Immerhin eines steht den Demoskopen zufolge schon fest, nämlich der Wahlausgang: Seit rund zwei Jahren sehen alle Umfragen die Labour-Party unter Keir Starmer um bis zu 20 Prozent vor Sunaks Konservativen, die das Land seit 2010 regieren. Im britischen Mehrheitswahlrecht käme dieser Abstand einem Erdrutschsieg für die Opposition gleich. Doch weist Starmers Umfeld stets darauf hin, die Sache könne allemal noch schiefgehen. Wirklich?
Mehr als 30 Jahre ist es her, dass sich mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten an die Urnen bemühten. Jener Wahltag im April 1992 stellt gleichzeitig einen der Labour-Alpträume dar: Damals gelang dem als Underdog gehandelten konservativen Premier, John Major, am Ende doch noch der vierte Sieg für die Torys.
Seither lag die Beteiligung oft nur um die 60 Prozent, und zwar besonders dann, wenn die Umfragen wie derzeit einen eindeutigen Ausgang vorhersagten. Labours Hoffnung muss sein, dass frustrierte Tory-Wähler zu Hause bleiben. Die Befürchtung aber besteht darin, dass sich die auch auf der Insel verbreitete Politikverdrossenheit quer durch alle Lager zieht. Aus den Fokusgruppen der Meinungsforscher dringen zudem unwillkommene Neuigkeiten: Demnach gilt Labour-Chef Starmer zwar als einigermaßen präsentabel, erzeugt aber keine Begeisterung.
Zieht die Parteibasis mit?
Mag die zentral geführte Offensive auf den unsozialen Medien noch so ausgeklügelt sein, mag Starmer selbst sich als brillanter TV-Debattenredner entpuppen – am Ende zählt auf der Insel das Schuhleder. Traditionell erwarten die Briten im Wahlkampf den Besuch ihrer lokalen Parteiaktivisten, oft mit den jeweiligen Kandidaten im Schlepptau. Der persönliche Kontakt zählt.
Sollte sich eine größere Anzahl der aktiven Mitglieder dem Wahlkampf für Starmer verweigern, sähe es also schlecht aus für den Anwärter auf die Downing Street. Wie in vielen anderen sozialdemokratischen Parteien Europas steht auch bei Labour die Basis weiter links als die Parteiführung. Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn hatte die Aktivisten begeistert, auch Starmer selbst sicherte sich den parteiinternen Sieg mit linken Sprüchen. Seither richtet er seinen Blick eher auf die Wechselwähler der Mitte, redet fiskalischer Disziplin, dem Schulterschluss mit Joe Bidens US-Regierung und Begrenzung der Einwanderung das Wort – alles Themen, bei denen das Parteivolk lange Gesichter macht.
Zuletzt empörte der 61-Jährige die Parteilinke mit einem Lob für die eiserne Tory-Lady Margaret Thatcher. Wie die frühere Premierministerin (1979-90) verfolge er „eine Mission für die Veränderung des Landes“. Mag ja sein, maulen auch Parteirechte, aber worin bestehe denn die Mission? „Starmer muss Veränderung anbieten, ohne Wenn und Aber“, glaubt John McTernan, der früher den Ex-Premier Tony Blair beriet.
Wie verhalten sich die Muslime?
In rund drei Dutzend innerstädtischen Wahlkreisen beruht die Labour-Mehrheit auf den Stimmen der wachsenden Minderheit der Muslime, die mittlerweile rund vier Millionen Menschen ausmacht. Unter ihnen sind viele von Starmers staatstragender Rhetorik im Gaza-Krieg abgestoßen. Statt Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ und „humanitäre Pausen“ im Dauerbombardement des dicht besiedelten Landstrichs plädieren sie für den sofortigen Waffenstillstand.
Kommt es deshalb zu einer dauerhaften Entfremdung von der Partei, auf die bisher eine deutliche Mehrheit der Muslime setzte? Die Kommunalwahlen im Mai werden eine erste Antwort geben. So muss der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan um seinen Posten bangen, wenn ihm die Glaubensgeschwister die Unterstützung entziehen.
Vom Wahlverhalten im Norden und Westen der Insel hängt ebenfalls vieles ab. Nach sechzehn Jahren an der Macht und dem Wechsel von der Skandal-gebeutelten Nicola Sturgeon zum blassen Humza Yousaf steckt die schottische Nationalpartei SNP weiter in der Krise. Statt des einen einzigen Unterhaus-Mandats, das Labour 2019 gewinnen konnte, dürfte die Arbeiterpartei unter Regionalchef Anas Sarwar in diesem Jahr ein oder zwei Dutzend Mandate einheimsen, was Starmers Aufgabe in England sehr erleichtern würde.
Eine Renaissance der Konservativen?
In Wales verfügt Labour seit Jahrzehnten über solide Mehrheiten, muss aber in den kommenden Wochen mit der Nachfolgediskussion für den noch amtierenden Ministerpräsidenten Mark Drakeford fertig werden. Dessen Regionalregierung hat in der Gesundheits- und Verkehrspolitik eine höchstens gemischte Bilanz vorzuweisen, was den Enthusiasmus für die Gesamtpartei nicht gerade erhöhen dürfte.
Dass es bis zu den Wahlen doch noch zu einer Renaissance der Konservativen kommen wird, ist eher unwahrscheinlich. Das Ansehen der Regierungspartei hat durch das langjährige Brexit-Chaos unter Theresa May, die Lockdown-Partys unter Premier Boris Johnson und den nur knapp verhinderten Finanzcrash unter Kurzzeit-Regierungschefin Liz Truss schwersten Schaden genommen. „Den Torys hören die Wähler kaum noch zu“, konstatiert Politikprofessor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität. Der konservative Schatzkanzler scheint das ähnlich zu sehen. In seiner Neujahrsbotschaft ans Parteivolk räumte Alan Mabbutt ein: „Der Weg zum Sieg ist steil und schmal.“
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können