Donnerstag13. November 2025

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SerbienOpposition will sich mit der verfälschten Belgrader Stadtratswahl nicht abfinden

Serbien / Opposition will sich mit der verfälschten Belgrader Stadtratswahl nicht abfinden
Bis zu den orthodoxen Feiertagen hielt die Opposition – wie hier Ende Dezember – Protestmärsche gegen die manipulierten Wahlen am 17. Dezember ab Foto: Andrej Isakovic/AFP

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Auch die Furcht, dass künftig alle Urnengänge durch Importwähler mit fiktiven Adressen entschieden werden, lässt Serbiens Opposition auf der Annullierung der manipulierten Stadtratswahl in Belgrad beharren. Präsident Vucic negiert den Wahlbetrug – und lehnt eine internationale Untersuchung resolut ab.

Die orthodoxe Feiertagssaison ist in Serbien vorbei. Doch der Nachwahlkater nach den manipulierten Kommunal- und Parlamentswahlen im Dezember macht Machthabern und Oppositionellen bei dem angeschlagenen EU-Anwärter gleichermaßen zu schaffen – allerdings aus völlig unterschiedlichen Gründen.

Das proeuropäische Oppositionsbündnis „Serbien gegen die Gewalt“ sieht sich nach der vor den Feiertagen eingeläuteten Protestpause mit einem lästigen Dilemma konfrontiert: Soll sie die ihr zufallenden Mandate bei den von ihr als verfälscht kritisierten Parlaments- und Belgrader Stadtratswahlen annehmen – oder nicht? Und wie kann sie den Druck der Öffentlichkeit aufrechterhalten, ohne die begrenzten Protestkräfte ihrer Anhänger zu erschöpfen?

Mehrere Oppositionspolitiker haben sich gegen die Annahme der Belgrader Stadtrats-, aber für die Annahme der Parlamentsmandate ausgesprochen: Im Gegensatz zur Stadtratswahl hätte die regierende SNS die Parlamentswahl auch ohne die Manipulationen gewonnen, so ihre Argumentation. Auch der Opposition ist bewusst, dass ihre Klagen über den Wahlbetrug ohne den Druck der Proteste international bald folgenlos verhallen dürften: Gezielt und regelmäßig, aber nicht mehr täglich wollen die Regierungsgegner daher im neuen Jahr gegen den beklagten Stimmenklau demonstrieren.

Serbiens allgewaltigen Präsidenten Aleksandar Vucic geht wiederum die Kritik der internationalen Wahlbeobachter aus dem Europaparlament auf die Nerven. Er schere sich nicht darum, was ausländische Medien und Regierungen zu sagen hätten, poltert der angefressene Landesvater: „Sie sollten sich besser um ihre eigenen Probleme kümmern.“

Von einer „massenhaft organisierten Migration“ von aus dem In- und Ausland angekarrten Wählern spricht in ihrer Nachwahlanalyse jedoch auch Serbiens unabhängige Wahlbeobachtermission CRTA, die von „Manipulationen mit den Wahlregistern in großem Ausmaß“ spricht, die „unmöglich zu verbergen“ seien: Organisierte Wählerwanderungen „gefährden die Demokratie und die Integrität des Wahlprozesses: Sie sind weder legal noch legitim“.

Vucic lehnt eine Wahlüberprüfung ab

Vucic spricht zwar weiter von den „saubersten und anständigsten“ Wahlen aller Zeiten. Doch vor allem die durch importierte Phantomwähler mit fiktiven Meldeadressen verfälschte Stadtratswahl in Belgrad lässt zumindest die Regierungspolitiker des wichtigsten EU-Partners nicht ruhen.

Die USA und EU machten sich „komplett unglaubwürdig“, wenn sie „die Entwicklungen in Serbien weiter verharmlosen“, warnt Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag: „Die Wahlen müssen überprüft und wiederholt werden.“

Tatsächlich ist es vor allem die Furcht, dass künftig jeder umkämpfte Urnengang von den Machthabern nach Belieben mit Autobussen und durch angekarrte Phantomwähler zum eigenen Vorteil entschieden werden kann, die die Opposition zumindest auf der Annullierung der Belgrader Stadtratswahl beharren lässt. Ihr Vertrauen in die eigentlich zuständigen, aber von der Regierung weitgehend gleichgeschalteten Institutionen ist jedoch gering: Sie fordern die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission – unter Federführung der EU.

Wohlweislich lehnt Vucic eine internationale Wahlüberprüfung jedoch ab – und kann dabei in Washington und Brüssel mit stillschweigender Zustimmung rechnen. Zwar sind die Berichte der internationalen Wahlbeobachtermissionen dieses Mal ungewohnt klar und kritisch abgefasst. Dennoch scheint es fraglich, ob die scheidende EU-Kommission wegen der manipulierten Stadtratswahl gegenüber Belgrad endlich deutlichere Töne anschlagen wird.

Genauso wie die USA hält auch die EU-Bürokratie bisher an Vucic auch wegen des von ihm erhofften Ausgleichs mit Kosovo fest. Die jüngsten Belgrader Zugeständnisse im nun beigelegten Autoschilderstreit mit Kosovo sind auch mit der Welle der Kritik an Serbiens manipulierten Wahlen zu erklären.

Kein Interesse an russophilem Beitrittskandidaten

Bisher übten sich die EU und ihr Problemanwärter Serbien bei dessen von beiden Seiten gefeierter EU-Scheinannäherung in einer harmonischen Symbiose. Zwar ist der autoritär gestrickte Vucic an rechtsstaatlichen Verhältnissen genauso wenig interessiert wie an den EU-Werten. Doch die Vorbeitrittsmittel kommen dem eigentlich EU-skeptischen Populisten genauso gelegen wie die Brüsseler Lobesfloskeln für nur auf dem Papier erzielte „Reformen“.

Umgekehrt schien der weitgehende Stillstand in Serbiens Beitrittsmarathon auch die meisten EU-Partner bisher kaum zu stören: An dem Beitritt eines zweiten russophilen „Orbanistan“, das ähnlich wie Ungarn mit den Nachbarn oft im Clinch liegt, hat die EU ohnehin kaum ein Interesse.

Nicht nur die ungewohnt offenen Wahlverstöße, sondern auch die dreisten Attacken des EU-Anwärters gegen internationale Wahlbeobachter und Europaparlamentarier werden es Brüssel jedoch erschweren, weiter wegzuschauen. Er fürchte, dass sich das Tor zur Erweiterung der EU „für Serbien schnell schließen wird“, so Klemen Groselj, der slowenische Chef der Wahlbeobachtermission des Europaparlaments. Zwar überwiege in der EU eine „opportunistische Politik“, die das Geschehen in Serbien „toleriere“: „Doch wenn sich die Prozesse der EU-Erweiterung beschleunigen, wird Serbien kein Teil davon sein.“