Donnerstag13. November 2025

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LyrikDem Wallen des Bluts folgen: „Wirres Haar“ von Yosano Akiko

Lyrik / Dem Wallen des Bluts folgen: „Wirres Haar“ von Yosano Akiko
Neben ihrer Lyrik ist Yosano Akiko auch für ihre politischen Essays bekannt Foto: unbekannter Fotograf, Public domain, via Wikimedia Commons

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Die beim Manesse-Verlag erschienene Tanka-Sammlung „Wirres Haar“ beinhaltet 399 Texte der berühmten japanischen Dichterin Yosano Akiko.

Yosano Akiko (1878-1942) hat mit ihrer Dichtung die literarische Moderne Japans begründet. Ihren ersten Lyrikband veröffentlichte die damals 22-Jährige 1901 unter dem Titel „Wirres Haar“. Mit dem gleichnamigen Band, der beim Manesse-Verlag erschienen ist, liegen nun insgesamt 399 ihrer Gedichte in deutscher Übersetzung vor. Die Entdeckungen, die darin zu finden sind, lassen einen manchmal stocken und man fragt sich: Wie lässt sich die Poesie auf den Seiten, die aufgeschlagen vor einem liegen, am besten beschreiben? Sicherlich sind viele ihrer Verse durchweicht von der Sehnsucht einer verzweifelt Verliebten, einer imaginierten und einer realen – immerhin nähte die Dichterin wirkliche Erlebnisse mit beeindruckender Fingerfertigkeit in ihre Lyrik ein, ohne ihnen in ihrem Schreiben jedoch blind nachzujagen. So bespricht sie in ihrer Dichtung auch – aber nicht nur – ihre anfangs von Zweifeln und Verlustangst bestimmte Liebe zum ebenfalls bekannten Dichter Yosano Tekkan, der nicht nur ihr Vorbild, sondern auch ihr Geliebter und späterer Ehemann war.

Über diese biografischen Aspekte hinaus befasst sich Yosano Akiko aber auch allgemein mit der manchmal erfüllten, manchmal schmerzlich unzureichenden romantischen Liebe: „Einen leeren Fächer / schickte ich dir mit der Bitte / Schreib ein Gedicht drauf – / Doch er kommt nicht zurück / Der Wind – der Herbstwind bläst …“ Die Miniaturen, in die für das Tanka übliche fünfzeilige Form eingefasst, deuten oft mehr an, als sie explizit zeigen – dennoch ist Yosanos Sprache eine oft eine schwärmerisch-leidenschaftliche, die, wenn sie auch einem Feuer gleich um sich greift und in dem Schlussvers wild auflodert, nie die Grenze zum Rührseligen überschreitet: „Dieser Pfeiler an den sich / die Freundin lehnte im Herbst ist schuld / dass er an sie denkt … / Seine Pflaumenblütenverse / nach der Liebesnacht – ach nur ein Vorwand!“ Mithilfe ihrer Poesie, mit der sie ihre eigene Empfindsamkeit unter Beweis stellt, erzählt Yosano Geschichten – ein ums andere Mal mit sinnlich-frivolen Einsprengseln, die, was man dem Anhang des Buchs entnehmen kann, bei ihren Zeitgenossen zuweilen Anstoß erregten.

Von Farben durchdrungene Gedichte

Die evokative Kraft der Gedichte wird dadurch genährt, dass Yosano Akiko immer und immer wieder in den Dialog tritt mit den Dingen und Figuren, die ihre Fantasie bevölkern. So spricht sie zur Natur – zum Beispiel stellvertretend verkörpert durch Lotusblüten – zu ihrer Koto (einem traditionellen Zupfinstrument), zu Wanderern, Göttern und Freunden, ja, zu dem Himmel selbst, den sie, von innigem Verlangen geschüttelt, anruft, weil sie gerne von einer Wolke in eine andere Stadt getragen werden würde. In ihren Versen lässt sie zudem Mönche, Maler, Lehrer und Tänzerinnen auferstehen, die, da sie oft als Projektionsflächen ihrer eigenen Gefühle dienen, symbolhafte Gesten ausführen: „Sie hebt die Hand / als wollte sie ihn schlagen / Doch wie könnte sie?! / Der Flug des Ärmels wird zum Tanz / – als Übung für den Abend …“

Als ob sie selbst eine Malerin wäre, bedient sich Yosano einer prächtigen Farbpalette, mittels der sie ihre Gedichte einfärbt und so an eine spezifische emotionale Grundierung angleicht: Hellgelb, Dunkelgrau, Wasserblau, dazu noch ein von leichtesten Nuancen gekennzeichnetes Farbsegment zwischen Rot und Blau – Purpur, Violett, Rosarot. All diese Farbtöne, die eine symbolische Dimension besitzen, nutzt Yosano, um leuchtende Sprachgemälde zu schaffen. Sie unterstreichen nicht zuletzt, dass die Dichterin in ihrem Schaffen einer bestimmten Devise folgte: „Gänzlich unbekümmert / um jegliches Karma / folge dem Wallen des Bluts!“

 Foto: Manesse

Der Gedichtband

Yosano Akiko: „Wirres Haar“
Von Eduard Klopfenstein übersetzt
Manesse-Verlag
192 S., 26,25 Euro
ISBN 978-3-7175-2540-0