Samstag15. November 2025

Demaart De Maart

Kunstecke„The Rebellion“ by Atelier Van Lieshout: Skulpturen als Denkanstoß für eine bessere Welt

Kunstecke / „The Rebellion“ by Atelier Van Lieshout: Skulpturen als Denkanstoß für eine bessere Welt
„Der Wal“: eine monumentale Skulptur aus dem Jahr 2022 Foto: © Luxembourg Art Week_4

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Schlägt die Luxembourg Art Week (LAW) vom 10. bis 12. November ihre Zelte auf dem Glacis-Feld auf, so kündigt seit Samstag eine „Skulpturenreise“ des niederländischen Künstlers Joep Van Lieshout diese Veranstaltung an. Die fünf unter dem Sammeltitel „The Rebellion“ präsentierten Werke bleiben dem öffentlichen Raum bis zum 23. November erhalten.

Am 10. November ist es wieder so weit, dann werden rund 80 Galerien und Einrichtungen ihre Kunstwerke in einem Mega-Zelt am Rond-point Schuman präsentieren, doch die neunte Auflage der LAW glänzt vorab mit einer ungewöhnlichen „Skulpturenreise“. Nach Jaume Plensa (2020), Joana Vasconcelos und Maen Florin (2021) sowie Stijn Ank (2022) hat die LAW in diesem Jahr das Atelier Van Lieshout für eine Schau der besonderen Art gewinnen können.

1995 von Joep Van Lieshout gegründet und in Rotterdam angesiedelt, figuriert der Name des Studios Van Lieshout in der „Praxis als eine Methode, um den Mythos des künstlerischen Genies zu untergraben“. Van Lieshout hat zahlreiche Kunstwerke geschaffen und dabei auf mehreren Ebenen, in verschiedenen Dimensionen und mit diversen Materialien gearbeitet. Es sind Werke, die zwischen „Fantasie und Funktion, zwischen Fruchtbarkeit und Zerstörung“ hin und her operieren. Der Künstler geht gesellschaftlichen Regeln und Zwängen auf den Grund, experimentiert und sucht Alternativen. Er „verbindet fantasievolle Ästhetik und Ethik mit Unternehmergeist“, heißt es etwa in der Eigendarstellung. Seine Arbeiten wurden weltweit auf Biennalen, in Museen und auch im öffentlichen Raum ausgestellt.

Aus der Überlegung heraus, eine Rebellion, ein Aufbäumen, der Einsatz für Veränderungen in der Gesellschaft könnten den Auftakt und die Chance zu einer besseren imaginären Welt bedeuten, hat er unter dem Sammeltitel „The Rebellion“ für Luxemburg fünf Arbeiten unterschiedlichen Datums, diverser Machart und Finalität zusammengestellt. Diese Skulpturen leiten nun zu einer Promenade quer durch die Stadt Luxemburg ein. Der Besucher bewegt sich dabei ausgehend vom Glacis-Feld über den Kirchberg und via die Place de Metz nahe dem Sitz der Spuerkeess über die Brücke und den Boulevard Roosevelt progressiv zur Kathedrale. Hier ist Endstation. Neben dem ehemaligen Gebäude der Nationalbibliothek und dem zweiten Eingangsportal der Kathedrale ist die in hellem Weiß in Szene gesetzte „Letzte Abendmahl“-Skulptur fast majestätisch im interessanten Spannungsfeld zwischen Ort der Besinnung und ehemaliger Kulturresidenz „angerichtet“. Fangen wir aber am Startpunkt an.

Wer mit dem Wal schwimmt

Mit „Volvo“, einem schrottreifen, vertikal aufgespießten Autowrack, erinnert der Künstler an die Zerstörung, das gewollte Zusammenbrechen eines Mechanismus, da ein gestanztes Werk des Menschen, kurz das Auto, als Wohlstandssymbol in einer auf Konsum ausgerichteten Erfolgsgesellschaft, gar einem falschen Wohlstandsideal folgend, einen neuen Weg zeigt. Aus Altmaterial kann in der Tat wieder etwas Neues entstehen, „Recycling“ ist das Schlagwort. Ein Prinzip, das der Künstler bei einigen Arbeiten durch Einsatz gebrauchter Materialien selber konsequent angewandt hat.

