Christian Pilnacek war nicht nur einer der besten, sondern auch mächtigsten Juristen des Landes. Seine bekannte ÖVP-Nähe wurde dem Generalsekretär des Justizministeriums allerdings karrieremäßig zum Verhängnis, als 2020 die Grüne Alma Zadic das Justizressort übernahm. An offenen Flanken mangelte es nicht. Pilnacek selbst war von Korruptionsstaatsanwälten wegen Amtsmissbrauches angezeigt worden, weil er sie aufgefordert hatte, Ermittlungen zu möglichen Malversationen im Zuge des vor 20 Jahren erfolgten Ankaufs der Eurofighter-Abfangjäger durch die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung einzustellen. Als er auch noch in Verdacht geriet, einen bekannten Unternehmer vor einer Hausdurchsuchung gewarnt zu haben, wurde Pilnacek 2021 suspendiert. Da aber kein Vorwurf bewiesen werden konnte, wurde in Wien schon mit seiner baldigen Rückkehr ins Ministerium gerechnet.
Tragisches Ende
Doch es kam anders: Am 19. Oktober wurde Pilnacek in Niederösterreich als Geisterfahrer mit 1,5 Promille im Blut von der Polizei angehalten und seinen Führerschein los. Tags darauf lag der 60-Jährige tot in seinem Wochenendhaus – mutmaßlich Selbstmord, das Ergebnis einer Obduktion steht noch aus.
Da kamen ÖVP-Minister, selbst als eine Hausdurchsuchung bei der ÖVP schon stattgefunden hat, kam man zu mir und fragte, warum drehe ich das nicht ab?
Nachdem die ÖVP, allen voran Ex-Kanzler Sebastian Kurz, den tragischen Tod zunächst politisch auszuschlachten versuchte, indem sie Pilnacek als Opfer linker Seilschaften in der Justiz darstellte, kam der Bumerang nun zurückgeflogen. Mehreren Medien wurde ein im Juli heimlich mitgeschnittenes Gesprächs Pilnaceks mit Unbekannten in einem Wiener Restaurant zugespielt. Darin beklagt er sich über den Druck, den die ÖVP bei diesem betreffenden Verfahren auf ihn ausgeübt haben soll. „Man verlangt, dass ich Ermittlungen einstelle. Das kann ich nicht, das mache ich nicht“, sagte Pilnacek laut der durch ein Gutachten für den ORF als authentisch erklärten Audiodatei. „Da kamen ÖVP-Minister, selbst als eine Hausdurchsuchung bei der ÖVP schon stattgefunden hat, kam man zu mir und fragte, warum drehe ich das nicht ab?“, beklagte Pilnacek. Als er seinerseits um Unterstützung bei seinen Kalamitäten im Ministerium bat, sei er mit der Begründung, „du hast ja nie verhindert, dass eine Hausdurchsuchung bei uns stattfindet“, abgewiesen worden. Namentlich erwähnte er Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Sorge um Totenruhe
Während die Opposition am Mittwoch geschlossen den Rücktritt des zweithöchsten Repräsentanten der Republik forderte, kann sich dieser auf die Rückdeckung durch seine Partei verlassen. Sobotka „hat mein Vertrauen“, betonte Bundeskanzler Karl Nehammer und sorgte sich um die Pietät. Der Parteichef ortet einen „Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“, für den er nicht nur den (noch) unbekannten Lieferanten der brisanten Audiodatei, sondern auch Journalisten verantwortlich macht: „Sie würden mir die Frage nicht stellen, würden Sie die Totenruhe nicht stören“, verweigerte der Kanzler eine inhaltliche Stellungnahme. Weil er es für „moralisch nicht vertretbar“ hält, will sich der Kanzler an dieser Diskussion nicht beteiligen. Er verwies nur darauf, dass Pilnacek in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gesagt habe, keinen politischen Interventionen ausgesetzt gewesen zu sein.
Wahlkampfthema
Ein schnelles Ende der Debatte wird es freilich nicht geben. Gut zehn Monate vor der Nationalratswahl lässt sich die Opposition die Gelegenheit nicht entgehen, die ÖVP einmal mehr als korrumpierten Verein darzustellen. Sobotka müsse gehen, „wenn die ÖVP noch irgendwelche moralische Anforderungen an sich selbst und an die Politik stellt“, forderte FPÖ-Chef Herbert Kickl. Die SPÖ drängt auf ein Machtwort von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dem es, so der Abgeordnete Jan Krainer, nicht egal sein könne, „wer der Mann hinter ihm ist“.
Die Grünen sitzen wieder einmal zwischen den Stühlen. Spekulationen, sie könnten den Fall zum Anlass für ein Platzen der Koalition nehmen, bestätigten sich nicht. Auch eine direkte Rücktrittsaufforderung an Sobotka verkniff sich die Partei. Justizministerin Zadic kündigte aber die Einsetzung einer Untersuchungskommission an. Damit ist jedenfalls garantiert, dass das Thema im Wahlkampf nicht untergeht.
De Maart
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