Während Israel den Zivilisten im Norden des Palästinensergebiets am Sonntag weitere Zeit zur Flucht einräumte, gab es an der israelischen Grenze zum Libanon erneut Gefechte. Die USA warnten vor dem Entstehen einer zweiten Front zwischen Israel und dem Libanon und vor einem Eingreifen des Iran.
Die israelische Armee wartet nach den Worten von Sprecher Richard Hecht nur noch auf eine „politische Entscheidung“ zum Beginn einer großangelegten Bodenoffensive im Gazastreifen. Panzer, Soldaten und schweres Gerät sind bereits an der Grenze zu dem Palästinensergebiet in Stellung gebracht.
Iran warnt Israel
Der Iran warnte Israel eindringlich vor einer Bodenoffensive im Gazastreifen. In diesem Fall könne niemand dafür garantieren, dass sich der Konflikt nicht ausweite, sagte Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Die USA kündigten die Verlegung eines zweiten Flugzeugträgers ins östliche Mittelmeer an, „um von feindlichen Handlungen gegen Israel“ abzuschrecken.
Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, betonte, es bestehe die Gefahr, dass der Iran, der die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen sowie die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon mit Geld und Waffen unterstützt, eingreife.
Die Hamas hatte 7. Oktober einen Großangriff auf Israel gestartet. Sie feuerte tausende Raketen ab und drang mit hunderten Kämpfern nach Israel ein, die dort ein Blutbad unter Zivilisten anrichteten. Nach jüngsten Angaben wurden in Israel mehr als 1.400 Menschen getötet und mindestens 126 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Bei Spezialeinsätzen der israelischen Armee im Gazastreifen wurden seither die Leichen mehrerer Geiseln entdeckt.

Nach dem Hamas-Großangriff nahm die israelische Armee den Gazastreifen unter Dauerbeschuss. Bei israelischen Luftangriffen wurden nach Angaben der Hamas seither mindestens 2.670 Menschen getötet und tausende weitere verletzt. Am Freitag rief die israelische Armee rund 1,1 Millionen Zivilisten im Norden des Gazastreifens auf, das Gebiet Richtung Süden zu verlassen. Zehntausende Menschen sind seither aus dem Norden des Gebiets geflohen, die UNO sprach am Sonntag von einer Massenflucht. Nach Darstellung des israelischen Militärs haben sich mehr als 600.000 Gazastreifen-Bewohner inzwischen auf den Weg nach Süden gemacht.
Niemand sollte anderswo Öl ins Feuer gießen
Nach einer tagelangen vollständigen Sperre nahm Israel am Sonntag nach eigenen Angaben die Wasserversorgung im Süden des Gazastreifens wieder auf. Laut Energieminister Israel Katz sollten die Bewohner so zusätzlich dazu gebracht werden, den Norden des Palästinensergebiets Richtung Süden zu verlassen. Laut AFP-Korrespondenten gab es dort am Sonntagabend allerdings zunächst weiterhin kein Leitungswasser.
Auch im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon ist die Lage derweil extrem angespannt. Das israelische Militär sperrte das Grenzgebiet zum Südlibanon für Zivilisten. Die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon hatte sich in den vergangenen Tagen zu mehreren Raketenangriffen auf Nordisrael bekannt, Israel hatte in Reaktion auf den Beschuss Ziele im Südlibanon angegriffen. Bei Gefechten an dieser Grenze ist am Sonntag auch das Unifil-Hauptquartier im südlibanesischen Nakura von einer Rakete getroffen worden. Niemand habe sich dort aufgehalten und sei verletzt worden, teilte die UN-Friedensmission mit. Unklar war demnach zunächst, von wem die Rakete abgefeuert wurde.
Zahlreiche Demonstrationen
In London haben am Samstag tausende Menschen an einer pro-palästinensischen Demonstration teilgenommen. Die Teilnehmer versammelten sich in der Nähe der Zentrale des Fernseh- und Radiosenders BBC und marschierten dann durch die britische Hauptstadt. In ganz Europa demonstrierten zumeist muslimische Menschen gegen Israel und für die Palästinenser. Dabei war es etwa in Berlin auch zu Freudenfeiern nach den Hamas-Gräueltaten in Israel gekommen. Einige Demonstrationen wurden seither in Deutschland verboten. Auch in Luxemburg wurde demonstriert (siehe Seite 12). Unter anderem in Marokko und in der Türkei gab es ebenfalls große pro-palästinensische Demonstrationen.
Angaben zu den Schäden am Hauptquartier machte die Unifil zunächst nicht. Die Blauhelme arbeiteten weiter mit Akteuren auf beiden Seiten zusammen, um die Lage zu beruhigen, hieß es. Derzeit gehe die Eskalation trotz der Bemühungen aber weiter. Angriffe auf Zivilisten und auf UN-Personal stellten Verstöße gegen das Völkerrecht dar, betonte die Unifil. Die sogenannte Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon gibt es seit 1978, sie gilt als eine der ältesten aktiven UN-Beobachtermissionen.
„Teuer bezahlen“
Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant betonte am Sonntag, sein Land wolle keinen Krieg an seiner Nordgrenze. Sollte die Hisbollah jedoch „den Weg des Krieges wählen“, werde sie dafür „teuer bezahlen“, warnte der Minister.
US-Außenminister Antony Blinken sagte nach zahlreichen Treffen mit Politikern in der Region, die arabischen Verbündeten der USA wollten eine weitere Eskalation des Krieges zwischen Israel und der Hamas verhindern. „Niemand sollte anderswo Öl ins Feuer gießen“, sagte Blinken. Diese Einschätzung werde von den arabischen Verbündeten der USA geteilt.
International wuchs derweil die Sorge um die humanitäre Lage im Gazastreifen. „Israels Handeln hat den Rahmen der Selbstverteidigung gesprengt“, kritisierte der chinesische Außenminister Wang Yi. China will angesichts einer drohenden Eskalation im Nahen Osten einen Vermittler in die Region schicken. Saudi-Arabien legte wegen des Krieges seine Gespräche über eine diplomatische Annäherung mit Israel auf Eis. (AFP)
De Maart
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