„Ein Rückzug ist keine Schande“, kommentierte Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj die Lage vor Ort. „So ist der Krieg eben, und die Tatsache, dass wir uns in die Vorstädte zurückgezogen haben, ist kein Aufschrei wert“, kommentierte Saluschnyj, dessen Front-Analysen in den letzten Wochen immer weit realistischer und deswegen weniger heroisch sind, als jene von Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj. Das Heer halte jeden Zentimeter ukrainischen Bodens, solange es eben ginge, fügte er jedoch an.
In Marjinka, das schon im Sommer 2014 heftig zwischen den pro-russischen Separatisten und Kiew-Treuen umkämpft war und auch nach dem Waffenstillstand vom Februar 2015 oft von den Kämpfern der pro-russischen „Volksrepublik Donezk“ (DNR) beschossen worden war, wurde der Boden für die Ukrainer bereits Anfang Dezember zu heiß, und die Verluste zu groß.
Ein Symbol des Widerstands
Dagegen hilft wenig, dass der Pressesprecher des besagten ukrainischen Frontabschnitts, Oleksandr Schtupun, behauptet, die Russen hätten das Städtchen noch nicht eingenommen, da sich ukrainische Truppen weiterhin im Norden des Stadtbezirks aufhielten. Denn im Norden von Marjinka liegt einzig ein Waldstück, rund ein Kilometer alte Waffenstillstandslinie von 2015, nicht aber die Stadt.
Strategisch wichtig ist weder der nun mit neuen ukrainischen Schützengräben durchzogene Wald noch die nun von russischen Truppen eingenommene, völlig zerstörte und seit anderthalb Jahren entvölkerte Kleinstadt mit ihren ehemals 9.000 Einwohnern. Marjinka war indes ein Symbol für den ukrainischen Widerstand direkt an den Toren von Donezk.
Dass bald ein im Ausland viel bekannteres ukrainisches Symbol fallen könnte, darauf bereitete Suluschnyj am Dienstag seinen Präsidenten und die Öffentlichkeit vor: Marjinkas Schicksal würde wohl in zwei bis drei Monaten auch Awdijiewka ereilen. Die Kokskombinat-Stadt ist neben Kramatorsk die letzte noch von den Ukrainern gehaltene wichtige Industriestadt im Donbass, Wladimir Putins Mindest-Kriegsziel in der Ukraine. Dafür hat der Russe bereits Zehntausende seiner Soldaten verheizt, ein Blutzoll, der immer mehr auch den Ukrainern zu schaffen macht. Denn wenn, wie vom Generalstab in Kiew berichtet, in der Nacht auf Mittwoch angeblich 790 russischen Soldaten „ausgeschaltet“ worden sind, muss davon ausgegangen werden, dass auch die Ukrainer in den letzten 20 Stunden ähnlich hohe Verluste hatte.
Russisches Kriegsschiff versenkt
Bei russischen Angriffen auf den Bahnhof von Cherson und den Hafen von Odessa sind am zweiten Weihnachtsfeiertag mindestens drei Zivilisten getötet und sieben verletzt worden. In Cherson wurde ein Evakuierungszug für Zivilisten vom russisch besetzten Ostufer des Dnipro aus beschossen. In Odessa stürzte eine iranische Shahed-Drohne der russischen Armee auf eine Datschensiedlung am Stadtrand. Der Angriff von weit über einem Dutzend Drohnen galt eigentlich dem Getreideterminal im Hafen. Bei einem Vergeltungsschlag auf den Hafen von Feodosia auf der seit 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim gelang es den Ukrainern, vermutlich gleich zwei Kreuzer massiv zu beschädigen, darunter das 340 Invasionstruppen und 18 Panzern Platz bietende russische Landungsschiff „Nowotscherkask“ mit rund 80 Matrosen. Dabei wurden laut Angaben des russischen Krim-Gouverneurs Sergej Aksjonow ein Matrose getötet und vier verletzt. Kiew spricht dagegen von 19 Verletzten und noch 33 vermissten Matrosen. Letztere könnten mit dem Kriegsschiff ertrunken sein.
De Maart
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