Mittwoch31. Dezember 2025

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Kinowoche„Il boemo“ von Petr Vaclav: Das Phantom der tschechischen Oper

Kinowoche / „Il boemo“ von Petr Vaclav: Das Phantom der tschechischen Oper
Die Musik ist fantastisch und der Film gebührt ihr reichlich Platz Foto: Nour Fllms

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Wer ist der titelgebende Böhme im Zentrum dieses Films? Mit dieser Frage, einer Variation auf das Phantom der Oper – lange vor dem Musical von Andrew Lloyd Webber und sogar der literarischen Vorlage von Gaston Leroux –, eröffnet der tschechische Filmemacher Petr Vaclav sein musikalisches Biopic.

Die Hauptfigur des Spielfilms, der Komponist Josef Myslivecek, wird dem Filmpublikum erst mal mit einer Maske vorgestellt. Sein Körper und sein Gesicht von Syphilis zerfressen, versucht er, irgendwie über die Runden zu kommen. Kurz vor seinem Tod erscheint ihm ein letztes Mal eine Opernsängerin vor seinen Augen und gibt eine Arie zum Besten. Eine von ihm geschriebene Arie. „Il boemo“ versucht, hinter diese Maske zu schauen. Denn auch hartgesottenen Klassik-Freunden ist der Komponist Josef Myslivecek nicht unbedingt ein Begriff. Dabei hat der gebürtige Böhme binnen nur 15 Jahren unter anderem rund 25 Opern zu Blatt gebracht und in Italien, seiner Wahlheimat, Erfolge feiern können. Über das Leben von Myslivecek ist heute, fast 250 Jahre nach seinem Tod, nur wenig bekannt. Was den tschechischen Filmemacher Petr Vaclav jedoch nicht davon abhält, einen 140 Minuten langen Film abzuliefern.

Wenn man an tschechische Filmemacher denkt, die sich an die Lebensgeschichten klassischer Musikkomponisten wagten, dann ist der Weg zu Milos Forman und „Amadeus“ sehr kurz. Vieles verbindet die beiden Filme und seine Regisseure. Aber genauso viel trennt die beiden Werke voneinander. Formans Film ist in vielerlei Hinsicht extravagant und überbordend. Trotz des Status, den „Amadeus“ heute hat, werfen ihm Puristen noch immer vor, Forman und Schauspieler Tom Hulce hätten Mozart zu einem Borderline-Clown verkommen lassen. Es war aber diese sehr schelmische Art und Weise, die sich Forman inmitten seines zum Teil spektakulären Kostümfilms gönnte, um seine Figur zu entmystifizieren. In gewisser Hinsicht ist „Il boemo“ die Antithese zum großen Filmklassiker. Die Entmystifizierung nimmt bei Vaclav ganz andere Formen an.

Passive Candide-Figur

Trotz aufwendiger Kostüme und eines sehr ansehnlichen Sets in u.a. Venedig geben der Regisseur und sein Kameramann Diego Romero dem Biopic einen fast schon naturalistischen Anschlag. Es entsteht der Eindruck, der Film wäre vor allem in Naturlicht eingetaucht. Das goldene Zeitalter der niederländischen Barockmalerei lässt grüßen. In dieser Hinsicht ist Petr Vaclav Stanley Kubricks „Barry Lyndon“ fast mehr verschuldet als „Amadeus“, von dem sich der Film aktiv zu distanzieren versucht. Ein kosmischer, wenn auch trauriger Zufall will es auch, dass Ryan O’Neal, der Schauspieler hinter Barry Lyndon, eine knappe Woche vor dem hiesigen Kinostart von „Il boemo“ gestorben ist.

Vojtech Dyk ähnelt in der Herangehensweise, sich seine mysteriöse Figur anzueignen, O’Neal allemal. Myslivecek war vielleicht ein Komponist, der sich, einmal angekommen, nicht von seiner Arbeit trennen konnte, Vaclav zeichnet ihn jedoch auch als distanziert passive Candide-Figur, die sich hin und her wiegen ließ – von künstlerischen Präferenzen seiner Auftraggeber, vor allem aber von den Frauen in seinem Leben. Auch von denen ist historisch herzlichst wenig übertragen, aber das Drehbuch behandelt diese nicht ausschließlich als eine Serie von Musen in Mysliveceks Leben. Sie fungieren auch als Verlängerung des Porträts des (sexuell sehr freizügigen) libertären Endes des italienischen 18. Jahrhunderts.

Das Ende dieser Zeit – die Französische Revolution steht vor der Tür; die Aufklärung mit Diderot sowieso – ist subtil spürbar und eine gewisse Melancholie zieht sich mit Dyks Myslivecek durch den ganzen Film. Die Tristesse und die Dekadenz der Kreise, mit der Myslivecek zu tun hatte, bekommt in einer Szene mit dem neapolitanischen König seinen Höhepunkt. Ein weiterer dramaturgischer Höhepunkt ist der Auftritt von Leopold und Sohnemann Wolfgang Amadeus Mozart, mit denen Myslivecek zeit seines Lebens tatsächlich eine Freundschaft verband. Mozart ist für Petr Vaclav eine Figur, mit der er sich nicht nur filmhistorisch abzuarbeiten versucht, sondern sie läutet für seinen Myslivecek im Mittelpunkt eine unmittelbare Zäsur ein.

Wem das ganze Prozedere hinter Vaclavs Film zu viel oder vielleicht zu wenig ist, kann – wie es Opernfreunde oftmals machen, wenn ihnen die Bühnenregie einer Oper nicht mundet – die Augen schließen und einfach Mysliveceks Musik hören, die zu einem großen Teil für diesen Film erstmals aufgenommen wurde. Die Musik ist fantastisch und der Film gebührt ihr reichlich Platz. Alleine ihretwegen könnte Vaclavs Film sogar drei Stunden dauern.

„Il boemo“ von Petr Václav, mit u.a. Vojtech Dyk und Barbara Ronchi. Zu sehen im Ciné Utopia.