Auf das Konzert mit Philippe Herreweghe und dem Orchestre des Champs-Elysées am vergangenen Samstag will ich an dieser Stelle nur kurz eingehen. Die Interpretation von W.A. Mozarts Symphonie Nr. 35 „Haffner“ war derart uninteressant und routiniert, dass es schon fast ein Ärgernis war. Die zweite Konzerthälfte mit Mozarts Requiem hörte ich mir dann auch gar nicht mehr an. Herreweghe, sonst an sich ein großartiger Dirigent in seinem Repertoire, und sein seltsam matt klingendes Orchester schienen keine wirkliche Lust auf Musik zu haben und begnügten sich mit einer wenig inspirierten, mittelmäßig gespielten und letztendlich völlig überflüssigen Aufführung dieser wunderbaren Symphonie, die sich weder zu der historischen Aufführungspraxis noch zu einer klassischen Sichtweise bekannte und somit nur mulmigen Einheitsbrei verströmte.
Finley und Drake mit perfektem Liederabend
Drei Tage zuvor hatte das Publikum im Kammermusiksaal einen der wohl weltbesten Liedsänger unserer Zeit erleben dürfen. Gerald Finley beeindruckte nicht nur mit einer prächtigen Stimme, sondern vor allem mit sehr ausgefeilten, textbezogenen und stilistisch einwandfreien Interpretationen. Der erste Teil war mit Liedern und Balladen von Robert Schumann (Auszüge aus Liederkreis und Gesänge op. 142 und op. 127, aus Romanzen und Balladen sowie „Belsatzar“) und Franz Schubert (sechs Lieder aus „Schwanengesang“) der Romantik verpflichtet. Finleys markanter Bariton traf dann auch immer den rechten Ton, blieb kraftvoll in der Aussage, sensibel in der Textbehandlung und weich im Vortrag. Das war allerbeste Liedkunst.
Zu einer wirklichen Entdeckung wurden die wunderschönen vier Lieder von Henri Duparc („Sérénade“, „Soupir“, „L’invitation au voyage“ und „Phydilé“). Finley wusste hier, seine Stimme zurückzunehmen und mit natürlichem Atem und einer perfekten Phrasierung Duparcs Lieder in großer Schönheit und Intensität zu gestalten. Es folgten einzelne Lieder von Benjamin Britten, Graham Peel, Ralph Vaughan Williams, Franz Liszt, Charles Ives und Cole Porter, die auf der einen Seite in dieser losen Zusammenstellung nach den drei vorangegangenen „Zyklen“ dramaturgisch keinen richtigen Sinn ergaben, auf der anderen aber die Vielseitigkeit des kanadischen Sängers unterstrichen. Gerne hätte man mehr aus dem amerikanischen Repertoire gehört. Und überhaupt, gerne wäre man noch eine weitere Stunde sitzen geblieben und hätte diesem wunderbaren Geschichtenerzähler und Sänger, der immerhin schon 63 alt ist, zugehört.
Der Titel des Liederabends „One voice, one piano“ weist dann direkt auf die Wichtigkeit des Pianisten hin. Dies war an diesem Abend der legendäre Julius Drake, und ich muss zugeben, ich habe selten so eine schöne und perfekte Begleitung eines Sängers gehört wie die von Drake. Nicht nur, dass Drake sich auf ideale Weise auf seinen Solisten einschwang, er brachte dazu noch das Klavier in einer Weise zum Klingen, wie man es selten bei einem Liederabend hört. Und er durfte es sich auch erlauben, denn da der Stimme von Gerald Finley keine Grenzen gesetzt schienen, konnte Julius Drake quasi alles an Klang und Intensität aus seinem Flügel herausholen, was möglich war. Das waren Liedgesang und Liedbegleitung in ihrer pursten und besten Form.
Trio Schengen engagiert und spielfreudig
Torsten Janicke, Violine, Sophie Urhausen, Bratsche, und Anik Schwall, Cello, waren die Solisten des SEL-Camerata-Konzerts. Unter dem Titel „Schöngeist“ erklangen Werke für Streichtrio von Ludwig van Beethoven, Joseph Haydn, Johann Georg Albrechtsberger und Zoltan Kodaly. Das Schengen-Trio setzt sich, wie auch andere Schengen-Ensembles, aus jeweils wechselnden Musikern der Solistes Européens Luxembourg zusammen, was zur Erkennung nicht unbedingt förderlich und demnach leicht irreführend ist. Auch verhindert diese Ad-hoc-Lösung, dass trotz eines engagierten und lebendigen Musizierens ein wirklicher Ensemblegeist entsteht. Die drei Musiker bewährten sich zwar als exzellente Solisten, ließen aber keinen durchgehend kohärenten Gesamtklang erkennen, was dann auch manchmal zu inneren Gleichgewichtsstörungen führte. Besonders das eher schwache Trio von op. 9/1 von Johann Georg Albrechtsberger war davon betroffen. Mit Haydns wundervollen Trio op. 53/1 zeigten die drei Musiker, was es heißt, lebendig und lustvoll miteinander zu kommunizieren. Auch das Intermezzo von Zoltan Kodaly ließ keine interpretatorischen Wünsche offen. Nach der Pause dauerte es dann wieder eine Zeit, bis sich die drei Musiker klanglich gefunden hatten; danach löste sich die Verkrampfung und Torsten Janicke, Sophie Urhausen und Anik Schwall konnten ihrer Spiel- und Interpretationslust freien Lauf lassen. Als Zugabe folgte Jules Massenets „Méditation“ in einer Transkription für Streichtrio.
Barock mit Breakdance-Einlage
Das Konzert mit dem polnischen Countertenor Jakub Jozef Orlinski wurde zwar im Programm als Feuerwerk angekündigt, war aber eher eine intimistische Meditation mit melancholisch-dramatischem Inhalt. Orlinski hatte eher nachdenkliche Arien ausgesucht, die (ohne Pause) als ein großer, innerer Monolog angelegt waren. Es erklangen Arien von Monteverdi, Marini, Caccini, Frescobaldi, Kerll, Strozzi, Cavalli, Netti, Sartorio, Jarzebski und Moratelli, also hauptsächlich Komponisten, die relativ wenig bekannt sind. Umso interessanter war das Kennenlernen dieser Werke, die allesamt von der einzigartigen Kunst des Sängers, seinem perfekten Gesangstil und seiner überragenden Technik lebten. Zwischendurch gab es dann auch eine Breakdance-Einlage (Orlinski ist ebenfalls preisgekrönter Breakdancer und Tänzer), die zum Markenzeichen des Künstlers geworden ist. Das Publikum war hoch konzentriert und hing dem Sänger regelrecht an den Lippen, sodass sich der gutgelaunte Jakub Jozef Orlinski für die Ovationen mit vier Zugaben bedankte. Begleitet wurde er an diesem Abend von zehn Musikern des italienischen Barockensembles Il Pomo d’Oro, das perfekte historische Aufführungspraxis bot und sich als idealer Interpret dieser Werke entpuppte. Zwischendurch gab es dann auch einige konzertante Einlagen wie die Sinfonia von Pallavicino, die das großartige Musizieren dieses Ensembles in den Mittelpunkt stellten. Ein Sonderlob geht hier an den Gitarristen Miguel Rincon Rodriguez. Das war Barock-Interpretation in ihrer schönsten und reinsten Form.

De Maart
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