Politisch tot. Das ist ein bitterer Befund, zumal wenn er von einem der führenden Köpfe kommt. Der Noch-Chef der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, macht dieser Tage keinen Hehl aus seiner Ernüchterung über die bevorstehende Auflösung seiner Fraktion. „In jedem Fall ist dieser Tag kein Grund zur Freude“, sagte Bartsch am Dienstag vor der Fraktionssitzung. Jener Sitzung also, in der die Linke im Bundestag ihre Liquidation beschlossen hat. Ab 6. Dezember soll der Prozess der Auflösung beginnen.
Bartschs Worte dürfen getrost als Untertreibung verstanden werden. 22 Jahre im Bundestag, davon acht Jahre Fraktionsvorsitzender – Bartsch hat die Linksfraktion geprägt, und sie sicherlich auch ihn. Er ist Polit-Profi genug, um gefasst zu bleiben. Dennoch, die Enttäuschung ist offenkundig. Bartsch spricht von einer Niederlage für die Fraktion, aber auch für ihn persönlich.
Dieser Moment ist historisch. Denn dass sich eine Fraktion während einer laufenden Legislatur auflöst, das gab es im Bundestag noch nicht. Bisher lösten sich Fraktionen nur nach herben Wahlniederlagen auf, wenn die Partei die Fünf-Prozent-Hürde und damit den Einzug in den Bundestag verpasste. So erging es 2013 der FDP-Fraktion. Auch die Linken-Vorgängerin PDS musste 2002 ihre Fraktion auflösen, als sie es nur mit zwei direkt gewählten Abgeordneten in den Bundestag schaffte.
Historisch ist die Auflösung der Linksfraktion aber auch, weil sie maßgeblich auf eine Person zurückzuführen ist. Zwar liegen viele Zerwürfnisse zurück, der innere Zusammenhalt bröckelt seit Langem. Doch der Bruch mit Sahra Wagenknecht hat das Ende schließlich besiegelt. Wagenknecht, bis 2019 noch Co-Fraktionschefin zusammen mit Bartsch, will mit ihrem Verein „BSW – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ (kurz für „Bündnis Sahra Wagenknecht“) neue Wege beschreiten. Im kommenden Jahr will Wagenknecht eine eigene Partei gründen, deren Vorsitz sie überraschenderweise nicht selbst übernehmen will, wie sie nun bekannt machte.
Bartsch wiederholte am Dienstag seine Skepsis über Wagenknechts Projekt. Er höre, das Bündnis wolle regieren, doch noch sei nicht einmal die Partei gegründet, noch seien sie in keinem Parlament. „Sei’s drum“, sagte Bartsch. Für ihn bleibe es dabei, dass die „Formation“, wie Bartsch das Bündnis immer wieder nennt, nicht der politische Bezugspunkt für die Linke sei – „sondern der Bezugspunkt unserer Politik hier im Bundestag wird die Ampel sein“. Es ist wohl auch der Versuch, Wagenknechts politisches Potenzial herunterzuspielen. Gerade in dem für die Linke so wichtigen Osten des Landes werden Wagenknechts Bündnis große Chancen zugerechnet. Im kommenden Jahr wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt. Dann wird sich zeigen, ob die Linke dort noch einen Fuß auf den Boden bekommen kann.
„Keinesfalls das Ende der Linken“
Sei’s drum – für die bisherigen Mitarbeiter der Fraktion ist die Sache freilich nicht so einfach gelöst. Für die etwas mehr als 100 Beschäftigten bedeutet die Auflösung das vorläufige Ende ihres beruflichen Werdegangs. Die Liquidation zum 6. Dezember wird voraussichtlich zwar darauf hinauslaufen, dass die meisten Verträge unter Berücksichtigung von Kündigungsfristen erst zu Ende März 2024 enden. Dennoch dürfen die Mitarbeiter ab dem Zeitpunkt der Auflösung nicht mehr für die Fraktion arbeiten, sind dann also faktisch freigestellt.
Auch um einem Teil von ihnen eine neue Perspektive bieten zu können, betonte Bartsch am Dienstag, dass man so schnell wie möglich eine parlamentarische Gruppe gründen möchte. Erwartet wird, dass nun zwei Gruppen entstehen werden: die verbliebenen 28 Linken-Abgeordneten und Wagenknecht mit ihren neun Unterstützern. Im Vergleich zu einer Fraktion hat eine Gruppe weniger parlamentarische Rechte, konnte bislang etwa keine namentlichen Abstimmungen verlangen. Entscheidender aus Sicht der Mitarbeiter dürfte aber sein, dass eine Gruppe weniger finanzielle Unterstützung aus der Staatskasse bekommt. Die Frage, wie viele bisherige Fraktionsmitarbeiter künftig für die neue Gruppe arbeiten werden, konnte Bartsch am Dienstag nicht beantworten.
Ohnehin hat die Linksfraktion die Aufstellung der Gruppe nicht alleine in der Hand. Zu deren Zulassung und zur Bestimmung von deren Rechten ist ein Bundestagsbeschluss notwendig. Immerhin kann die Gruppe schon während der laufenden Liquidation gegründet werden. Da Verträge und Räume gekündigt werden müssen, kann sich dieser Prozess über Jahre ziehen.
Bartsch versucht zu retten, was noch zu retten ist. Es sei auch die „Chance für einen Neustart“, sagte Bartsch am Dienstag dann noch. Es müsse Schluss sein mit der „unsäglichen Selbstbeschäftigung“. Ohnehin, das Ende der Fraktion sei „keinesfalls“ das Ende der Linken. Ob das der Fraktion kurz vor ihrem Ende Trost verschafft, ist fraglich.
De Maart
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