Künstler und Verantwortliche haben die Standorte der Werke gemeinsam ausgesucht und dabei nicht nur einen geeigneten Raum, sondern auch bedeutungsvolle Plätze und spannende Nachbarschaften erkundet. Stand die Monumentalskulptur „Der Wal“ 2022 an einem Meeresstrand in einer Hafenstadt, so ziert sie nun das Wiesengelände vor dem „Musée Dräi Eechelen“. Der Wal „schwimmt“ in der freien Luft und soll ein „Gruß des Ateliers an die Kraft der Natur, den menschlichen technologischen Einfallsreichtum und die Art und Weise, wie diese aufeinanderprallen“ sein. Van Lieshout spielt selbstredend auf Moby Dick an – ihm zufolge handelt es sich um eine Geschichte „über Rache und den Kampf Mensch gegen Natur“ –, sowie auf die alttestamentliche Erzählung, in der Jona drei Tage im Bauch des Wals verweilte und dort betete, bevor er wieder herauskam. Deshalb hat der Künstler seinen aus Metallplatten geschweißten Wal gleichfalls innen mit Figuren belebt. Literaturkenner wissen, dass einst ein „Wal“ bei einer Parade in Luxemburg für Aufsehen sorgte, und ein bekannter Schriftsteller die Eigenschaften des Wals metaphorisch in einem preisgekrönten Opus (Jean Portante: „Mrs Haroy ou la mémoire de la baleine“) thematisierte.

Solidarischer Aufbau

Mit der bereits 2007 gestalteten Skulptur „Wasserwagen“, die heuer im Park vor dem Zentrum Jean XXIII aufgestellt ist, schlägt der Künstler einen Bogen in die Zeit nach dem „Aufruhr“, nach dem Kampf für eine bessere Welt. Sechs anonymisierte weiße Figuren ziehen und drücken einen Wasserwagen, solidarisch, in Sorge um die Verpflegung und Gesundheit ihrer Mitmenschen, ein Bild, das wohl auch in die Szenerie einiger aktueller Kriegsgeschehen passt. Das Werk ist jedoch Bestandteil von „Slave City“, einer „autarken Stadt, frei von Hunger und Leid“, einem imaginären, aus heutiger Sicht quasi „utopischen“ Komplex. Dass dieses Werk vor einer Einrichtung steht, die auf Verständnis und barmherziges Handeln ausgerichtet ist und in übergeordneter Weise das Toleranzprinzip gedanklich auslotet, ist schon interessant.

Die im Rahmen der Arbeiten an der Tramstrecke und der Avenue de la Liberté neu gestaltete Place de Metz im Vorgarten des Spuerkeess-Sitzes beherbergt „Das Denkmal“, ein aus „The Equestrian“, „Mother with Child“ und „Old Man“ zusammengesetztes Werk. Der Künstler verweist mit diesem Denkmal auf „einen zukünftigen Krieg, der auf die Revolution einer ungeduldigen, verwöhnten Bevölkerung und den Zusammenbruch der Gesellschaft folgt“. Mit der Verflechtung eines „alten Mannes“, einer „Mutter mit Kind“ und einem König zu Pferde wird die „klassische“ Vorstellung eines Denkmals hinterfragt, wenn nicht untergraben. Hier werden Heldentum und Machtstrukturen kritisch beleuchtet.

Zurück in die Oberstadt, über die Brücke am bedeutendsten Luxemburger Denkmal an das Kriegsgeschehen vorbei, gelangt der „Reisende“ zum Vorplatz der Kathedrale. 2020 hat Van Lieshout das „Letzte Abendmahl“, das „seit zwei Jahrhunderten ein wichtiges künstlerisches Thema“ ist und allgemein als „ein Abschied vom Leben und der Welt, wie wir sie kennen“ verstanden wird, in einer in sich geschlossenen, aber doch offenen Skulptur verarbeitet. Weiße „Apostel“ nehmen jeweils eigene Positionen ein und harren der Botschaft, die da kommen soll. Das Motiv ist in eine tragbare, quasi mobile Struktur eingegliedert, wohl weil dieses „Letzte Abendmahl“ auch in Bewegung bleiben soll, eine Entwicklung andeutet. Wie erwähnt, diese biblische Schlüsselszene ist im Laufe der Kunstgeschichte von recht unterschiedlichen Künstlern aufgegriffen und neu interpretiert worden. Man darf gespannt sein, ob und welche Reaktionen dieses Werk in Luxemburg hervorbringen wird.

Mit der Einrichtung des Werkes „The Rebellion“ an teils recht ungewöhnlichen Standorten haben die LAW-Verantwortlichen, noch vor der Eröffnung der Expo, bereits für Gesprächsstoff gesorgt.

„Das letzte Abendmahl“: Joep Van Lieshout vor seinem Schlüsselwerk auf dem Vorplatz der Kathedrale
„Das letzte Abendmahl“: Joep Van Lieshout vor seinem Schlüsselwerk auf dem Vorplatz der Kathedrale

Ausstellung

„The Rebellion“ von Atelier Van Lieshout, ein Skulpturen-Parcours quer durch die Stadt, bis zum 23. November 2023. Einen Orientierungsplan gibt es bei LAW sowie den teilnehmenden Partnern.

de Latzert
27. Oktober 2023 - 11.00

Ët muss engem awer och gesot ginn, dass dat brongt Monsterstéck e Wal soll duerstellen. Eng Verschampeléierung vun den Dräi Eechelen am Hannergrond.