Mittwoch29. Oktober 2025

Demaart De Maart

SpanienRegierungsbildung bietet Chance für Frieden in Katalonien

Spanien / Regierungsbildung bietet Chance für Frieden in Katalonien
Die spanischen Konservativen heizen die Stimmung im Land auf bedenkliche Weise auf, was gewaltbereite Demonstranten auf den Plan ruft, wie hier am Donnerstagabend in Madrid Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Nach seinem Abkommen mit Kataloniens Separatistenchef Carles Puigdemont kann Spaniens international angesehener Regierungschef Pedro Sánchez weitere vier Jahre regieren. Puigdemont sicherte Sánchez zu, dass er ihn im spanischen Parlament mit den Stimmen seiner katalanischen Unabhängigkeitspartei unterstützen werde.

Damit hat der Sozialdemokrat Sánchez, der in Spanien seit fünf Jahren regiert, die notwendige Mehrheit für eine neue Amtszeit seines Mitte-links-Minderheitskabinetts zusammen. Es wird somit auch künftig, wie bisher schon, im Parlament von den einflussreichen Regionalparteien aus Katalonien und dem Baskenland unterstützt.

Dass Sánchez’ Reformregierung weitermachen kann, ist für Europa eine beruhigende Nachricht: Sánchez gilt als treuer und dialogbereiter Verbündeter Europas, der bei Schlüsselthemen wie Migration, Klimaschutz, Digitalisierung sowie Gleichstellungspolitik vorbehaltlos hinter Brüssel steht.

Sein konservativer Herausforderer Albert Núñez Feijóo, der zuvor mit einer Regierungsbildung scheiterte, wollte zusammen mit der rechtsnationalen Partei Vox an die Macht. Vox ist eine Rechtspartei, die den Klimawandel leugnet, Europa gegenüber skeptisch eingestellt ist, zu einem starken Nationalstaat zurückkehren und die Gleichstellungspolitik wieder abschaffen will.

Doch seine knappe Mehrheit im spanischen Parlament hat sich Sánchez teuer erkaufen müssen: mit einer im Land höchst umstrittenen Generalamnestie für die katalanischen Separatisten und ihren Chef Puigdemont. Hunderte katalanische Aktivisten werden immer noch wegen eines illegalen Unabhängigkeitsreferendums im Jahr 2017 von der spanischen Justiz verfolgt. Mit sehr hohen Strafforderungen, die von Amnesty und anderen Menschenrechtsgruppen als exzessiv bezeichnet werden.

Dem Auseinanderfallen des Landes entgegensteuern

Eine Amnestie ist stets ein außergewöhnliches Zugeständnis für außergewöhnliche Situationen. Eine Maßnahme, die aber auch Chancen mit sich bringt, und zwar im konkreten Fall die Hoffnung auf eine weitere gesellschaftliche und politische Entspannung in der eigenwilligen Region Katalonien. Dort sinkt dank Sánchez’ bisheriger Dialogpolitik bereits seit einigen Jahren der Wille zur Abspaltung.

Dass dem Auseinanderfallen Spaniens, des wirtschaftlich viertgrößten Landes der Eurozone, entgegengesteuert wird, ist zweifellos im Sinne Europas. Ein Europa, das im globalen Konzert seine Zukunft im Zusammenwachsen und nicht im Aufbau neuer nationaler Grenzen sieht.

Sánchez’ Zugeständnisse an Puigdemont und seine Separatisten gehen allerdings nicht wenigen Spaniern zu weit. Die konservative Opposition spricht gar von „Verrat“. Sie sieht vor allem wegen des Amnestieversprechens die Demokratie und die Einheit des Vaterlandes in Gefahr.

Deswegen gehen die Konservativen seit Tagen mit hitzigen Parolen wie „Sánchez und Puigdemont ins Gefängnis“ in vielen Städten Spaniens auf die Straße. Doch laufen diese Demonstrationen zunehmend aus dem Ruder. Die von den Konservativen auf bedenkliche Weise angeheizte Stimmung sorgt regelmäßig für unschöne Szenen: Rechtsradikale grölen immer wieder antidemokratische sowie gewaltverherrlichende Parolen und liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei.

Ein vielleicht doch lohnendes Experiment

Ganz nüchtern betrachtet haben Amnestien in der europäischen Geschichte schon öfter dazu gedient, den sozialen Frieden zu wahren oder politische Aussöhnungsprozesse zu begleiten. Auch in Spanien ist ein umfassender Strafpardon nichts Neues: Spaniens Demokratie begann nach der 1975 endenden rechten Franco-Diktatur mit einer Amnestie für die Schergen des Unrechtsregimes. In späteren Jahrzehnten wurden mehrere Male Steuersünder im großen Stil amnestiert.

Dass ein solcher außerordentlicher Straferlass voraussichtlich von den Gegnern der Maßnahme vors Verfassungsgericht gebracht werden wird, damit die Hüter des Gesetzes diese politische Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen, hat nichts Anrüchiges. Ganz im Gegenteil: Es ist nur eine weitere Garantie dafür, dass auch in Spanien der Rechtsstaat funktioniert.

Sánchez’ Versuch, den spanischen Vielvölkerstaat durch die Anerkennung regionaler Eigenheiten und Empfindlichkeiten sowie durch politische Zugeständnisse an die Katalanen zusammenzuhalten, ist ein gewagtes, aber vielleicht doch ein lohnendes Experiment. Und nicht nur im Falle Spaniens ist dies möglicherweise der einzige Weg, regionalen Unabhängigkeitsbewegungen den Wind aus den Segeln zu nehmen.