Donnerstag13. November 2025

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GroßbritannienGemischte Gefühle bei den „Herren der Welt: Wie der Finanzplatz London auf das Jahr 2024 blickt 

Großbritannien / Gemischte Gefühle bei den „Herren der Welt: Wie der Finanzplatz London auf das Jahr 2024 blickt 
„Manche Brücken wurden abgebrochen“: die Londoner Skyline im Sonnenuntergang Foto: AFP/Henry Nicholls

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In der City of London war die Stimmung auch schon mal besser. Auch weil die Spitzenmanager angeblich zu wenig verdienen. Trotzdem bereitet sich die Londoner Finanzbranche auf einen Regierungswechsel in Großbritannien vor.

Abwanderungen großer Firmen von der Londoner Börse, anhaltendes Gemaule der Lobbyisten über angeblich mangelhafte Bezahlung von Spitzenmanagern, zäher Fortschritt bei den angekündigten Reformen der konservativen Regierung – die Verantwortlichen in der City of London gehen mit gemischten Gefühlen in die Weihnachtstage. Hingegen scheinen Banker und Vermögensverwalter am wichtigsten internationalen Finanzzentrum der Welt wenig Probleme damit zu haben, dass Großbritannien aller Wahrscheinlichkeit nach im neuen Jahr ein Regierungswechsel bevorsteht.

Weil die konservative Regierung unter Rishi Sunak in den Umfragen beinahe hoffnungslos zurückliegt, umwerben Wirtschaft und Finanzindustrie seit Monaten eifrig die oppositionelle Labour-Party. Seit diesem Monat lassen sich Parteichef Keir Starmer und Schatten-Finanzministerin Rachel Reeves von einer Gruppe hochkarätiger City-Größen beraten. Zu den Teilnehmern zählen Börsenkonzernchef David Schwimmer, Douglas Flint vom Milliarden-schweren Asset Manager Abrdn sowie Shriti Vadera, Aufsichtsratschefin beim Versicherungsgiganten Prudential und einst die rechte Hand des langjährigen Labour-Finanzministers und späteren Premiers Gordon Brown.

Rufschaden reparieren

Im Gegenzug haben die Sozialdemokraten Haushaltsdisziplin und stabile Rahmenbedingungen versprochen. „Ohne Dialog mit der Privatwirtschaft können wir kein Wachstum erzielen“, erläuterte Labours City-Verbindungsfrau Tulip Siddiq der Financial Times.

Einigermaßen sichtbares Wachstum – dieses Ziel hat die vor 14 Monaten ins Amt gekommene Administration des früheren Hedgefonds-Managers Sunak und seines Finanzministers Jeremy Hunt nicht erreicht. Das Duo musste zunächst den massiven Rufschaden reparieren, den Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss mit ihrem schuldenfinanzierten Steuersenkungspaket angerichtet hatte. Hunts rasch eingefädelter Nachtragshaushalt beruhigte die Bond- und Währungsmärkte, die zwischendurch in Frage gestellte Unabhängigkeit der Zentralbank BoE scheint dauerhaft gesichert.

Nur das Wachstum mag sich nicht recht einstellen. Im Oktober ging das Bruttoinlandsprodukt BIP sogar um 0,3 Prozent zurück, fürs gesamte Kalenderjahr ebenso wie für 2024 sagen die Statistiker einen Wert von 0,3 Prozent voraus.

Von Hunts versprochenen Finanzmarkt-Innovationen, zu Ehren der schottischen Hauptstadt und deren starkem Finanzsektor Edinburgh-Reformen genannt, ist einstweilen nur eine vollständig umgesetzt: Wohl aus Furcht vor dem Gemaule der Lobbyisten hat die Regierung die nach dem Finanz-Crash von 2008 eingeführte Deckelung der Boni in der City aufgehoben. Während der Lebensstandard der Briten erneut sank, freuten sich die Chefs der im Börsenindex FTSE 100 geführten Unternehmen über eine Erhöhung ihrer Bezüge um 16 Prozent auf durchschnittlich 4,47 Millionen Euro. Damit nicht genug: Börsenchefin Julia Hoggett möchte britischen Managern das Gehalt weiter erhöhen, schließlich werde anderswo deutlich mehr bezahlt.

Da macht sich die CEO der London Stock Exchange (LSE) die Ängste zunutze, die auf der Brexit-Insel umgehen: vor der Abwanderung von Spitzentalenten, vor dem Verlust von Prestige-trächtigen Unternehmen. Gegen die Hoffnungen der LSE entschied sich beispielsweise der gut 50 Milliarden Euro schwere britische Chip-Designer Arm im September für den Börsengang an der New Yorker Nasdaq. Baumaterial-Gigant CRH verlegte seinen Börsensitz an die NYSE. In den ersten drei Quartalen 2023 brachten nach Angaben des Finanzanalysten Dealogic die gesammelten Kapitalerhöhungen den LSE-kotierten Firmen knapp eine Milliarde Dollar ein, während die Konkurrenz an der NYSE acht, an der Nasdaq sogar mehr als zwölf Milliarden Dollar erzielte.

Schon bezeichnet LSE-Konzernchef David Schwimmer sein Unternehmen ganz bescheiden als „die bei weitem größte Börse Europas“. Steht der Londoner Finanzindustrie womöglich wirklich ein Schrumpfungsprozess bevor? Davon wollen sie beim Verwaltungsbezirk City of London, weltweit als Synonym für den Finanzdistrikt bekannt, nichts wissen. Höchstens will man das Image des historischen Stadtkerns ein wenig bereichern – jedenfalls, wenn es nach dem neuen Lord Mayor Michael Mainelli geht. Schließlich gebe es in der Quadratmeile rund um die Bank of England „genauso viele Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure wie Banker und Versicherungsleute“, betont der 695. Inhaber des ins Mittelalter zurückreichenden, heute vor allem repräsentativen Zwecken dienenden Amtes.

„Hegen keinen Groll“

Seine einjährige Amtszeit will der aus Amerika stammende Ökonom mit irischen und italienischen Wurzeln außerdem für Werbereisen auf den Kontinent nutzen. Seit der Brexit-Entscheidung seien „manche Brücken abgebrochen, ob gewollt oder ungewollt“, glaubt er. „Wir wollen unseren europäischen Geschwistern signalisieren, dass wir offen sind und keinen Groll hegen.“ Wohin die City aber als Erstes schaut, dokumentiert die geplante Eröffnung zweier Dependancen in New York und Washington. Man wolle in den Entscheidungszentren der Weltmacht für das Königreich die Werbetrommel rühren.

Das bleibt angesichts wenig erfreulicher Eckdaten gewiss nötig. Die Inflation fiel im Oktober deutlich auf immer noch vergleichsweise hohe 4,6 Prozent. Die Staatsschuld durchbrach in diesem Kalenderjahr kurzzeitig die Schallmauer von 100 Prozent, lag im Oktober noch bei 97,8 Prozent des BIP und damit auf einem Niveau, das die Insel Anfang der 1960er Jahre zuletzt erlebt hat. Gleichzeitig stieg die Steuerbelastung der Bevölkerung in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Labour tritt also, sollte der Wahlsieg tatsächlich gelingen, ein schweres Erbe an.