser bescheidene Platz nicht langfristig den Ansprüchen der Stadt entsprechen konnte, zeigt sich dadurch, dass nach dem Abbruch des Provinzialrates 1769 der heutige Fischmarkt angelegt wurde und dass nach Abbruch der Sankt-Nikolaus-Kirche der untere Teil des Krautmarkts 1774 erweitert und nicht wieder bebaut wurde. Erst 1804 schenkte Napoleon der Stadt Luxemburg den damals noch teilweise mit Klosterbauten bedeckten „Knuedler“. Erst seit der Eröffnung des Rathauses 1837 wird er als Marktplatz in seiner ganzen Fläche genutzt. Märkte fanden damals auch in Straßen und nicht nur auf Plätzen statt.

Vom Paradeplatz zum „salon de la capitale“

Mit der Stadtöffnung 1867 entstehen neue Plätze, der Theater-Platz, der Verfassungsplatz sowie öffentliche Anlagen in den neuen Vierteln. Mit der Stadterweiterung erhält der Paradeplatz eine geografisch zentralere Lage im städtischen Raum. Der Anschluss der westlichen Teile der Oberstadt an den Bahnhof über die neu errichtete Adolphe-Brücke verstärkt seine zentrale Lage zusätzlich.

Die Stadt wächst weiter nach Süden und Westen, den Hochebenen folgend. Die historische Altstadt gerät dabei allmählich in eine periphere Lage. Diese Herausforderung wurde dadurch überwunden, dass sich die Regierung für die Entwicklung des Kirchbergs entschloss und von den Plänen zum Bau eines europäischen Viertels auf Verlorenkost absah. Nunmehr liegt das Zentrum der Altstadt im Herzen ihres geografischen Umfelds. Der neu geschaffene place de Clairefontaine sollte Platz für eine Verbindungsstraße zwischen Eicherberg-Viadukt und Bahnhof schaffen. Zugleich sollte er den Bau einer Zentralverwaltung aufnehmen. 1933 verschwand somit ein damals als unhygienisch angesehenes, wenn auch romantisches und historisches Viertel. Die Lücke im Stadtfeld wurde schließlich als weiterer Parkplatz umgestaltet und erst 1990 zum städtischen Platz.

Die place d’Armes ist ein organischer Ort, verbunden mit mehreren Verkehrsachsen. Theaterplatz, Knuedler, Fischmarkt oder Bäderplatz sowie place Clairefontaine verfügen nicht über diese Anbindungen, welche eine hohe Besucherquote sichern.

Seit 1968 ist der Platz autofrei und seit Sommer 1986 zählt er zur Fußgängerzone der Oberstadt
Seit 1968 ist der Platz autofrei und seit Sommer 1986 zählt er zur Fußgängerzone der Oberstadt Foto: Photothèque de la Ville de Luxembourg

Bei der Stadtöffnung 1867 achteten die städtebaulichen Planungen darauf, dass der Paradeplatz zum „Herzen“ der Stadt wird. Der zentrale Charakter der place d’Armes durfte nicht durch andere Plätze beeinträchtigt werden. Neu geschaffene Plätze wurden demnach als Grünplätze, Vorplätze oder ÖPNV-Umsteigeplätze angelegt.

Der erste Schritt zur Umwandlung des einst militärisch ausgerichteten Paradeplatzes zum „salon de la capitale“ (Batty Weber) erfolgte mit dem Abzug der Garnison 1867 und der Ausarbeitung erster Pläne zur Neugestaltung des Platzes als „Square“. 1870 wurde das alte Brunnenhaus abgerissen. Die Wasserleitung hat inzwischen eine neue Lebensqualität geschaffen. Die unter Ludwig dem XIV. gepflanzten Linden wurden nun durch schattige und blühende Kastanienbäume ersetzt. 1875 erfolgte die Errichtung des Musikkiosks. 1882 wurde die Terrasse der Hauptwache – sie stand dort, wo heute das „Cercle Cité“-Gebäude steht – in ihrer Breite beschnitten, damit zwischen Großstraße und rue Notre-Dame in der rue Chimay keine Verkehrsbeeinträchtigung mehr bestand. 1939 wurden die inzwischen morschen Kastanienbäume durch Platane ersetzt. Dieser Baum ist robust und kann immer wieder beschnitten werden. Er gehört zur „nature domestiquée“ im städtischen Raum. Seit 1968 ist der Platz autofrei und seit Sommer 1986 zählt er zur Fußgängerzone der Oberstadt.

Die Hauptwache, einst Symbol der Festung, musste schließlich 1902 dem Bau des Stadtpalais („Cercle Cité“) weichen. Turm, Balkon, Approach und Bildprogramm des Monumentalgebäudes stellen die Macht der nunmehr freien Stadt dar. Ratskeller, Fest- und Musiksaal sollen die städtische Bevölkerung zusammenbringen. 1903 errichtete der Staat auf seinem Eigentum das Denkmal zu Ehren der Dichter Edmond de la Fontaine und Michel Lentz. Die Luxemburger Sprache gewann damals an Bedeutung als Identitätsmerkmal – auch als Sprache in den Kammersitzungen. Der Platz sollte damit nationalen Charakter erhalten. Damals wurde geplant, das Gebäude des Rechnungshofes abzutragen, um den Paradeplatz zu erweitern und ein würdiges Pendant zum Stadtpalais zu schaffen. Dieser 1906 vom Staatsarchitekten Sosthène Weis vorgelegte Vorschlag wurde jedoch nie umgesetzt.

