Für Robert Habeck geht es schon wieder um alles oder nichts. Der Wirtschaftsminister ist am Montagabend in den ARD-„Tagesthemen“. Das Urteil aus Karlsruhe, so sagt der grüne Wirtschaftsminister und Vizekanzler, betreffe nicht nur 60 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds, sondern vielmehr die gesamte Volkswirtschaft Deutschlands. Das Wachstum würde erheblichen Schaden nehmen. Er halte die Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form für veraltet. Doch zunächst müsse man im Haushalt aktuell zu einer Lösung kommen.
Das wird händeringend versucht in der Ampel: In den Parteizentralen, den Ministerien, den Fraktionen und im Kanzleramt beugt man sich über Papiere. Doch die Ratlosigkeit angesichts der Härte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist sehr groß. Die Angst, dass auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), also der Doppel-Wumms, mit 200 Milliarden Euro verfassungswidrig sein könnte, greift um sich. Vorsichtshalber wurde er nun auch gesperrt, die Mittel sind nach Einschätzung des Finanzministeriums nicht mehr nutzbar. „Geht das noch zusammen?“ ist eine Frage, die sich in Gespräche und Telefonate einschleicht. Steht doch für alle drei Ampel-Partner Grundsätzliches auf dem Spiel.
Mutmachersprüche helfen nicht mehr
Die SPD will von Sozialkürzungen nichts hören, die Schuldenbremse erneut aussetzen und die Steuern für Reiche erhöhen. Fraktionschef Rolf Mützenich und Generalsekretär Kevin Kühnert rufen schon mal rote Linien aus. Die Sozialdemokraten können ihre Ziele nur mit einer erneuten Ausnahmeregelung von der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse erreichen, das wird deutlich. Was die Machtperspektiven angeht, muss die SPD den Verlust der Kanzlerschaft von Olaf Scholz fürchten, sollte die Ampel das Ringen nicht überstehen. Die SPD steht in Umfragen nicht gut da, ein Haushaltsdebakel wäre wenig hilfreich. Und so droht ihr beim Auseinanderbrechen der Ampel und Neuwahlen bestenfalls die Juniorrolle in einer Koalition mit der Union. Alles Gründe, weswegen man in der SPD sehr bemüht ist, Wege aus dieser Haushaltskrise zu finden.
Unterdessen ist man sich bei der FDP alles andere als sicher, ob Mutmachersprüche wirklich noch weiterhelfen. Hinter verschlossenen Türen werden das Szenario der Notlage und das Aussetzen der Schuldenbremse durchgespielt. Eine gangbare Option?
Und die Grünen, einen Wahlparteitag in dieser Woche vor Augen, halten die Investitionen in den Klimaschutz und den Industriestandort für essenziell. Sonst müsse man die Koalition auch gar nicht fortsetzen, sagt auch mal einer auf den Fluren. Auch die „großen drei“ – Scholz, Habeck und Lindner – haben sich mehrfach getroffen. Doch eine einheitliche Linie hat man noch nicht gefunden, am Mittwoch will man wieder sprechen. Auch an einen Koalitionsausschuss ist gedacht – allerdings braucht es dafür erst mal etwas zu beschließen.
Kein Triumphgeheul von Unionsparteien
Es sind auch für die Union anspruchsvolle Tage. Für Friedrich Merz und seine Fraktion ist ein strategisch kluges Vorgehen jetzt oberstes Gebot. Mehrstimmigkeit vermeiden, nicht zu hart attackieren, so lautet die Losung. In der Spitze der Oppositionsfraktion weiß man, wie schnell der Vorwurf verfangen könnte, die Union sei wegen ihrer Verfassungsklage für die gigantische Haushaltsmisere verantwortlich; dafür, dass vor allem die Bürger eventuell gehörig draufzahlen müssen. Erste Versuche dieser Art von Wirtschaftsminister Habeck haben Merz & Co. nachhaltig verärgert – Habeck falle lediglich „mit Schuldzuweisungen an die falsche Adresse und durch Herbeireden einer Rezession auf“, schießt etwa der Haushaltsexperte Mathias Middelberg zurück.
Auch Merz wirkt in diesen Tagen angespannt, aber nicht hektisch. Übermäßiges Triumphgeheul hat er seiner Fraktion angesichts „der historisch angespannten Situation“ untersagt, wie es aus seinem Umfeld heißt.
Was, wenn die Ampel-Koalition über das Haushaltsdesaster zerplatzt? Stünden CDU/CSU dann bereit, zumindest übergangsweise? Es gibt Planspiele, die hinter den Kulissen debattiert werden, die aber nicht so weit reichen, dass Merz etwa unter einem Kanzler Scholz in einer Übergangs-GroKo Finanzminister würde. Bei Neuwahlen wäre er der Kanzlerkandidat, das steht hingegen fest. Zugleich wird in der Fraktion darauf verwiesen, wozu ein Koalitionsbruch führen könnte: Das Land würde weiter abrutschen, nur die AfD der Profiteur sein.
Erst einmal einen Kassensturz vornehmen
Die Wahrheit ist deshalb: Man plant zwar für alle Eventualitäten, die Union will aber noch nicht regieren. Die Haushaltsprobleme wären dann ja auch ihre. Da wundert es nicht, dass nach wie vor betont wird, die Koalition werde schon aus Gründen der Selbsterhaltung der Ampel-Parteien bis zur Bundestagswahl bestehen bleiben. „Auch wenn es keine Freude ist, das mit anzusehen“, so einer aus der Führung von CDU/CSU.
Merz steht zugleich auch aus den unionsgeführten Ländern unter Druck. Das Urteil wirkt sich massiv auf die Länder aus. Schon wird intern davor gewarnt, die nächste Lawine in Gang zu setzen – mit einer Klage gegen WSF. Diese dürfte nun nicht mehr nötig sein, die Bundesregierung will dem zuvorkommen. Am Donnerstag, beim Treffen von Merz mit seinen Landesfürsten im Vorfeld des Bundesrates, soll über das weitere Vorgehen diskutiert werden. Die Union würde mithelfen, die Probleme zu lösen, „aber erst muss die Ampel sagen, wir haben verstanden“, heißt es. Ein wichtiges Zeichen wäre es demnach, die in der kommenden Woche geplanten Haushaltsberatungen im Bundestag zu verschieben und einen Kassensturz vorzunehmen.
Und die Ampel? „An Nikolaus ist GroKo-Aus“, war der Spruch des damaligen Juso-Chefs Kühnert gegen die ungeliebte große Koalition 2019. Vier Jahre später muss der SPD-Generalsekretär nun daran mitarbeiten, dass an Nikolaus nicht das Ampel-Aus vor der Tür steht.
De Maart
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