Kolonnen von Autobussen und Kleintransportern aus Bosnien und Kosovo, aber auch anderen serbischen Städten waren am Sonntag mit Importwählern mit fiktiven Meldeadressen nach Belgrad gerollt, um die Stadtratswahl zugunsten der regierenden SNS zu entscheiden. Außer Stimmenkauf sowie Attacken gegen Wahlbeobachter registrierte die unabhängige Wahlbeobachter-Organisation CRTA eine „ungeheure Zahl von vorab ausgefüllten Stimmzetteln“. Ihr Fazit: „Die Wahlergebnisse in Belgrad enthalten nicht den Wahlwillen der Bürger.“
Das „Gerede“ von 40.000 in die Stadt gekarrten Phantomwählern sei eine „Lüge“, beteuerte hingegen der autoritär gestrickte Staatschef Aleksandar Vucic zu Wochenbeginn: „Die Wahlen waren anständig. In Serbien regieren Frieden, Ordnung – und die Gesetze.“
Einen anderen Eindruck hatten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die zahllose Unregelmäßigkeiten monierten wie den Missbrauch öffentlicher Ressourcen durch die Regierungspartei, ungleiche Wahlbedingungen, Verstöße gegen das Wahlgeheimnis sowie in Gruppen organisierte Abstimmungen.
Das Recht der Teilnahme an den Parlamentswahlen streitet Serbiens Opposition den im Ausland lebenden Serben mit doppelter Staatsbürgerschaft zwar keineswegs ab. Doch dass oft völlig ortsunkundige Importwähler mit einer ihnen erst kurz zuvor verschafften Meldeadresse die Kommunalwahl in einer Stadt entscheiden, in der sie nicht leben, halten auch unabhängige Analysten für eine illegitime Verfälschung des Wählerwillens.
Verbittert zeigen sich serbische Oppositionspolitiker darüber, dass mit dem bosnischen Sicherheitsminister Nenad Nesic selbst ein ausländischer Würdenträger an den Belgrader Kommunalwahlen teilnahm – und seine gefilmte Stimmabgabe im Nachbarland selbst noch stolz über das soziale Netzwerk X verbreitete. Mit der organisierten Anreise der Wählerhilfstruppen aus Bosnien habe Vucic wieder einmal demonstriert, dass er „der Herr der Serben auf beiden Ufern“ des Grenzflusses der Drina sei, so Aleksandar Trifunovic, der Chefredakteur des bosnischen Webportals buka in Banja Luka.
Hungerstreik angekündigt
Andreas Schieder von der Wahlbeobachtermission des Europaparlaments fordert eine unabhängige Untersuchung der Unregelmäßigkeiten. Schockiert zeigt sich der österreichische Sozialdemokrat vor allem über das Phänomen der Phantomwähler: „Die Serben verdienen Demokratie – und keine Fake-Wahl.“
„Ich will meine Stimme zurück!“, „Gestohlene Wahlen“ oder „Ihr widert mich an!“ lauteten die Aufschriften der selbstgemalten Plakate der Demonstranten, die bis weit nach Mitternacht die Wahlkommission belagerten. Draußen zerschellten die von wütenden Jugendlichen geworfenen Eier an der dunklen Fassade. Drinnen kündigten Marinka Tepic und Miroslav Aleksic, die Spitzenkandidaten des Oppositionsbündnis „Serbien gegen die Gewalt“, einen Hungerstreik bis zur Annullierung der Wahlfarce an. „Dies ist der letzte Moment, dass wir den Wählerwillen in Belgrad erkämpfen“, so Tepic.
Während die Opposition zu neuen Protesten aufruft, schließt selbst der von der Welle der Kritik scheinbar unbeeindruckte Vucic die Ansetzung von Neuwahlen nicht mehr aus. Es sind allerdings weniger die sich mehrenden Zweifel an der Legitimität der manipulierten Wahl als die fehlende Mehrheit im Stadtrat, die den Ränkeschmied an eine Wahlwiederholung denken lässt: Falls die zum Zünglein an der Waage mutierte Liste des russophilen Impfgegners Branimir Nestorovic wie angekündigt im Stadtrat weder die SNS noch die Opposition unterstützen sollte, „wird es zu einer Wiederholung der Wahl kommen“.
De Maart
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