Musik verortet

Die Bebauung des Platzes zeigt ein sehr uneinheitliches Bild. Welten trennen den Paradeplatz von einer place Stanislas in Nancy oder Grand-Place in Brüssel. Der Autor des Abreißkalenders Batty Weber (1913-1940) bezeichnet den Platz als „trostlos“, den „Kiosk als Symbol der Provinz“ und der „Kleinstadt“. Damit hat er nicht vollkommen unrecht: Die place Stanislas ist eine Darstellung der königlichen Macht, der berühmte Brüsseler Platz ein Produkt der städtischen Herrschaft durch die Zünfte. In Luxemburg gab es diese Mächte nicht, seine internationale Rolle war bis zum Zweiten Weltkrieg eher bescheiden. Eine Universität oder Kunstakademie gab es auch nicht.

Und doch verrät der Platz sehr viel über unser eigenes Selbstverständnis. Der Musikkiosk ist nicht so „trostlos“, wie Weber ihn sieht. Er ist Ausdruck der Selbstdarstellung des einfachen Bürgers. Er musiziert in Gruppen im Freien. Die ranghohen Bürger versammelten sich hingegen im Theater oder in vornehmen Gaststätten. Die musikalischen Klänge schaffen eine Ortserfahrung, wie es deren nur wenige gibt. Erklingt eine bekannte Melodie eines Blasorchesters, kommen bei jedem Bürger der Stadt Erinnerungen an den Paradeplatz auf. Ein gelungenes Beispiel von Verortung durch Musik!

Das architektonische Selbstbekenntnis

Die ältesten Häuser des Platzes führen auf das Ende des 17. und das 18. Jahrhundert zurück. Es handelt sich dabei um Wohnhäuser einflussreicher Familien wie de Gerden oder Frank, die unter Maria Theresia verantwortungsvolle öffentliche Ämter bekleideten. Ab der Stadtöffnung verlor der Platz seinen einheitlichen Charakter. 1867 hatte die Regierung das gesamte Festungsareal übernommen und musste die militärischen Anlagen niederreißen. Die nun unbebauten Areale wurden nach strikten Regeln in kürzester Zeit von den Ankäufern der einzelnen Grundstücke bebaut. Am Paradeplatz gab es bereits einen Baubestand, wodurch nur punktuell über Jahrzehnte hindurch und dementsprechend unterschiedlichen Bauordnungen folgend Neubauten Altbauten ersetzen konnten. Diese Entwicklung schuf einen großen Raum zur architektonischen Freiheit. Die ehemalige Einhorn-Apotheke (Ecke Paradeplatz, rue du Curé) stellt eine der schönsten Jugendstilbauten in Luxemburg dar. Das Gebäude des ehemaligen Frisörladens Brouwers, später Pisecky, ist ein delikater modernistischer Bau mit Bandmotif-Fenstern und Travertin-Fassade. Es wurde von Nicolas Schmit-Noesen 1937, welcher auch das Luxemburger Pavillon der Weltausstellung in Paris gezeichnet hatte, gebaut. Daneben hatte Architekt Charles Müllendorf Luxemburgs elegantes, zweistöckiges „Grand Café“ errichtet. Die Fassade aus dem Jahr 1895 war einst mit farbigen Terrakotta-Arabesken bekleidet. Charles Müllendorf zählte zu den bedeutendsten lokalen Architekten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der Erbauer vieler Villen am Boulevard Joseph II wurde zu Lebzeiten mit einer Ausstellung für sein Werk in Straßburg geehrt.

Früher befand sich hier das „Café des Belges – Hôtel Niedner“, später Wimpy und Kofferpaan, danach Chi-Chi’s
Früher befand sich hier das „Café des Belges – Hôtel Niedner“, später Wimpy und Kofferpaan, danach Chi-Chi’s Foto: Robert Philippart

Gleich daneben: das ehemalige „Café du Commerce – Restaurant Majestic“. Der Bau zeigt eine historische Fassade mit neugotischem Ornament. Dabei ist der Bau ein Jahr jünger als das modernistische des Frisörladens nebenan. Weiter in Richtung Boulevard Royal: das ehemalige „Café des Belges – Hôtel Niedner“, später Wimpy und Kofferpaan, danach Chi-Chi’s. Der Architekt des Cercle-Gebäudes Paul Funck hatte es 1906 als „Hotel Niedner“ errichten lassen. Auch hier bleibt die Sprache historistisch. Der südliche Teil der place d’Armes scheut nicht davor, auf dem wichtigsten Platz der Hauptstadt das Luxemburger Verhältnis zum Jugendstil, Historismus und der Moderne offenzulegen.

Der zentrale Neubau auf der nördlichen Seite legt Luxemburg früheres Verständnis des Denkmalschutzes offen. Architekt Paul Retter hatte gleich mehrere Gebäude, welche zum Teil aus dem 17. Jahrhundert stammten, aufgekauft, um sie durch einen Neubau zu ersetzen. Bei der Anfrage zur Baugenehmigung 1974 brach im Gemeinderat eine hitzige Debatte über Denkmalschutz aus. Dabei schälte sich folgende Haltung heraus: Auch wenn das damalige Denkmalschutzgesetz von 1927 viel weiter ging, sollte Denkmalschutz, dem damaligen Gemeinderat zufolge, nur für öffentliche Bautenm gelten, welche vor der Französischen Revolution oder der industriellen Revolution errichtet wurden und die Weltordnung des „Ancien Regime“ widerspiegelten. Folglich konnten die Häuser am Paradeplatz abgerissen werden. Dennoch erteilte die Stadt Luxemburg die Auflage, sich mit der Urbanismusdienststelle zu koordinieren, und verlangte eine Seitenfassade. In den folgenden Jahren wandelte sich das Verhältnis zum historischen Bauerbe sehr stark.

Betrachtet man den Paradeplatz aus diesem architektonisch-historischen Blickpunkt, stellt er sich dann nicht als das Spiegelbild der Luxemburger Gesellschaft heraus?