Von Herbert Kickl ist derzeit nicht viel zu hören. Das liegt nicht nur an den Feiertagen. Der FPÖ-Chef braucht nicht viel zu tun. Seine Arbeit erledigen andere. ÖVP und Grüne etwa lassen in Interviews oder Presseaussendungen keinen Zweifel daran, dass sie miteinander eigentlich nicht mehr können und wollen.
Zuletzt sorgte der Fall der inhaftierten Klimaschützerin Anja Windl für Zoff: Die deutsche Aktivistin war vor Weihnachten bei einer Protestaktion festgenommen, inhaftiert, kurz darauf wieder freigelassen worden. Auf Weisung des Justizministeriums legte die Staatsanwaltschaft gegen den entsprechenden Richterbeschluss keine Beschwerde ein, woraufhin ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker der grünen Ressortchefin Alma Zadic einen „Angriff auf die Justiz“ vorwarf. Diese revanchierte sich mit einer Rücktrittsaufforderung an den ins Visier der Korruptionsstaatsanwaltschaft geratenen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP).
Davor schon hatte ein türkis-grünes Scharmützel für einen Eklat auf europäischer Bühne gesorgt: Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler hatte einen Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) an die EU-Kommission geschickt, ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler zog den Fahrplan zur Einhaltung der gesteckten Klimaziele wieder zurück, womit sie Österreich wegen Fristversäumnis ein Vertragsverletzungsverfahren einbrockte.
Triste Bilanz
Wäre der Umfragetrend nicht für beide Parteien so grottenschlecht, wäre diese Koalition wohl schon Geschichte. Vor einem Jahr kittete noch die Hoffnung auf bessere Zeiten zusammen: Nach Corona und Ukraine-Krieg könnten die Umfragewerte der Regierungsparteien in einem Umfeld wirtschaftlicher Erholung steigen, hofften sowohl Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) als auch sein grüner Vize Werner Kogler darauf, als Krisenmanager punkten zu können. Mittlerweile ist klar: Ein Ende des russischen Angriffskrieges und damit der für die Wirtschaft dringend nötige Optimismusschub ist nicht absehbar. Zudem hat Österreich die Teuerungskrise schlechter gemeistert als der Rest Europas: Die Inflation ist mit 5,3 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der Eurozone.
Dabei hat Österreich mehr als andere Länder in die Inflationsbekämpfung investiert: Neben zahlreichen, oft nach dem Gießkannenprinzip verteilten Ausgleichszahlungen hat die Koalition die von früheren Regierungen nur versprochene Abschaffung der kalten Progression tatsächlich realisiert und auch die automatische Valorisierung aller Sozialleistungen im Ausmaß der Inflation beschlossen. Das seit der Pandemie geltende Prinzip „Koste es, was es wolle“ ist jedoch ein Teil des Problems: Es wirkt inflationstreibend. Schlecht für die Regierenden: Die Teuerung ist für die Österreicher ein zentrales und daher wahlentscheidendes Thema.
Simple FPÖ-Botschaft
Die ersten Ohrfeigen werden sich ÖVP und Grüne bei den Gemeindewahlen in den Landeshauptstädten Salzburg und Innsbruck im März bzw. April abholen. In der Mozartstadt könnte sogar ein Kommunist den Bürgermeistersessel erobern. Der große Trend aber geht in Richtung FPÖ, deren einfache Erzählung im Jahresverlauf immer mehr verfangen könnte: Da es dem Westen offenbar nicht gelungen ist, Wladimir Putin in die Schranken zu weisen, wird Herbert Kickl seine Kritik an der westlichen Sanktionspolitik für bestätigt erklären und die neutrale Illusion pflegen. Machte Österreich bei den Sanktionen nicht mit und hielte sich völlig aus dem Konflikt heraus, hätte die „Insel der Seligen“ unter einem „Volkskanzler“ Kickl keine Probleme mehr.
Bei den Europawahlen am 9. Juni werden die Rechtspopulisten damit einen ersten Triumph einfahren. Derzeitigen Umfragen zufolge kann die FPÖ mit etwa 30 Prozent der Stimmen rechnen. Weit dahinter matcht sich die einstige Europapartei ÖVP bei etwa 24 Prozent mit der SPÖ um Platz zwei. 2019 hatte die ÖVP mit ihrem inzwischen verglühten Stern Sebastian Kurz noch 34,5 Prozent geholt.
Nehammer in Not
Ähnlich trist sind die Aussichten für die spätestens Ende September anstehende Nationalratswahl. Auch dafür wird ein FPÖ-Kantersieg prognostiziert. Die Kickl-Partei hält sich seit Monaten stabil bei der 30-Prozent-Marke, während den Regierungsparteien starke Einbußen blühen. In ÖVP-Kreisen wird schon über eine Zusammenlegung der Parlamentswahl mit der Europawahl gemunkelt, um den Schaden zu begrenzen. Auch über einen neuen Spitzenkandidaten wird spekuliert. Der als Ersatz gehandelte Finanzminister Magnus Brunner beteuerte zum Jahresbeginn allerdings, treu zum glücklosen Kanzler Nehammer zu stehen. Das muss allerdings nichts heißen.
Die SPÖ hat den Wechsel an der Spitze schon vollzogen, kommt mit ihrem neuen Vorsitzenden Andreas Babler aber nicht vom Fleck. Unter seiner Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner hatten die Genossen vor einem Jahr in den Umfragen noch auf Platz eins gelegen. Der bekennende Linke Babler brachte die SPÖ bisher nur wenig über das am Höhepunkt des roten Machtkampfes markierte Tief. Sein Problem: Der klassenkämpferischen Attitüde mangelt es an Glaubwürdigkeit, wenn der Parteichef offenbar machtlos ist gegen Genossen, die den Hals nicht voll kriegen. Nicht einmal der Einsturz des Immobilien-Kartenhauses von Kurz-Freund René Benko lässt sich im sozialdemokratischen Sinn ausschlachten, seit rausgekommen ist, dass der Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer als Aufsichtsratschef in zentralen Firmen von Benkos Signa-Holding Millionen an Berater-Honoraren kassierte und im Insolvenzverfahren weitere Millionenforderungen wegen ausstehender Gagen eingebracht hat.
Keiner mit Kickl?
Es läuft also ohne großes eigenes Zutun prächtig für die FPÖ. Noch nie war sie so nah am Kanzleramt. Und doch soll es Kickl verwehrt bleiben, wenn es nach den anderen Parteien und Bundespräsident Alexander van der Bellen geht. Der will nämlich dem Rechtspopulisten einen Regierungsbildungsauftrag verweigern, was aber nur realistisch ist, solange Kickl keine Mehrheit im Parlament zustande bringt. Auch die ÖVP schwört, mit Kickl keine Koalition zu wollen. Grünen-Chef Kogler wirbt schon für eine Anti-Kickl-Front aller „konstruktiven Kräfte“. Da sich seine Traum-Konstellation mit SPÖ und liberaler Neos-Partei kaum ausgehen wird, könnte auch die ÖVP im Spiel bleiben. Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) – ein eingefleischter FPÖ-Gegner – liebäugelt schon mit Babler.
Was auch immer sich zur Verhinderung eines Kanzler Kickls zusammenfinden sollte – es wird eine Koalition der Verlierer sein. Damit wäre den Rechtspopulisten dann auch ein triumphaler Jahresabschluss bei den Landtagswahlen in der Steiermark und in Vorarlberg im Spätherbst sicher.
De Maart
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