Unten vor dem Plateau des Belgrader Rathauses prügelten Sondereinheiten der Polizei die gegen Wahlmanipulationen protestierenden Demonstranten auseinander. Oben auf dem Balkon des gegenüberliegenden Präsidentenpalastes beobachtete ein hochgewachsener Mann das blutige Treiben.
Ja, er habe die Demonstration „an seinem Arbeitsplatz“ verfolgt und „keinerlei Furcht vor den Gewalttätern“ verspürt, bekannte zu Wochenbeginn stolz Serbiens allgewaltiger Präsident Aleksandar Vucic per Instagram. Drei Stunden lang hätten seine politischen Gegner versucht, den Wahlwillen des Volkes zu „vernichten“: „Aber ich werde Euch nicht erlauben, Serbien zu zerstören.“
Wie schon an den Tagen zuvor waren am Sonntag Tausende in die Belgrader Innenstadt gezogen, um gegen offenkundige Manipulationen der Parlaments- und Stadtratswahlen am 17. Dezember durch angekarrte Importwähler mit fiktiven Adressen zu demonstrieren. Versuche von Oppositionspolitikern, vom Balkon des Rathauses zu der Menge zu sprechen, scheiterten an verriegelten Toren. Vermummte schlugen daraufhin mit Fahnenstangen mehrere Fenster des Rathauses ein – und lösten einen Polizeieinsatz von auffälliger Härte aus.
Dank an Russland
Von „eingeschleusten“ Provokateuren, die bewusst gewalttätige Zwischenfälle auslösen sollten, sprach hernach die Opposition – und warf der Polizei einen „brutalen und völlig unangebrachten“ Gewalteinsatz vor. Sie danke den „russischen Sicherheitsdiensten“, dass sie ihre Informationen über den bevorstehenden „Angriff“ auf das Rathaus „mit uns geteilt haben“, erklärte hingegen Serbiens Regierungschefin Ana Brnabic.
Ihr Schutzherr Vucic traf sich derweil am Morgen nach den Ausschreitungen demonstrativ mit dem russischen Botschafter Aleksandar Botsan-Hartschenko. Wie in der Ukraine wolle der Westen in Serbien eine „Maidan-Revolution“ anzetteln, um Oppositionskräften an die Macht zu verhelfen, so der Botschafter nach dem Treffen. Details könne er zwar nicht preisgeben: Doch Vucic habe „unwiderlegbare Beweise“, dass der Westen hinter den Unruhen stehe.
Die EU müsse „ernsthafter“ auf die Vorgänge in Serbien reagieren, fordert Klemens Groselj, der slowenische Chef der Wahlbeobachtermission des Europaparlaments, nach Serbiens demonstrativen Schulterschluss mit Moskau: „Die EU muss klar seine politischen Beziehungen mit Serbien definieren – auch mit Blick auf die Beitrittsverhandlungen mit der EU.“
Zur Diffamierung der Demonstranten nutzte Belgrad dieselbe Rhetorik und Techniken wie der weißrussische Autokrat Lukaschenko, entrüstet sich Groselj. Zwar haben die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), des Europarats und des Europaparlaments die ungekannt offene Verfälschung des Wählerwillens ebenso hart wie einhellig kritisiert. Doch mit konkreten Schritten und Initiativen warten die sich in die Feiertagspause verabschiedeten EU-Würdenträger bisher nicht auf.
Politisches Kalkül
Hinter der Belgrader Beteuerung der Freundschaftsbande zu Moskau scheint indes weniger der bekundete Dank für die Schlapphutschützenhilfe als politisches Kalkül zu stehen: Mit dem bewährten Rezept der Drohung einer endgültigen Abwendung nach Osten hofft der EU-Anwärter westlichen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen – und den selbst angerichteten Schaden bei der ohnehin ins Stocken geratenen EU-Annäherung zu begrenzen.
Serbien sende dem Westen „das Signal“, dass er die Wahlmanipulationen nicht allzu sehr unter die Lupe nehmen sollte, so der Grazer Politologie-Professor Florian Bieber gegenüber „Voice of America“: „Man sagt dem Westen, wenn Ihr uns nicht mehr unterstützt, haben wir mit Russland einen anderen Partner.“
Blufft Belgrad erneut oder denkt das zwischen Ost und West jonglierende Serbien wirklich an eine Wiederbelebung der einstigen Bösewichtachse mit Moskau? Die angedrohte Wende in Richtung Russland dürfte dem angeschlagenen Balkanstaat zumindest wirtschaftlich schwerfallen. Seit einigen Wochen erinnern von der Belgrader EU-Mission installierte Billboardbotschaften vor dem Parlament und dem Regierungssitz, dass der Wert von Serbiens Außenhandel mit den EU-Partnern den mit Russland um fast das Zehnfache übersteigt.
De Maart
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