„Was für ein geiles Ergebnis. Was sind wir für eine coole Partei“ – die Erleichterung über das Wahlergebnis treibt Andreas Babler die Tränen in die Augen. 88,8 Prozent der knapp 600 Delegierten haben ihn am Samstag im Grazer Messezentrum als Parteichef bestätigt. Und dieses Mal dürfte es keinen Rechenfehler gegeben haben, so wie beim Juni-Parteitag in Linz, wo zunächst der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil zum neuen Vorsitzenden gekürt und Babler erst zwei Tage später nach Auffliegen einer Auszählungspanne zum Sieger erklärt worden war.
Seither lief es gar nicht rund für den 50-Jährigen, der die SPÖ mit einem prononciert linken Kurs zurück auf die Siegerstraße führen wollte. Das Verharren im Umfragetief resultiert aus mangelnder Einigkeit und pikanten Affären. Der den rechten Parteiflügel repräsentierende Doskozil lässt weiter keine Gelegenheit aus, sich mit Babler zu matchen. Zuletzt mündete die Listenerstellung für die EU-Wahl in einen offen ausgetragenen Konflikt: Doskozil wollte seinen Freund, Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos, auf die Kandidatenliste hieven und scheiterte. Der Burgenländer kam erst gar nicht zum Grazer Parteitag und wollte auch nicht mehr im Parteipräsidium vertreten sein. Selbst Bablers Verhältnis zu einem ursprünglichen Förderer ist frostig geworden: Auch der mächtige Wiener Bürgermeister Michael Ludwig verzichtete auf einen Präsidiumssitz. Bei ihm hatte sich Babler unbeliebt gemacht, weil er wie die Grünen das von der Wiener SPÖ forcierte Tunnelprojekt unter dem Naturschutzgebiet Lobau ablehnte und zudem noch lautstark Aufklärung in der sogenannten Schrebergarten-Affäre forderte. 2021 hatte die Stadt Wien das Gelände des Kleingartenvereins Breitenlee in Bauland umgewidmet, was den Parzellenbesitzern einen schlagartigen Wertzuwachs bescherte. Unter den Nutznießern sind auch SPÖ-Granden, die sich kurz vor der Umwidmung in dem Kleingarten eingekauft hatten. Die Wiener SPÖ beharrt darauf, dass alles seine Ordnung hatte.
Zerstrittene Genossen
All diese Querelen waren schnell vergessen, als Babler in der Grazer Messehalle rhetorisch loslegte. Eine Stunde lang zog der Traiskirchener Bürgermeister das tausendköpfige Publikum mit einer emotional aufwühlenden, immer wieder von Beifall unterbrochenen Rede in seinen Bann. Er redet wie ein richtiger Sozi mit Arbeiterklassenbewusstsein, nicht so gestelzt und wohltemperiert wie die linken Bobos, die in der SPÖ lange tonangebend waren. Babler zeigt klare Kante, schießt sich auf die „Ellenbogenpolitik“ der Kanzlerpartei ÖVP ein und greift sich mit der rechten Hand ans Herz, das links schlägt. Er zieht her über Milliardäre wie René Benko, dessen Immobilienimperium gerade ins Wanken geraten und als Freund von Ex-Kanzler Sebastian Kurz „ein Symbol für die Wirtschaftskompetenz der ÖVP“ ist. Unerwähnt lässt Babler, dass ein anderer Ex-Kanzler sogar im Aufsichtsrat von Benkos Signa-Holding sitzt: Alfred Gusenbauer, der in der SPÖ auch einmal ganz links außen angefangen hatte.
Babler will als Kanzler eine Arbeitszeitverkürzung durchsetzen, und eine warme Gratis-Mahlzeit am Tag für alle Kinder. Er stellt sich ohne Wenn und Aber hinter die gerade mit Warnstreiks für 11,6 Prozent Lohnerhöhung kämpfenden Metaller. „Partei und Gewerkschaft, Gewerkschaft und Partei – ein Guss“, sagt Babler, der auch auf seiner bei Wirtschaftsexperten nur Kopfschütteln auslösenden Forderung nach Festschreibung eines Inflationszieles von maximal zwei Prozent in der Verfassung beharrt. Weniger radikal ist der SPÖ-Chef in der Klimapolitik. Er will zwar einen „großen Systemwandel“, aber nicht mit dem Finger zeigen auf die Dieselfahrer oder jene, die einmal im Jahr auf Urlaub fliegen. Auch nicht ganz radikal ist Bablers Modell für eine Millionärssteuer, „von dem 98 Prozent der Haushalte profitieren“, also nur zwei Prozent der Österreicher betroffen wären. Das beruhigt die Häuslbauer und Wochenendhausbesitzer, die es auch in den Reihen der SPÖ gibt. Ob eine solche Reichensteuer wirklich so viel einbringt, um im Sinne des Parteitagsmottos „Zurück zur Gerechtigkeit“ alle versprochenen Segnungen des Sozialstaates zu finanzieren, ist fraglich.
Stehende Ovationen
Doch solche Fragen werden in Graz an diesem Tag nicht gestellt. Babler hat es verstanden, die Genossen mit seiner emotionalen Rede zu begeistern. Es gelingt ihm, die internen Querelen der vergangenen Monate und die schlechten Umfragen vergessen zu machen. Fast drei Minuten lang wird seine Rede mit stehenden Ovationen bedacht. Erst sechs Stunden später – dieses Mal wird so genau wie noch nie gezählt – steht sein Wahlergebnis fest. Gemessen an den Streitereien im Vorfeld und vor allem an den 75 Prozent, die seine Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner 2021 erzielt hatte, sind Bablers 88,8 Prozent fast ein Traumergebnis. Dass die übrigen zwölf Mitglieder des Präsidiums durchwegs deutlich über 90 Prozent der Stimmen erhielten, unterstreicht allerdings das weiter bestehende Konfliktpotenzial. Das bevorstehende Superwahljahr mit Europawahl, Nationalratswahl und zwei Landtagswahlen bewirkte eine Disziplinierung mancher Genossen, denen der Kurs des Vorsitzenden zu linkspopulistisch ist. Wie lange das anhält, wird sich zeigen müssen. Aufbruchstimmungen verfliegen oft so schnell, wie sie entstehen. Die SPÖ weiß davon ein Lied zu singen. Vorerst klammert sie sich an Bablers Versprechen: „Wir bauen alles wieder auf, was ÖVP und FPÖ niedergerissen haben!“
De Maart
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