Bereits am Sonntagabend legte Michel eine gemeinsame Erklärung zur Nahostpolitik vor. Die EU verurteilt darin „auf das Schärfste die Hamas und ihre brutalen und willkürlichen Angriffe in ganz Israel“. Zugleich fordert sie Israel auf, die Gegenwehr „im Einklang mit dem Völkerrecht und dem humanitären Völkerrecht“ zu organisieren.
Die Erklärung geht damit weiter als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Bei einem Besuch in Israel hatte die deutsche CDU-Politikerin ihre uneingeschränkte Solidarität bekundet. „Israel hat das Recht und die Pflicht, auf Hamas’ Kriegsakt zu antworten“, sagte sie und fügte hinzu. „Europa steht an der Seite Israels.“
Von der Leyen sagte jedoch nichts zu dem humanitären Desaster im Gazastreifen und zur geplanten israelischen Militäroffensive. Daraufhin hagelte es Kritik. Spanien, Frankreich, Belgien und Irland mahnten eine ausgewogenere Position an. EU-Diplomaten sprachen von einem Alleingang, der nicht durch von der Leyens Mandat gedeckt sei.
Ringen um die Außenpolitik
Für die Außenpolitik ist in Brüssel der Rat – also die Vertretung der EU-Länder – und der Außenbeauftragte Josep Borrell zuständig. Borrell hat mehrmals die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch Israel angemahnt. Ratspräsident Michel hatte zunächst geschwiegen. Nun will er von der Leyen offenbar in die Schranken weisen.
Der belgische Politiker liegt seit langem im Clinch mit der deutschen Kommissionschefin. Seit einer gemeinsamen Türkei-Reise, die mit einem Eklat endete, ringen beide um die Deutungshoheit in der Außenpolitik. Mit ihrer offenbar unabgesprochenen Reise nach Israel könnte von der Leyen nun zu weit gegangen sein, heißt es in Brüssel.
Allerdings hat sich auch der Rat nicht mit Ruhm bekleckert. Michel und Borrell haben die Nahostpolitik, die früher ein Schwerpunkt der europäischen Diplomatie war, vernachlässigt. Heute hat die EU in der Region kaum noch Einfluss. Die Europäer haben sich auf den Krieg in der Ukraine konzentriert und wissen nicht, wie sie mit einem weiteren Krieg – nun in Israel – umgehen sollen. Dies zeigt auch der Streit über Finanzhilfen für die Palästinenser. Die EU-Kommission verkündete zunächst den Stopp aller Zahlungen, musste nach Protesten mehrerer Außenminister aber zurückrudern. Alle Zahlungen sollten überprüft werden, hieß es danach in Brüssel.
Am Samstag kündigte von der Leyen aber überraschend eine Verdreifachung der humanitären Hilfe auf 75 Millionen Euro an. Ob das ausreicht, muss der EU-Sondergipfel am Dienstag zeigen. Bei der Videokonferenz will Gastgeber Michel auch die „tragischen“ Zustände im Gazastreifen ansprechen und weitere Hilfen ankündigen. Eine neue diplomatische Initiative zeichnet sich jedoch nicht ab. Sie dürfte ohnehin zu spät kommen. Wenn überhaupt, dann könnten nur noch die USA mäßigend auf Tel Aviv einwirken und die Feinde Israels von neuen Attacken abschrecken, heißt es in Brüssel.
De Maart
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